Im Gespräch
Kultur und Corona – Mit Mörtel, Kelle und Nähnadel gegen die Pandemie
Ob mit Mörtel und Kelle, Stift und Papier, Nähnadel oder einem Videoschnittprogramm – Jugendliche können Kunst machen! Warum ein eigenes Kunstprojekt Jugendliche auf mehreren Ebenen fördert, wie und ob es gelungen ist, dies auch in der Pandemie aufrecht zu erhalten, erzählt die Diplom- und Theaterpädagogin Viola Sinn in unserer Interviewreihe „Im Gespräch“.
02.09.2021
Viola Sinn ist 2. Vorsitzende des Vereins für Kunst, Bildung und Schule Kubus³ e. V. in Freiburg. Kubus³ fungiert zum einen als außerschulische Projektwerkstatt für Freiburger Schulen. Zum anderen bietet der Verein offene Kunstprojekte für Jugendliche an, etwa den jährlich stattfindenden JugendKunstParkour, ein offenes Angebot, bei dem Jugendliche mit professionellen Künstler*innen in verschiedenen Werkstätten eigene Projekte realisieren können.
Frau Sinn, bitte beschreiben Sie kurz, was Kubus³ auch in Nicht-Pandemie-Zeiten macht.
„Vor 15 Jahren sind wir als außerschulische Projektwerkstatt einer beruflichen Schule gestartet, der Friedrich-Weinbrenner-Gewerbeschule (FWG) in Freiburg. Dort werden etwa Jugendliche mit und ohne Hauptschulabschluss in einem berufsvorbereitenden Jahr für die Aufnahme einer Ausbildung qualifiziert. Da, wo Lehrerinnen und Lehrer wenig Erfolg hatten, war der Gedanke: Wie kann man diese Jugendlichen besser erreichen? Und den Schüler*innen dennoch eine sinnige Aufgabe stellen? Die Idee war, Kunstprojekte mit ihnen zu machen: weg von der Schule, andere Zeitrhythmen, keine Klingel, „Begreifen durch Greifen“. Dafür haben wir dann eine Halle als multifunktionalen Raum gefunden. Heute arbeiten wir als Verein mit allen Freiburger Schulen zusammen. Wir führen auch offene Kunstprojekte für Jugendliche durch, etwa den jährlich stattfindenden JugendKunstParkour.“
Durch eine eigenes Kunstprojekt gewinnen junge Menschen eine neue, andere Ausdrucksplattform
Wie fördert ein eigenes Kunstprojekt die Jugendlichen?
„Sie erfahren, was sie alles können. Sie gewinnen eine neue, andere Ausdrucksplattform. Sie müssen den künstlerischen Prozess durchstehen, erleben eine Anerkennung ihres Werkes durch Ausstellung oder Aufführung, entwickeln so auch ihre Persönlichkeit. Für die Schulprojekte gilt auch: man guckt nicht nur auf die Defizite. Die Präsenz ist hoch, die Schüler*innen bleiben dran – was sie in einem Praktikum oft nicht durchhalten. Auch das soziale Miteinander ist anders als an der Schule.“
Mit welchen Methoden arbeiten Sie normalerweise?
„Die Jugendlichen geben selbst die Themen vor, zu denen sie mit unterschiedlichen Materialien an einem künstlerischen Projekt arbeiten. Die Themen entwickeln sie aus einem übergeordneten Thema: z. B. Heimat. Ein Jugendlicher baute das Feuerzeug seines Opas als große Holz-Eisenskulptur, ein anderer schmiedete ein orientalisches Eingangstor.
Ziel ist es, das Werk anschließend in einer Vernissage oder Aufführung zu zeigen. Da an der FWG auch Holz- und Steinbildhauer ausgebildet werden, lag der Schwerpunkt zunächst auf Bildhauerei / der Bildenden Kunst, später kamen andere Disziplinen mit Theaterraum, Medienbereich oder auch Musikprojekte dazu. Die Jugendlichen arbeiten mit professionellen Künstler*innen, denn diese gehen anderes an ein Projekt heran und auf die Schüler*innen zu. Zusätzlich sind aber jeweils pädagogische Fachkräfte eingebunden. Dieses Grundkonzept haben wir auch auf unsere freien, offenen Kunstprojekte übertragen.“
Im Lockdown waren die jungen Menschen aus den Schulprojekten während der Schließungen schnell ziemlich verloren, regelrecht abgehängt
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf ihre Arbeit in der außerschulischen Projektwerkstatt ausgewirkt?
„Im ersten Lockdown ging ja gar nichts mehr. Nach und nach durften die beruflichen Schulen dann wieder unterrichten. Aber wie kann eine Kunstwerkstatt unter Hygiene-Auflagen überhaupt funktionieren? Was geht, was nicht, was ist mit dem Material? Da musste man Konzepte entwickeln. Zum Glück haben wir eine große Werkstatt mit drei Meter hohen Decken und Fenstern auf beiden Seiten zum Lüften, so dass wir die Schulprojekte nach und nach so wie es die Inzidenzregeln in BaWü erlaubten mit zehn Personen gleichzeitig wieder hochfahren konnten.“
Wie hat diese Erfahrung, dass nichts mehr ging, mit den Jugendlichen gemacht?
„Die Jugendlichen aus den Schulprojekten, die ja oft aus bildungsfernen Familien stammen, waren während der Schließungen schnell ziemlich verloren, regelrecht abgehängt. Es war uns auch kaum möglich, Kontakt zu halten. Zwar wurde viel über Digitalisierung geredet, aber was nutzt es diesen Jugendlichen, wenn sie mit einem Laptop ausgestattet werden, aber ja gar nicht damit umgehen können? Für den pädagogischen Prozess war das katastrophal, denn dieser funktioniert ja über die Beziehung, die Nähe zueinander. Die Sehnsucht nach Kontakt, die Freude, sich zu sehen, in der Gruppe zu sein, war deutlich spürbar bei den Jugendlichen, als es wieder möglich war.“
Haben Sie im JugendKunstParkour, einem offenen Projekt ohne schulischen Bezug, ähnliche Erfahrungen gemacht?
„Genau an dem Tag, an dem die Atelierangebote des JugendKunstParkour starten sollten, kam der erste Lockdown 2020. Dennoch waren hier die Grundbedingungen andere. Das Projekt beginnt jeweils schon im Herbst des Vorjahres mit einer Orga-Truppe von jungen Leuten, die die Angebote mit mir planen. In den letzten Jahren waren dies Studierende der Pädagogischen Hochschule Freiburgs. Natürlich waren wir auch hier erst einmal ausgebremst, aber wir kannten uns als Gruppe schon aus Präsenz, das war ein großer Vorteil. Wir haben über Zoom neue Kunst-Angebote entwickelt. Für uns alle aus dem Orga-Team waren die regelmäßigen Treffen über Zoom ein Rettungsanker in der Pandemie, das haben die Rückmeldungen gezeigt.“
Konnten Sie den JugendKunstParkour dennoch durchführen?
„2020 haben wir Online-Angebote für die Jugendlichen entwickelt, die am JugendKunstParkour teilgenommen haben: etwa Arbeiten mit Photoshop, Aufgaben mit Materialvorgaben, die man zuhause durchführen und dann wieder hochladen konnte, es gab Live-Performances über Zoom und man konnte jungen Künstler*innen aus der Orga-Gruppe live bei der Arbeit zu sehen. In diesem Jahr haben wir den JugendKunstParkour insofern auf die Pandemiebedingungen angepasst, als dass wir kleine Ateliers geplant haben mit kleineren Gruppen. Dafür mussten wir zum Beispiel viele neue passende Veranstaltungsorte finden und entsprechende Kooperationen eingehen.“
Kunst und Kultur ist immer auch eine Möglichkeit für soziales Miteinander
Können Sie den Einschränkungen durch die Pandemie auch etwas Positives abgewinnen?
„Wir waren künstlerisch gefordert, neue Wege zu beschreiten. Zwar verändern sich unsere Werkstatt-Angebote immer, je nachdem, was aktuell für die Jugendlichen spannend ist – so hatten wir dieses Jahr zum Beispiel auch ein Beton-Atelier – aber dennoch mussten wir tatsächlich ganz neu denken. Diese Herausforderung hat uns alle zusammengeschweißt. Kunst und Kultur ist immer auch eine Möglichkeit für soziales Miteinander. Und insgesamt denke ich, ist es viel wichtiger, das nachzuholen, als die Wissensvermittlung in den Fokus zu nehmen.“
Wie finanzieren sich die Angebote von Kubus³?
„Die institutionelle Förderung für den laufenden Betrieb, etwa für Material und den Erhalt der Halle, hat lange das Amt für Schule und Bildung der Stadt Freiburg übernommen. Seit Januar 2021 sind wir nun beim Kulturamt Freiburgs angesiedelt. Die Künstlerhonorare für die Schulprojekte finanzieren die Schulen. Über die institutionelle Förderung konnten wir im Verein eine Dreiviertelstelle einrichten. Die ist auch nötig, um Sponsoren und Fördermittel für unsere freien Projekte und die Schulprojekte zu gewinnen.“
Frau Sinn, haben Sie herzlichen Dank für diesen Einblick, alles Gute für Ihr weiteres Wirken.
Das Interview führte Julia Göhring.
Mehr zum Projekt Kubus³
Kubus³, der Verein für Kunst, Bildung und Schule und die Projektwerkstatt der FWG ist eine kulturelle Bildungseinrichtung mit dem Auftrag der Persönlichkeitsentwicklung über künstlerische Methoden. In den Kunstsparten: Bildhauerei, Malerei, Medien & Fotografie, Theater und Tanz sowie spartengemischte Projekte, finden Jugendliche und junge Erwachsene einen Gestaltungsraum, der durch professionelle Begleitung von Künstler*innen und Pädagog*innen vielfältige Möglichkeiten bietet, die eigene Kreativität und Persönlichkeit im künstlerischen Arbeiten zu entfalten. Eine eigene Idee zu formulieren und diese im Schaffensprozess mit allen Höhen und Tiefen durchzustehen und umzusetzen, ist besonders für Jugendlichen in Orientierungs- und Übergangsphasen eine wichtige Erfahrung für die weitere berufliche und persönliche Entwicklung. Dass eigene Themen und authentische Erfahrungen zur Grundlage für den Gestaltungsprozess werden, erleben junge Menschen als würdigende Anerkennung ihrer Person und ihrer persönlichen Lebenswelten. Das notwendige Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wird gestärkt und ermutigt sie, ihre Lebensperspektiven positiv zu sehen und eigenverantwortlich anzugehen.
Mehr dazu steht auf der Website von Kubus³ zur Verfügung.
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