Stellungnahme

Positionierung zum Moratorium der Digitalisierung in Kitas und Schulen

Eine Gruppe von 40 Wissenschaftler*innen fordert in der Stellungnahme ein „Moratorium der Digitalisierung in Kitas und Schule“ (GBW 2023), in dem die Politik aufgefordert wird, die Digitalisierung in besagten Bildungseinrichtungen zeitnah zu stoppen. Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) nimmt dazu eine fachliche Einordnung vor.

20.12.2023

Die GMK setzt sich für eine Medienbildung entlang der gesamten Bildungskette ein. Durch Praxisprojekte und Elternbildung, die mediale Erfahrungen, Interessen und Lebenswelten aufgreifen, wird die Kreativität und Kritikfähigkeit aller gefördert.

Mitte November 2023 wurde auf verschiedenen Kanälen eine Stellungnahme veröffentlicht, die alle in der Medienbildungsarbeit tätigen Personen fachlich betreffen. Eine Gruppe von 40 Wissenschaftler*innen fordert in der Stellungnahme ein „Moratorium der Digitalisierung in Kitas und Schule“ (GBW 2023), in dem die Politik aufgefordert wird, die Digitalisierung in besagten Bildungseinrichtungen zeitnah zu stoppen. Mit einem Moratorium wird eine Vereinbarung darüber getroffen, dass eine bestimmte Angelegenheit für eine gewisse Zeit aufgeschoben wird.

Fehlende Diskussion über ein gelingendes Wie

In der Presse und auf verschiedenen Webseiten wird das Papier inzwischen zitiert und damit weiterverbreitet, was wir nicht unkommentiert stehen lassen möchten, denn es bedarf, unserer Ansicht nach, dringend einer fachlichen Einordnung. Die Debatte zur Medienbildung in Kitas und Schulen wird in der Stellungnahme in ein „Entweder-Oder“ gelenkt, welches eine wünschenswerte Diskussion über ein gelingendes WIE der medienpädagogischen Arbeit in weite Ferne rücken lässt. So ein Vorgehen ist nicht zielführend und kann nicht im Sinne transformativer Lern- und Bildungsprozesse sein.

Die Gruppe der Wissenschaftler*innen bezieht sich u.a. auf die Stellungnahme von fünf Professor*innen des schwedischen Karolinska-Instituts (vgl. Thorell et al. 2023), in der diese vor negativen Auswirkungen von Bildschirmmedien auf das Lernen und die Sprachentwicklung von Kindern warnen. Dort wird darauf verwiesen, dass „die Digitalisierung der Schulen große, negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler“ (ebd.: 2) habe und die negativen Auswirkungen von Bildschirmmedien folglich offensichtlich seien. In der Stellungnahme (Karolinska-Institut 2023, zit. n. GBW 2023: 4) heißt es zudem: „Bildschirme [haben] große Nachteile für kleine Kinder […]. Sie behindern das Lernen und die Sprachentwicklung. Zu viel Bildschirmzeit kann zu Konzentrationsschwierigkeiten führen und die körperliche Aktivität verdrängen.“ Die Ziele Bildungs- und Chancengerechtigkeit sowie Unterrichtsverbesserung und gesellschaftliche Teilhabe würden damit nicht erreicht sein.

Wir sind uns bewusst, dass Medien von Familien unterschiedlich genutzt werden und Kinder oft unbegleitet und unkontrolliert Sendungen und Spiele nutzen oder ihnen der Zugang zu förderlichen Medien nicht gegeben ist. Das hat verschiedene Ursachen, die mit Bildungshintergründen, aber auch mit finanziellen Ressourcen und Ausstattung zu tun haben. Technik allein, das ist allerseits bekannt, schafft nicht automatisch die Möglichkeit, altersgerechte Bildungsinhalte, wie z.B. gute, digitale Kinderbücher oder Kreativapps, passend zu nutzen. Alle Eltern müssen wissen (und lernen), was für ein gutes Aufwachsen in digitalen Welten zu beachten ist, was für Kinder förderlich, was schädlich ist, auf was sie achten müssen, wenn sie smarte Technik Zuhause einsetzen. So fordert z.B. auch die Stiftung Lesen seit Jahren, dass Kindern auch Zuhause regelmäßig vorgelesen wird, denn das fördert die schulische, soziale und persönliche Entwicklung von Kindern. Doch immer noch lesen nur 36 Prozent aller Eltern ihren Kindern (Bilder-)Bücher oder Geschichten vor (vgl. Institut für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen 2023: 5).

Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass „Medien […] heute überall (‚ubiquitär‘)“ sind und sie „(‚pervasiv‘) unsere Lern- und Lebenswelten [durchdringen]“ (Kerres/Preußler 2015: 33, Herv.i.O.), ist es nach unserer Auffassung und Erfahrung umso wichtiger, Familien bei ihrer Medienerziehung zu unterstützen und gute altersgerechte Zugänge zu Medien als auch Alternativen zur Mediennutzung bereits ab dem Kindesalter aufzuzeigen. Familien und damit Kinder werden so dazu angeregt und befähigt, Medien aktiv und kreativ zu nutzen und sie bewusst an- und auch wieder auszuschalten.

Digitalisierung ist mehr als die Frage nach Digitaltechnik

Wir stimmen der Aussage im Moratorium zu, dass der öffentliche Diskurs über Schule und Unterricht derzeit häufig verkürzt wird auf die Frage nach Digitaltechnik. Zudem fehlt es an einem öffentlichen und interdisziplinären Diskurs über den verantwortlichen Einsatz digitaler Medien in Bildungseinrichtungen. Es ist sicher auch noch großer Handlungsbedarf an Schulen, damit der Einsatz von Medien medienpädagogisch und didaktisch begründeter geschieht. Auch ist eine differenzierte Betrachtung nach dem Lebensalter von Schüler*innen erforderlich, so dass Schulformen und Schulfächer, aber auch Lehrpersönlichkeiten, wie es in dem Papier heißt, mehr beachtet werden.

Allerdings müssen unseres Erachtens nach auch Fragen nach Lernumgebungen und Lehr- und Lernsituationen gestellt werden. Dies geschieht allen voran mit an den Lebenswelten orientierten, medienpädagogischen Projekten, die ein gemeinsames, kooperatives und konzentriertes Miteinander fördern. Die GMK forderte schon vor sieben Jahren, dass Bildung und Medien zusammengehören, und zwar von Anfang an (vgl. Eder et al. 2017).

Ein Beispiel: Wenn Kinder gemeinsam im Wald die Bilder für ein Naturmemory (Stichwort: Wissenserwerb) aus Blättern und Früchten fotografieren, wird gewiss keine ‚körperliche Aktivität verdrängt‘. Vielmehr motivieren die vielfältigen Möglichkeiten die Kinder, sich aktiv mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen. Die Kinder zeigen erfahrungsgemäß häufig eine längere Konzentrationsspanne und sind in der Lage, Sachverhalte besser zu verstehen und zu benennen.

Kritischer und kreativer Umgang mit Medien

Das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ (BMFSFJ 2023a) setzt daher an vielen Stellen auf Medienangebote, die den Spracherwerb und die Sprachentwicklung begünstigen, beispielsweise durch das Erstellen von Collagen zum Verstehen von zusammengesetzten Substantiven (Hand-Schuh) (vgl. BMFSFJ 2023b). Da Medienangebote immer in den pädagogischen Alltag integriert stattfinden sollten, versteht es sich letztlich von selbst, dass Medien nicht zum Selbstzweck, sondern zielgerichtet eingesetzt werden, wenn durch sie ein Mehrwert entsteht. Wenn Fachkräfte Kindern (und deren Eltern) zeigen, wie sie Medien sinnvoll und kreativ zum Entdecken und Gestalten einsetzen können, ermöglichen sie Bildungs- und Chancengerechtigkeit für ausnahmslos alle Kinder. Kinderrechte (Recht auf Mediennutzung, Medienerziehung und gute mediale Inhalte) und Persönlichkeitsrechte (Recht am eigenen Bild, Urheberrechte) werden hier von Anfang an mitgedacht und vermittelt. Ein derartiger kritischer und kreativer Umgang schafft eine erste Grundlage für ein gutes Aufwachsen mit Medien sowie einen respektvollen Umgang miteinander, auch im digitalen bzw. medialen Raum. Kinder lernen in und durch Medienprojekte, auch eigene Themen aus ihren Lebenswelten darzustellen – das sind wichtige Aspekte im Zuge von stetig wachsender Beteiligung (Stichwort: gesellschaftliche Teilhabe). Weitere Beispiele und Materialien auch auf www.mekokita.gmk-net.de.

Medien werden in der Stellungnahme zum Moratorium auf Bildschirmmedien reduziert, was aus unserer Sicht einen verkürzten Medienbegriff darstellt. So kommen in Kitas zum Beispiel auch Endoskopkameras und digitale Mikroskope zum Einsatz, die zum zeitgemäßen Tüfteln und Forschen (MINT) anregen. Handhabbare Medien wie kindgerechte Mikrofone, mit denen Kinder Geräusche-Rallyes aufnehmen und eigene Hörspiele produzieren, bieten vielfältige Möglichkeiten, wie Sprachbildung in beeindruckender Weise gelingen kann.

Die 40 deutschen Wissenschaftler*innen verweisen darüber hinaus auf die 2022 veröffentlichten „Leitlinien zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend“ der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie von zehn Fachverbänden aus Medizin, Psychologie und Suchtprävention mitgetragen werden (vgl. DGKJ 2022). Die wichtigste Empfehlung sind für alle Altersstufen hierbei: Reduktion der Bildschirmzeiten, keine eigenen Geräte für Kinder und keinen unkontrollierten, unbegleiteten Zugang zum Internet (vgl. Schwarz 2023).

Mit Eltern und Familien ins Gespräch kommen

Diese Forderung steht für uns in keiner Weise im Widerspruch zu pädagogisch fundierten Medienbildungsangeboten in der Bildungseinrichtung und einer sinnvollen Mediennutzung in der Familie. Ein unkontrollierter und unbegleiteter Zugang zu Medien sollte weder in der Kita noch in der Familie stattfinden. Es ist zwingend notwendig, mit Eltern und Familien ins Gespräch zu kommen, damit diese erkennen, wie Medien vielfältig, variationsreich und entwicklungsfördernd eingesetzt und genutzt werden können. Sie müssen auch verstehen, wann es bei einer falschen Mediennutzung zu gesundheitlichen oder sozialen Problemen kommen kann. Wir stimmen zu, dass Kinder definitiv nicht über (eigene) digitale Geräte frei verfügen sollten, abgesehen von benötigten Geräten zur unterstützten Kommunikation, und bei der Auswahl von Medien gesundheitliche Aspekte Beachtung finden müssen (z.B. keine VR-Brillen). Ebenso ist es sehr wichtig, bei der Verwendung der neuesten Entwicklungen, die sich in großem Ausmaß generativer Intelligenz bedienen (z.B. ChatGPT, Dall-E), ethische und datenschutzrelevante, aber auch Nachhaltigkeitsaspekte (Sustainable Development Goals) mitzudenken.

Das Moratorium bezieht sich hauptsächlich auf den Einsatz von Bildschirmmedien an Schulen. Dort ist es mitunter üblich, dass Kinder ein eigenes Endgerät zur Verfügung haben. Wie sie dieses nutzen, hängt von der Aufgabenstellung der verantwortlichen Fachkräfte ab. In der Kita stand zu keinem Zeitpunkt zur Debatte, dass Kinder eigene Geräte erhalten oder stets allein an diesen arbeiten dürfen. Medien, integriert in vielfältige Angebote der Bildungsbereiche, kommen als Werkzeug zum Einsatz und werden im Zuge zur Realisierung von zeitgemäßer gelingender Bildung kooperativ genutzt. Zudem ist Medienbildung, wie auch in den Stellungnahmen der GMK-Fachgruppe Kita (vgl. Eder et al. 2017) sowie der GMK-Fachgruppe Schule und des Vorstandes der GMK zu lesen ist (vgl. GMK-Fachgruppe Schule/GMK-Vorstand 2018), ein Lernen über Medien und Kommunikationskulturen.

Das genannte Moratorium darf nicht umgesetzt werden. Was hingegen dringend umgesetzt werden muss, ist eine vielschichtige, altersgerechte Medienbildung entlang der gesamten Bildungskette.

Statt eines Moratoriums fordern wir:

  • Verstetigung und Standardisierung von Medienbildung, Erzieherischen Jugendmedienschutz; Prävention dauerhaft stärken
  • Medien nicht zum Selbstzweck, sondern zum kreativen, aktiven Gestalten und Darstellen der Lebenswelt und Themen einzusetzen
  • Erwerb medienpädagogischer Kompetenz muss zur pädagogischen Grundausbildung gehören, Ausbau von medienpädagogischen Aus-, Weiter- und Fortbildungsangeboten für pädagogische Fachkräfte (in der Kindertagespflege, Kita und an Schulen)
  • Organisationsentwicklung mitdenken (rechtlich, Ausstattung, technischer Support), Medienbildung nicht ausschließlich an die technische Ausstattung koppeln
  • Medienpädagogisches Gütesiegel; Begutachtung insbesondere von kommerziellen Produkten, Medienbildung nicht den Konzernen überlassen
  • Interdisziplinäreren Austausch zu gesellschaftlich relevanten Medienthemen stärken (Medien-bildung als Aufgabe der politischen Bildung, Medienwissenschaften, Pädagogik, Informatik etc.)

Zum Literaturverzeichnis

Fachgruppe Kita der GMK: Selma Brand, Habib Güneşli, Sabine Eder (fg-kita@gmk-net.de)

Quelle: Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) e.V. vom 11.12.2023

Redaktion: Sofia Sandmann

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