Unbegleitete minderjährige Geflüchtete

Kinderrechtlichen Standards bei der Aufnahme gerecht werden

Die Zahl der in Berlin ankommenden unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten ist seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine wieder deutlich gestiegen. In einer gemeinsamen Pressemitteilung fordern mehrere Verbände, unter anderem der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, angesichts überlasteter Strukturen Maßnahmen zum Schutz der jungen Geflüchteten zu ergreifen.

14.07.2022

In der gemeinsamen Mitteilung vom Flüchtlingsrat Berlin, dem Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen (BBZ), dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF), dem Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen und terre des hommes – Hilfe für Kinder in Not, wird kritisiert, die Senatsverwaltungs für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) habe seit 2017 die Aufnahme- und Unterbringungsstrukturen für UMG massiv abgebaut, trotz zahlreicher Warnungen von NGOs und Fachpersonal, dass die Ankunftszahlen jederzeit wieder steigen könnten.   

Die Unterzeichnenden kritisieren wochenlange Wartezeiten auf ein erstes Clearinggespräch, zahlreiche illegale Jugendhilfeunterkünfte ohne Betriebserlaubnis für die Inobhutnahme und entsprechende Trägerverträge (die Inhalt, Umfang, Qualität der Leistung, das Entgelt und die fachliche Qualitätskontrolle regeln) und eine nach ihrer Ansicht völlig unzureichende, nur lückenhafte Betreuung als Folgen vorausgehender Versäumnisse. Dies treffe am härtesten die Gruppe der jungen Geflüchteten.  

Besonders eklatant sei die rechtswidrige Unterbringung von UMG in Unterkünften mit Trägern ohne die Betriebserlaubnis für die vorläufige Inobhutnahme:

„Dies ist ein Verstoß gegen die jugend-hilferechtlichen Schutzvorschriften nach § 45 SGB VIII und  § 30 ff. AG KJHG Berlin. Für den Betrieb einer Einrichtung zur Betreuung und Unterbringung von UMG ist eine behördliche Erlaubnis nach § 45 SGB VIII zwingend, der illegale Betrieb bußgeldbewehrt und ggf. strafbar (§ 104 f. SGB VIII). Die Inobhutnahme ist als sozialpädagogische Schutzmaßnahme im SGBVIII eine besondere Vorschrift, eine sogenannte „andere Aufgabe“ des Jugendamtes, die nicht einfach im Rahmen der Hilfen zur Erziehung geleistet werden kann sondern klar davon getrennt wird. Daraus und aus dem dahinter stehenden Kinderschutzgedanken ergeben sich die vergleichsweise hohen Standards, die auch im Bereich der vorläufigen Inobhutnahme nach §42a  SGBVIII gelten.“

Kinderrechtliche Standards und Vorgaben des Kinderschutzes nur unzureichend erfüllt

Die Verbände machen darauf aufmerksam, dass genau diese Rechtsverstöße und Qualitätsmängel bei der Unterbringung von UMG und die damit verbundenen Verstöße von SenBJF gegen das Vergaberecht bereits 2017 öffentlich vom Berliner Landesrechnungshof scharf kritisiert wurden. Denn bezüglich Unterkünften ohne Betriebserlaubnis existierten keine öffentlich-rechtlichen Verträge, in denen die notwendigen Inhalte für die ambulante Betreuung und das Betreuungsentgelt nach §§ 77, 78a ff. SGB VIII verbindlich vereinbart würden. Dies erfülle in keinster Weise kinderrechtliche Standards oder die Vorgaben des Kinderschutzes. Es fände weder eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung statt, wie bei neu eingereisten Kinden und Jugendlichen an sich vorgesehen, noch müssten sich diese Betreiber an die sonstige Vorgaben halten, wie die Mindestquadratmeterzahl pro Person, Bewohner:innenbeteiligung oder die adäquate Bezahlung der Angestellten.

Zudem fehle es an qualifiziertem Personal und die Privatsphäre der Jugendlichen wird nicht gewahrt, da Räume überbelegt und oft nicht abschließbar seien.

Also weiteres Problem identifizieren die Verfasser:innen die ca. 3-4 Wochen Wartezeit auf das erste Clearinggespräch bei SenBJF, bei dem die Minderjährigkeit überprüft werden soll. Nach dieser Feststellung nehme Berlin sich einen Monat Zeit, die:den UMG in andere Bundesländer zu verteilen, sofern keine Berlinzuständigkeit besteht. In der gemeinsamen Mitteilung heißt es:

„Durch die lange Wartezeit sind aber die Kinder und Jugendlichen zum Teil schon 6-8 Wochen in Berlin und haben sich bereits begonnen einzuleben, Freundschaften zu knüpfen usw. Und das, obwohl fast alle ukrainischen Kinder und Jugendlichen mit einem Identitätsdokument eingereist sind und ihre Minderjährigkeit unstrittig fetsteht.“

Forderungen an die zuständige Senatorin

Der Flüchtlingsrat Berlin, das Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen (BBZ), der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF), das Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen und terre des hommes – Hilfe für Kinder in Not fordern die zuständige Senatorin auf:

  • eine Umverteilung mehr als einen Monat nach der ersten Inobhutnahme gemäß § 42b Abs. 4 SGB VIII zu unterlassen, wenn die Minderjährigkeit anhand der Ausweisdokumente von vornherein unstrittig feststeht;
  • Trägern ohne die entsprechende Betriebserlaubnis für die Inobhutnahme keine Kinder und Jugendlichen mehr anzuvertrauen. Ein Betrieb solcher Einrichtungen mit Trägern ohne die entsprechende Betriebserlaubnis ist unverzüglich zu untersagen. Kinderschutz-, Betreuungs- und Sicherheitskonzepte sind für eine Betriebserlaubnis rechtlich zwingend;
  • schnell ausreichende Kapazitäten zu schaffen und rechtskonforme Aufnahme- und Unterbringungsstrukturen für UMG in Berlin bereitstellen, die auf Qualität und Dauerhaftigkeit und mit zertifizierten Trägern umgesetzt werden. Die Arbeit der Sozialarbeitenden mit UMG in der Jugendhilfe muss angemessen entlohnt und gewürdigt und der Quereinstieg bei vorhandenen Qualifikationen gefördert werden.

Quelle: Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (BumF) vom 06.07.2022

Redaktion: Silja Indolfo

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