Interview

„Kinder- und Jugendarbeit matters!“

Angesichts geplanter Bundeshaushaltskürzungen 2024 betont Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Vorsitzender des Bundesjugendkuratoriums, im Interview die Notwendigkeit, dass die Bundesregierung ihre Prioritäten ändern muss. Gleichzeitig sollten die Träger der Kinder- und Jugendarbeit sich stärker als jugendpolitische Mandatsträger positionieren.

06.11.2023

"In einer Zeit, gerade nach den Regulationen während der Corona-Pandemie, in der die Weiterentwicklung, Reform und Absicherung der Infrastrukturen gleichzeitig dynamisch und innovativ bewältigt werden müssen, ist nur schwer nachvollziehbar, wie diese Kürzungen gerechtfertigt werden können. Wie sollen da Zukunftsakzente gesetzt werden? Es braucht Investitionen in die Infrastrukturen."

Es heißt oft „Die Jugend ist unsere Zukunft“. Aber auch ohne die Verantwortung für das Morgen auf die jungen Menschen zu übertragen, ist es wichtig für die Weichenstellung ihrer Zukunft zu fragen: „Was brauchen junge Menschen, um in unserer Gesellschaft gut aufwachsen zu können?“ Was antworten Sie darauf?

Junge Menschen sind Grundrechtsträger*innen und haben soziale Rechte, die im hier und heute verwirklicht werden müssen. Ein wesentliches Recht junger Menschen ist das Recht auf förderliches Wohlbefinden und vor allem auf eine diskriminierungsfreie sowie – soweit wie möglich – selbstbestimmte und gerechte Teilhabe in unserer Gesellschaft. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht verdeutlicht, dass die Rechte junger Menschen – gerade auch das Recht auf Zukunft – stärker in der Politik Berücksichtigung finden müssen. Bevor davon gesprochen wird, dass die Jugend unsere Zukunft sei, sollten wir, die wir aktuell die Macht gegenüber den jungen Menschen innehaben, uns verantwortlich zeigen, dass junge Menschen Gerechtigkeit in der Gegenwart erfahren können und eine Zukunft haben können.

Welche Potenziale sehen Sie dabei in der kulturellen Kinder- und Jugendbildung? Welchen Beitrag vermag dieser Bereich zu leisten?

Junge Menschen brauchen Infrastrukturen, in denen sich kulturell ausdrücken können. Doch junge Menschen leben in sehr unterschiedlichen sozialen Lebenslagen und die kulturellen Handlungsspielräume vieler jungen Menschen sind begrenzt oder prekär. Die Möglichkeit zur Entfaltung kultureller Selbstsorge und Gelegenheitsstrukturen zur kulturellen Selbstbildung ist ein Menschenrecht aller jungen Menschen, wie Julius Heinecke von der Universität Hildesheim sagen würde. In unserer Gesellschaft, in der soziale Abschottungen, Diskriminierungen und soziale Ungleichheiten zum Alltag gehören, hat die kulturelle Kinder- und Jugendbildung sich immer wieder für sozialkulturell öffnende Prozesse im Jugendalltag einzusetzen und junge Menschen aufzufordern, ihre subjektiven, gemeinsamen und unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen zu erfahren und ihnen sichere soziale Orte anzubieten, an denen sie diese leben und – wenn sie wollen – auch öffentlich zeigen können.

Im Zwischenruf vom 07. September 2023 unter dem Titel „Es ist keine kinder- und jugendpolitische Strategie der Bundesregierung gegen Kinder- und Jugendarmut erkennbar“ heißt es: „Die Rechte der Kinder und Jugendlichen zu verwirklichen und ihnen eine diskriminierungsfreie und chancengerechte Teilhabe in unserer Gesellschaft zu ermöglichen, bedeutet vor allem auch, sie nicht in Armut aufwachsen zu lassen.“ Welche Hebel empfehlen Sie der Bundesregierung zu bedienen, um entsprechend dieses Ziels wirksam zu werden?

Es ist zentral, dass die Bundesregierung zukünftig nicht mehr Infrastrukturpolitik für junge Menschen gegen materielle Absicherungen und Verbesserungen von jungen Menschen ausspielt. Es ist wohl ein allgemeiner Konsens, dass die sozialen Ungleichheiten in Kindheit und Jugend nur durch eine Kombination von einer verbesserten Grundsicherung junger Menschen sowie einer deutlichen Investition in die Infrastrukturen geleistet werden kann. Kinder- und Jugendpolitik braucht in der Bundesregierung die Bedeutung und Priorisierung, die ihr nach Corona versprochen wurde. Dieses Versprechen ist bisher kaum eingelöst. Dies ist aber eine Aufgabe der gesamten Bundesregierung und nicht nur des BMFSFJ.

Nun sieht der Entwurf zum Bundeshaushalt 2024 Kürzungen im Kinder- und Jugendplan des Bundes und damit für die Kinder- und Jugendhilfe vor, deren Teil die Kulturelle Bildung ist. Welche Folgen sehen Sie für junge Menschen in unserer Gesellschaft?

Der Kinder- und Jugendplan ist das zentrale Instrument der Bundesregierung, um Innovationen und bundesweite Strukturen zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpolitik zu ermöglichen. In einer Zeit, gerade nach den Regulationen während der Corona-Pandemie, in der die Weiterentwicklung, Reform und Absicherung der Infrastrukturen gleichzeitig dynamisch und innovativ bewältigt werden müssen, ist nur schwer nachvollziehbar, wie diese Kürzungen gerechtfertigt werden können. Wie sollen da Zukunftsakzente gesetzt werden?

Es braucht Investitionen in die Infrastrukturen: Gerade Beteiligungsstrukturen junger Menschen sowie Selbstvertretungen müssen gestärkt werden. Letztlich können die Infrastrukturen in Kindheit und Jugend nur geöffnet und weiterentwickelt werden, wenn junge Menschen diese auch auf Bundesebene mehr mitgestalten können. Dies bedeutet Infrastrukturen zu fördern. Nur so kann Inklusion und auch das Zusammenleben in einer durch Diversität geprägten Kindheit und Jugend gelingen.

Selbst wenn gekürzt werden müsste, braucht es starke Konzepte, die dieses kinder- und jugendpolitisch legitimieren. In der Bundesregierung gibt es aber kaum eine wirkliche Auseinandersetzung über kinder- und jugendpolitische Konzepte.

Welche Empfehlungen geben Sie den Trägern der Kinder- und Jugendarbeit in dieser Zeit, in der die Kürzungen die Strukturen bedrohen, um einerseits Politik und Öffentlichkeit gegenüberzutreten und andererseits ihre Aufgabe für die jungen Menschen zu bewältigen?

Studien während der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass es einen Unterschied macht, ob junge Menschen Infrastrukturen der Kinder- und Jugendarbeit vor Ort finden, diese niedrigschwellig erreichen und mitgestalten können oder nicht. ‚Kinder- und Jugendarbeit matters‘ in der Lebens- und Bildungsqualität junger Menschen! Kinder- und Jugendarbeit kann dabei nur mit den jungen Menschen gelingen. Träger der Kinder- und Jugendarbeit müssen sich als Infrastruktur der sozialen und kulturellen Offenheit für junge Menschen in allen Lebenslagen sowie als jugendpolitische Mandatsträger in der Öffentlichkeit und Politik stärker positionieren.

Quelle: Bundesvereingung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), www.bkj.de

Bild: BKJ | Andi Weiland

Redaktion: BKJ Redaktion

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