Soziale Inklusion

Allgemeiner Rahmen

Größte Herausforderungen für soziale Inklusion

Die COVID-19-Pandemie, der Überfall Russlands auf die Ukraine, der Angriff der islamischen Terrororganisation Hamas auf Israel, demografischer Wandel, Klimawandel, Energieknappheit und Inflation – seit 2020 erlebt Deutschland eine Vielzahl an Krisen, die sich auf die Gesellschaft auswirken. Diese Entwicklungen beeinflussen die Prioritäten und das Handeln der Politik und haben die Herausforderungen für soziale Inklusion maßgeblich verändert. Unter Sozialer Inklusion wird der Prozess verstanden, durch den alle Menschen unabhängig ihrer Diversitätsmerkmale an dem gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teilhaben können. Dabei geht es nicht nur um die bloße Teilnahme, sondern auch um die Möglichkeit, aktiv am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben teilzuhaben und die gleichen Chancen und Rechte wie alle anderen zu haben. 

In Deutschland gibt es verschiedene Herausforderungen von Sozialer Inklusion: 


Armut

Ein Viertel der Personen unter 18 Jahren lebten in Deutschland im Jahr 2022 („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 12.) in Armut. Bei der Ermittlung des Anteils der armutsgefährdeten Kinder werden unterschiedliche Forschungen von Messkonzepten genutzt. Die EU-Ratsempfehlung bezüglich der Armutsdefinition richtet sich nach der Quote der von Armut oder sozialer Ausgrenzung gefährdeten Personen. Zur Erhebung der Armutsrisikoquote (AROP-Quote) werden neben dem monetären Armutsrisiko auch das Fehlen von materiellen und sozialen Entbehrungen und geringer Erwerbsintensität einbezogen. Dabei würde ein Blick, der ausschließlich auf die materielle Lage der Kinder und Familien gerichtet ist, andere Dimensionen außer Acht lassen, deshalb ist die Soziale Teilhabe und Chancengleichheit auf soziale, kulturelle und gesundheitliche Dienstleistungen für ein gesundes Aufwachsen von Kindern wichtig („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 13). 

Die COVID-19-Pandemie von 2020 bis 2022 und die überdurchschnittlich steigende Inflation (seit Februar 2022) führen zu einer erhöhten Gefahr von Armut. Durch das Wegfallen von Essensangeboten in Schulen, Kindertagesstätten und bei der Tafel (Die Tafel ist ein deutschlandweit agierender gemeinnütziger Verein, der an armutsbetroffene Menschen Essen verteilt und andere Hilfeleistungen anbietet.) während der COVID-19-Pandemie waren Menschen in Armut zusätzlich belastet und eine Verstärkung der Ernährungsarmut entstand (Stellungnahme: Ernährungsarmut unter Pandemiebedingungen). Vor allem Alleinerziehende und Haushalte mit drei und mehr Kindern sind in Deutschland am meisten von Armut betroffen (6. Armuts- und Reichtumsbericht).


Niedrigerer Bildungsstand

In Deutschland ist jedes 3. Kind unter 18 Jahren von mindestens einer Risikolage betroffen (Bildungsbericht, S. 46). Unter Risikolage wird im Bildungsbericht der Bundesregierung 2022 die Situation verstanden, die dazu führt, dass Kinder erschwerte Bildungschancen in Deutschland haben (Bildungsbericht, S. 45). Besonders in den Blick genommen werden: formal gering qualifizierte Eltern, die soziale und die finanzielle Risikolage (Bildungsbericht, S. 46). Je länger ein Kind in der Risikolage verweilt, desto größer ist die Gefahr, dass sich die Bildungschancen noch weiter verschlechtern (Bildungsbericht, S. 46).  

Die drei vorstehend genannten Risikolagen für Bildung – das Risiko formal gering qualifizierter Eltern, die soziale und die finanzielle Risikolage – betreffen einige Bevölkerungsgruppen in besonderer Weise: Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind, wie schon in den Vorjahren, überproportional häufig von Risikolagen betroffen. 48 % von ihnen wachsen unter der Belastung von mindestens einer Risikolage auf, von den Kindern ohne Migrationshintergrund sind es „nur“ 16 %. Von allen drei Risikolagen sind Kinder mit Migrationshintergrund zu 8 % betroffen, Kinder ohne Migrationshintergrund lediglich zu 1 % (Bildungsbericht, S. 6).

Gleichzeitig hat sich in Deutschland in den letzten 10 Jahren der Anteil der Menschen in der Gesamtbevölkerung, die über einen höheren Bildungsabschluss verfügen, um 5 % auf 26 % erhöht (Bildungsbericht, S. 6). Der Trend, dass immer weniger Jugendliche ohne Schulabschluss die Schule verlassen, bestätigt sich auch im Jahr 2021 (Bildungsbericht, S. 6). Hierbei handelt es sich vor allem um Schüler:innen, die sonderpädagogisch gefördert wurden. Im Vergleich zu anderen Ländern bleibt dieser positive Trend jedoch unter dem Durchschnitt der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (OECD Bericht Deutschland 2022). Der vergleichsweise langsame Anstieg in Deutschland vergrößert den Unterschied zu den anderen OECD-Ländern (OECD Bericht Deutschland 2022).


Weitere Diskriminierungsfaktoren und Bildungshindernisse

Mit den Indikatoren für Risikolagen sind noch nicht alle Faktoren, die zu sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung führen können, benannt. In anderen Modellen werden als (weitere) Risikofaktoren z. B. auch das Aufwachsen mit einem Elternteil, der Migrationshintergrund oder die Beschaffenheit des Sozialraums herangezogen.


Kinder mit Behinderung/Beeinträchtigung 

Der Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, der regelmäßig wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland zusammenträgt, thematisierte 2009 erstmalig die Situation der Kinder und Jugendlichen mit gesundheitlichen Behinderungen/Beeinträchtigungen. Der Bericht beschrieb mehrere benachteiligende Bedingungen, die allerdings in einen engen Zusammenhang mit anderen Risikolagen gestellt wurden (13. Kinder- und Jugendbericht).
Laut der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK, Artikel 1), die am 13.12.2006 verabschiedet wurde und die in Deutschland am 26.03.2009 in Kraft getreten ist, zählen zu Menschen mit Behinderung/Beeinträchtigung „[…] Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ (UN-BRK, Artikel 1).

In Deutschland lebten im Jahr 2023 198.000 Kinder mit einer Schwerbehinderung (Grad der Behinderung von mehr als 50 %). Das entspricht 1,43 % der unter 18-jährigen Kindern und Jugendlichen (Destatis, 2024. Behinderte Menschen). Davon werden 99,9 % der Kinder durch Angehörige gepflegt. 
Nach den UN-BRK zählen jedoch nicht nur Kinder und Jugendliche ab einer Schwerbehinderung zur Gruppe der Menschen mit Behinderung/ Beeinträchtigung (UN-BRK). Wird das Verständnis der UN-BRK über Menschen mit Behinderung/ Beeinträchtigung als Grundlage genommen, steigt die Zahl von 1,43 % auf 3 % in der deutschen Gesellschaft („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 15). 

Aufgrund der COVID-19-Pandemie haben in Deutschland die psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen signifikant zugenommen. Die am Anfang der Pandemie über Monate geschlossene Kindertagesstätten, Schulen und Sportvereine haben bei vielen Kinder und Jugendlichen dazu geführt, dass sie sozial, emotional und motorisch erhebliche Rückstände in der Entwicklung und Bildung haben („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 28). Für Schulkinder war der stattfindende Online-Unterricht nicht vergleichbar mit den regulären Unterrichtseinheiten, so dass besonders bei leistungsschwächeren Schüler:innen Lernrückstände entstanden („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 28). In Kombination mit den Abstands- und Isolationsregelungen führte das zu mehr Einsamkeit, fehlender Bewegung und vermehrten Zukunftsängsten („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 28). Für Familien und Eltern mit Kindern mit Behinderungen/Beeinträchtigungen stellt diese Situation eine besondere Herausforderung dar, da die Kinder ohne Unterstützung von Fachkräften rund um die Uhr gepflegt werden mussten. 

Mit Blick auf die Umsetzung schulischer Inklusion in Deutschland von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen/ Beeinträchtigungen sind deutliche Anstrengungen in den letzten Jahren unternommen, aber zugleich kaum gemeinsame Ziele oder Vorgaben umgesetzt worden. So unterscheiden sich die Länder auch 10 Jahre nach der Ratifizierung der UN-BRK u. a. darin, inwieweit das gemeinsame Lernen rechtlich Vorrang hat, wer auf Basis welcher Diagnoseverfahren über Förderschwerpunkt und -ort entscheidet und wie die Ressourcenallokation erfolgt (Bildungsbericht, S. 6).

Kinder und Jugendliche, die körperliche oder sogenannte „geistige“ Behinderungen/Beeinträchtigungen aufweisen, werden in ihrer Pflichtschulzeit in der Regel durch sonderpädagogische Förderung begleitet. Das erfolgt in Deutschland entweder an allgemeinen Regelschulen oder an Förderschulen

Der Trend des Anstiegs von Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf setzt sich weiter fort (Bildungsbericht, S. 9.; Kinder und Jugendhilfereport (2024), S. 20).


Kinder mit Migrationshintergrund/Fluchterfahrung

In Deutschland nimmt der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund immer mehr zu. Unter Menschen mit Migrationshintergrund wird im Bildungsbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) folgende Personengruppe verstanden: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch die Geburt besitzt.“ (Kinder und Jugendhilfereport (2024), S. 13).  Jede 4. Person in Deutschland hat einen Migrationshintergrund im Vergleich dazu war es vor 10 Jahren jede 5. Person. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund steigt insbesondere in der jüngeren Altersgruppe (Bildungsbericht, S. 5).  Insgesamt lebten in Deutschland (im Jahr 2022) 5,4 Millionen minderjährige Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 16.; Kinder und Jugendhilfereport (2024), S. 16).

In den vergangenen Jahren war das Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund doppelt so hoch wie das von Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (Mikrozensus 2021; Bericht der BMFSFJ: Unbegleitete ausländische Minderjährige in Deutschland). Innerhalb dieser Gruppe stellen Kinder von zugewanderten Roma eine besonders vulnerable Gruppe dar. Insgesamt weisen von den 5,4 Millionen Kindern und Jugendlichen 1,2 Millionen eigene Fluchterfahrungen vor. 2022 veröffentlichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass mehr als ein Drittel der Personen, die einen Asylantrag in Deutschland stellen, minderjährige Kinder und Jugendliche sind (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Aktuelle Zahlen 2022). Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist die Zahl an geflüchteten Kinder und Jugendlichen stark gestiegen und rund ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung in Deutschland ist minderjährig (Statistisches Bundesamt: Ukrainische Bevölkerung in Deutschland). Neben der Armutsgefährdung von Kindern mit Migrationshintergrund kommt der alltäglich erfahrene Rassismus hinzu, der ein erhöhtes Risiko für psychische Belastungen und Erkrankungen schafft (Rassismusbericht). Dabei erfährt jedes siebte von zehn Kindern alltäglich Rassismus aufgrund der Hautfarbe und unabhängig vom Migrationshintergrund (Rassismusbericht).

Auch die Tendenz von staatenlosen Personen in Deutschland ist steigend und umfasste ungefähr 30.000 Menschen im Jahr 2022, davon sind ein Drittel Kinder und Jugendliche (Destatis – Anerkannte Staatenlosigkeit). Staatenlos ist eine Person „[…] who is not considered as a national by any State under the operation of its law. (UNHCR – Statelessness)” Staatenlosigkeit kann entstehen, indem eine Person staatenlos geboren wurde. Z. B. wenn die Eltern des Kindes bereits keine Staatsangehörigkeit besessen haben oder Staaten nur die Staatsangehörigkeit des Vaters auf das Kind übertragen und es bei einer alleinerziehenden Mutter aufwächst. Das Kind kann auch einer sozialen Gruppe angehören, die aufgrund von Diskriminierung keine Staatsangehörigkeit erlangen kann (UNHCR – Statelessness). Die Gefahr für den Status einer Staatenlosigkeit begründen fehlende Grundrechte sowie die Gefahr vor willkürlicher Festnahme, Zwangsarbeit und Menschenhandel (UNHCR – Statelessness Explained).


Obdachlose Kinder und Kinder in Wohnungsnot

Die Statistik der Wohnungslosenberichterstattung im Jahr 2022 zeigt, dass von den in gesamt Deutschland lebenden wohnungslosen Menschen 28 % unter 18 Jahre alt sind (Hochrechnung der BAGW). Dazu kommen rund 6.600 Kinder und minderjährige Jugendliche, die gemeinsam mit Eltern(-teilen) auf der Straße oder in verdeckter Wohnungslosigkeit leben (dazu im Kapitel Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen mehr). Andere Studien schätzen die Zahl der wohnungslosen Kinder und Jugendlichen auf eine geringere Anzahl, jedoch ist die Tendenz seit Jahren steigend (Hochrechnung der BAGW). Besonders die Anzahl an geflüchteten wohnungslosen Kindern und Jugendlichen ist gestiegen. Dieser Anstieg lässt sich unter anderem durch die große Anzahl an geflüchteten Menschen aus der Ukraine erklären (Hochrechnung der BAGW).


Weitere Benachteiligungsfaktoren

Neben den genannten gibt es weitere kontextabhängige Faktoren für die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen, z. B. die Diskriminierungserfahrungen von LSBTIQA* Jugendlichen. (Mit dem Akronym LSBTIQA* sind lesbische, schwule, bi+, trans*, inter*, queere, a_sexuelle und a_romantische Menschen gemeint. Der Asterisk steht zudem für eine Bandbreite von weiteren queeren Identitäten, wie z.B. pan, nicht-binär oder agender. Alternativ wird auch das Adjektiv queer als Sammelbegriff für alle nicht-heterosexuellen, nicht-cis- und/oder nicht-endogeschlechtlichen Personen verwendet (HAY-Studie). Die Identitätsentwicklung lässt sich als ein lebenslanger Prozess beschreiben, der spätestens mit der Geburt beginnt. Dabei erleben gerade Kinder und Jugendlich oft eine Absprache der eigenen Identitätsentwicklung und spätestens in der Pubertät eine Diskriminierung aufgrund ihres sexuellen oder romantischen Begehrens im Sinne einer sexuellen und/oder romantischen Identität (HAY-Studie). In der HAY - How Are You? Studie des Bayrischen Jugendring und des IDA – Institut für Diversity und Antidiskriminierungsforschung von 2023 gaben 95 % der jungen Menschen an, Diskriminierungserfahrung erlebt zu haben (HAY-Studie).  Im Vergleich dazu spricht sich eine klare Mehrheit (70 %) der Deutschen gegen die Diskriminierung der queeren Community in der Ipsos Pride Studie 2024 aus (Lesben und Schwulenverband Deutschland – Respekt über Bildung vermitteln). Ein Drittel der deutschen Bevölkerung sieht keinen Bedarf darin, dass lesbische, schwule, bisexuelle oder trans* Personen geschützt werden müssen und das, obwohl queerfeindlichen Ansichten vor allem bei jungen Männern in Deutschland zunehmen (IPSOS Pride Studie 2024). Deutschland gehört somit zu den wenigen Ländern, in denen sich die Akzeptanz queerer Lebensweisen in den letzten Jahren positiv entwickelt hat. Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellung in Deutschland 2020/2021“ zeigt jedoch, dass die Diskriminierung, die Betroffene alltäglich erleben, deutlich subtiler geworden und immer noch verbreitet ist (Leipziger Autoritarismus-Studie 2022).

Auch die religiöse Zugehörigkeit von Kindern und Jugendlichen führt zu Diskriminierungserfahrungen im Alltag. Besonders die COVID-19-Pandemie hat den Verschwörungsglauben und Antisemitismus befeuert. Viele Mythen um die COVID-19-Pandemie bauen auf antisemitischen Vorurteilen auf und führen dazu, dass ein Drittel der jungen Menschen in Deutschland antisemitisch denkt (The 2022 WJC Report on Anti-Semitisim in Germany; Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment. Antisemitismus im Kontext Schule). Hinzu kommt der Angriffskrieg der Hamas auf Israel im Oktober 2023, welcher dazu geführt hat, dass die Anzahl an antisemitischen Straftaten signifikant gestiegen ist (Bundeskriminalamt – Statistik für das Jahr 2023). Auch der antimuslimische Rassismus spielt in Deutschland eine Rolle, knapp die Hälfte der Menschen in Deutschland stimmen der Aussage „durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ zu (Leipziger Autoritarismus-Studie 2022, S. 64f). Das führt dazu, dass Muslim:innen häufiger von mehrdimensionaler Diskriminierung betroffen sind (Bertelsmann Stiftung, Religionsmonitor. Vielfalt und Demokratie; SVR-Forschungsbereich, „Wo kommen Sie eigentlich ursprünglich her?"). Genaue Zahlen darüber, wie viele Kinder und Jugendliche auf Grund ihrer Religion einer Diskriminierung ausgesetzt sind, gibt es bisher nicht. 

Die Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen aus prekären Familienverhältnissen stellt -wie erwähnt - einen Benachteiligungsfaktor dar. Dazu gehören Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, die Teenagereltern haben oder Careleaver:innen sind. (Careleaver:innen sind Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen der Heimerziehung oder in Pflegefamilien betreut werden (Deutsches Jugendinstitut, Care Leaver Statistic)) .So wächst z. B. nur jedes dritte Kind aus suchtbelasteten Familien „gesund auf“ und trägt ein hohes Risiko im weiteren Verlauf des Lebens selbst eine Sucht- und/oder psychische Erkrankung zu entwickeln (Jahresbericht 2021 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung).

Nationale Untersuchungen mit Informationen zur sozialen Inklusion junger Menschen

  • Kinder- und Jugendbericht - Seit 1965 erstellt und veröffentlicht die Bundesregierung unter der Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) einen nationalen Kinder- und Jugendbericht. Er wird von der Bundesregierung an eine Sachverständigenkommission in Auftrag gegeben. Nach Übergabe des Berichtes an das BMFSFJ wird der Bericht zusammen mit einer Stellungnahme der Bundesregierung, dem Bundestag und Bundesrat gemäß § 84 SGB VIII vorgelegt. In dem Bericht enthalten sind eine Bestandsaufnahme und Analyse sowie Vorschläge zur Weiterentwicklung der Jugendhilfe. Zudem soll jeder dritte Bericht einen Überblick über die Gesamtsituation der Jugendhilfe vermitteln. Der 17. Bericht erscheint im Herbst 2024.
  • Armuts- und Reichtumsbericht - Seit 2001 erstellt und veröffentlicht die Bundesregierung unter der Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) einen nationalen Armuts- und Reichtumsbericht. Der Bericht gibt Auskunft über die soziale Lage in Deutschland, unter anderem über Themen wie Einkommens- und Vermögensverteilung, Behinderung, Kinderbetreuung, Investitionen in Bildung, Bildungsniveau der Bevölkerung, Armutsrisikoquote, Wirkung von Sozialtransfers, Wohnungslosigkeit u.a. Die eingeschlossene Situation von Kindern und Jugendlichen wird zum Teil gesondert thematisiert. Der Bericht trägt diesbezüglich die Erkenntnisse der Forschung zusammen, benennt die wichtigsten Faktoren, die individuellen Abstiegsrisiken erhöhen, und identifiziert Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Organisation von Chancen zur Überwindung von Risikolagen. Die Analysen sollen den gesellschaftspolitisch Handelnden auf den verschiedenen Ebenen der Verantwortlichkeit helfen, Orientierung bei der Gestaltung einer Politik der sozialen Mobilität zu finden. Bisher sind sieben Berichte erschienen, der letzte Bericht 2021.
  • Nationaler Bildungsbericht - Seit 2004 wird der Nationale Bildungsbericht alle zwei Jahre erstellt. Er liefert Zahlen und Entwicklungen aus allen Bildungsbereichen - von der frühkindlichen Bildung bis zur beruflichen Weiterbildung. Erstellt wird der Bildungsbericht unter Federführung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und unter Mitwirkung folgender Einrichtungen: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), Soziologisches Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI), Deutsches Jugendinstitut (DJI), Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V. (LIfBi) sowie die Statistischen Ämter von Bund und Ländern. Auftraggeber sind die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
  • Familienbericht – Seit 1965 legt die Bundesregierung in jeder zweiten Wahlperiode einen Bericht über die Lage der Familien in Deutschland vor. Mit der Ausarbeitung beauftragt die Bundesregierung jeweils eine Sachverständigenkommission und nimmt, wie beim Kinder- und Jugendbericht, zu dem Bericht Stellung. Der neunte Familienbericht ist 2021 erschienen.
  • Familienreport – Seit 2009 gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) den Familienreport bis 2014 jährlich und seitdem alle zwei bis drei Jahre heraus. Der Familienreport beschreibt die vielfältigen Lebenslagen der Familien in Deutschland. Er enthält u.a. eine umfassende Bestandsaufnahme langfristiger Trends, aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und informiert über familienpolitische Programme und Maßnahmen der Bundesregierung. Die 8. Ausgabe ist 2020 erschienen.
  • Wohnungslosenbericht – Mit dem im Jahr 2024 erstmals erschienenen Wohnungslosenbericht kommt „[…] die Bundesregierung ihrem gesetzlichen Auftrag aus dem Wohnungslosenberichterstattungsgesetz nach, für das drängende Problem der Wohnungslosigkeit belastbare Informationen über Ausmaß und Struktur für das gesamte Bundesgebiet zu erlangen. Der Bericht umfasst drei Gruppen wohnungsloser Menschen: untergebracht wohnungslose Personen, verdeckt wohnungslose Personen und wohnungslose Menschen ohne Unterkunft. […] In dem Bericht werden die sozialstrukturellen Merkmale der drei Gruppen wohnungsloser Menschen analysiert. Zudem werden Empfehlungen der Forschenden zur Weiterentwicklung der Berichterstattung sowie künftigen Analyseschwerpunkten diskutiert und die politischen Handlungsansätze des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vorgestellt, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen und bis zum Jahr 2030 zu beseitigen (Wohnungslosenbericht).“ Federführend sind das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), die den Forschungsauftrag an das Konsortium GISS/Kantar vergeben haben.
  • Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen – Seit 2016 legt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in jeder Legislaturperiode einen Teilhabebericht vor. Der Bericht bietet einen systematischen und ausführlichen Forschungsüberblick über die Entwicklung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung/Beeinträchtigung in Deutschland. Im April 2021 erschien der dritte Teilhabebericht.
  • Gleichstellungsbericht – Seit 2011 legt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) einen Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern vor. Für den Bericht werden stets Sachverständige durch das BMFSFJ beauftragt. Die Sachverständigen sollen unterschiedliche Auswirkungen, Chancen und Risiken der heutigen Herausforderungen auf das Leben von Frauen und Männern in den Blick nehmen und konkrete Handlungsempfehlungen entwickeln. Der dritte Bericht ist 2021 erschienen.
  • Engagementbericht – Seit 2009 wird die Bundesregierung in jeder Legislaturperiode aufgefordert, einen Bericht zur Lage des bürgerschaftlichen Engagements vorzulegen. Die Bundesregierung soll damit nachweisen, eine nachhaltige Engagementpolitik zu gewährleisten und dazu beizutragen, dass sich in der Gesellschaft vorhandenes Potenzial für bürgerschaftliches Engagement entfalten kann. Eine unabhängige Sachverständigenkommission erstellt den Bericht und wird durch eine Stellungnahme der Bundesregierung ergänzt. Der vierte Engagementbericht wird 2025 erscheinen.
     

Darüber hinaus gibt es wissenschaftliche Untersuchungen zur Evaluation von Förderprogrammen sowie zu jugend- und sozialpolitischen Einzelfragen. Evaluationen dienen als Grundlage für politische Entscheidungen zu Programmen und Maßnahmen. Einige ausgewählte aktuelle Evaluationen:

  • Lagebericht Rassismus – Die Bundesregierung hat 2022 die Bekämpfung von Rassismus und anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit als höchste Priorität gesetzt. Deshalb wurde die Integrations- und Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung aufgefordert, einen Bericht zu Rassismus in Deutschland zu schreiben. Der Bericht wurde 2023 veröffentlicht und ist der erste seiner Art. Der Bericht ist ein umfassendes Dokument mit Daten und Fakten, Analysen der Erscheinungsformen, Transparenz der Leerstellen bei Präventionen und basiert auf einem umfassenden wissenschaftlichen Verständnis von Rassismus.
  • Kinder- und Jugendhilfereport – Der Kinder- und Jugendhilfereport wird durch die Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik im Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut (DJI)/Technische Universität Dortmund erstellt. Der Report gibt kennzahlenbasiert Auskunft über die unübersichtliche Landschaft der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland insgesamt sowie ihre Arbeitsfelder. Dabei bündelt er die wichtigsten statistischen Daten der gesamten Kinder- und Jugendhilfe. Im März 2024 ist die neunte Ausgabe erschienen.
  • Bericht der Bundesregierung über die Situation unbegleiteter ausländischer Minderjähriger in Deutschland – Der Bericht wurde im Mai 2023 durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau und Jugend (BMFSFJ) aufgrund eines Beschlusses des Bundeskabinetts veröffentlicht. „Er basiert auf amtlichen Statistiken und auf Ergebnissen aus Befragungen von Jugendämtern, Fachverbänden und Einrichtungen, in denen UMA [unbegleitete minderjährige Ausländer] leben. Der Bericht befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Jahr 2021, greift punktuell, aber auch neuere Entwicklungen mit auf. Demnach wurden unbegleitete Minderjährige im Berichtszeitraum weitgehend rechtssicher und kindeswohlgerecht aufgenommen, untergebracht und versorgt. Zugleich macht der Bericht jedoch auch deutlich, dass die seit 2022 wieder steigende Zahl unbegleiteter Minderjähriger die zuständigen Kommunen vielerorts vor wachsende Herausforderungen stellt (Bericht der Bundesregierung – Situation unbegleiteter ausländischer Minderjährige).“
  • Deutscher Freiwilligensurvey (FWS) - Zur Unterfütterung der Förderung freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements werden regelmäßig wissenschaftliche Daten gesammelt und veröffentlicht. Seit 1999 wird alle fünf Jahre eine repräsentative Befragung zum freiwilligen Engagement in Deutschland per Telefon durchgeführt. Dadurch werden Erfahrungen über gesellschaftliche Trends gewonnen. In Deutschland engagieren sich rund 40 % der Bevölkerung ab 14 Jahren. Der Anteil ist in den letzten zwanzig Jahren stetig gestiegen.
  • Deutschlandatlas – „Der Deutschlandatlas ist ein gemeinsames Angebot des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI). Für den Deutschlandatlas bringen verschiedene Behörden ihre Expertise und aktuelle Daten ein. Zweimal im Jahr werden die Karten aktualisiert (Deutschlandatlas).“

Das Statistische Bundesamt liefert regelmäßig Daten u.a. zur Kinder- und Jugendhilfe, zum Bildungsstand, zur Sozialberichterstattung und zur Sozialhilfe. Destatis hat den Auftrag, objektive, unabhängige und qualitativ hochwertige statistische Informationen bereitzustellen und zu verbreiten. Die Bundesstatistiken stehen Politik, Verwaltung, Wirtschaft sowie Bürger:innen zur Verfügung.

Wichtige Konzepte

Der Begriff „Soziale Inklusion“ wird in Deutschland hauptsächlich im Kontext von Schulbildung verwendet. Zudem wird er vielfach speziell im Kontext von Menschen mit Behinderung/Beeinträchtigung genutzt und nicht im Kontext von marginalisierten und diskriminierten Personengruppen. Das Verständnis wird u. a. von der öffentlichen Debatte um die „inklusive Schule“ geprägt.

Ein alternativer und im Zusammenhang mit sozialen Prozessen häufig verwendeter Begriff in Deutschland ist „Integration“. Der Begriff wird schwerpunktmäßig in Bezug auf zugwanderte Menschen verwendet. Das Bundesministerium für Inneres und Sicherheit (BMIS) spricht von einer gelungenen Integration, wenn sich zugewanderte Personen in der deutschen Gemeinschaft zugehörig fühlen und ein gemeinsames Verständnis für ein Zusammenleben herrscht. An dem Begriff wird kritisiert, dass hiermit entweder einseitige Harmonisierungsbewegungen gemeint sind – Menschen müssen sich in die sogenannte Mehrheitsgesellschaft im Sinne von ein- oder anpassen integrieren – oder eine gesellschaftliche, soziale und rechtliche Gleichstellung, aber keine Durchmischung bezeichnet wird („Parallelgesellschaften“). Demgegenüber bezeichnet Inklusion die aktive (gesellschaftliche) Überwindung von exkludierenden Faktoren.

Der Begriff Wohnungslosigkeit wird in Deutschland dann genutzt, wenn Personen auf der Straße oder langfristig oder dauerhaft in Zelten, Pkw, Abbruchhäusern oder Garagen leben. Daneben gibt es Menschen, die in verdeckter Wohnungslosigkeit existieren und folglich deutlich weniger sichtbar sind (Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Nationaler Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit 2024. Gemeinsam für ein Zuhause, S. 8). „Verdeckt wohnungslose Menschen verfügen über keinen eigenen Mietvertrag und kommen bei Verwandten, Freunden oder Bekannten unter. Auch sie sind wegen ihrer rechtlich und faktisch unsicheren Wohnsituation sowie der Gefahr von Ausbeutung und Missbrauch als vulnerable Gruppe zu betrachten (Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Nationaler Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit 2024. Gemeinsam für ein Zuhause, S. 13).“

©

Dieser Artikel wurde auf www.youthwiki.eu in englischer Sprache erstveröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Übernahme.

Back to Top