Forum Bildung Digitalisierung
Was bedeutet Bildungsgerechtigkeit in der digitalen Welt?
Am 24. und 25. April 2024 lud das Forum Bildung Digitalisierung zur achten Konferenz Bildung Digitalisierung (KonfBD24) ein. Unter dem Motto „Mind the Gap!“ diskutierten über 700 Bildungsexpert*innen und Schulvertreter*innen die Herausforderungen von Bildungs- beziehungsweise Chancengerechtigkeit in einer digitalen Welt.
10.06.2024
Das Forum Bildung Digitalisierung fungiert als öffentliche Dialogplattform mit dem Ziel, die zahlreichen Debatten über Digitalisierung in der Bildung zu bündeln sowie zu einer nachhaltigen Strategie für das deutsche Bildungssystem beizutragen.
Als Mitbegründerin des Forums lädt die Siemens Stiftung seit Jahren gemeinsam mit anderen renommierten deutschen Stiftungen Interessierte ein, sich am Austausch vor Ort in Berlin oder online zu beteiligen. Zur Konferenz Bildung Digitalisierung 2024 im silent green Kulturquartier kamen über 700 Teilnehmende und rund 150 Speaker*innen. Das zweitägige Programm umfasste Keynote-Vorträge, Podiumsdiskussionen und Einzelsessions. In den Austauschpanels diskutierten Expert*innen aktuelle Themen und Herausforderungen. Darüber hinaus präsentierten Schulen und Bildungseinrichtungen erfolgreiche Praxisprojekte zur digitalen Transformation.
„digital divide“ als Herausforderung
Der Fokus der diesjährigen Konferenz lag auf dem „digital divide“. Impulse aus den umfassend vertretenen Bildungs- und Erziehungswissenschaften untermauerten den nachdrücklichen Handlungsbedarf. Querverweise, nicht nur auf die internationalen Vergleichsstudien wie PISA, skizzierten über die einzelnen Beiträge hinaus ein heterogenes, komplexes Bild der Bildungspolarisierung.
Trotz jahrzehntelanger Bemühungen ist es nicht gelungen, die signifikanten Unterschiede von sozioökonomischen Status und Bildungserfolg in der Schul- und Unterrichtsgestaltung auszugleichen.
Auch Ergebnisse wie der IQB-Bildungstrend 2022 bleiben ernüchternd und zeigen, dass Schüler*innen aus Familien mit höherem sozioökonomischen Status im Durchschnitt auch höhere Kompetenzwerte aufweisen. Dies verdeutlicht, dass selbst die klassischere Schulbildung nach wie vor weder ausgeglichen noch gerecht gestaltet wird. Mit dem Möglichkeitsraum, der in seiner Tiefe und Breite durch die Digitalität unsere Gesellschaft und Kultur prägt, entstehen demnach weitere, neue digital-geprägte Ungleichheiten, die ebenso verstärkend wirken.
Während Unterschiede zwischen analog und digital unter den Bedingungen der Digitalität verschwimmen, bleiben ungleiche – in der Sprache des „third digital divide“ – Outcomes zurück (Scheerder et al., 2019). Ein bloßer Einsatz digitaler Medien oder auch aktuell Künstliche Intelligenz wie ChatGPT bieten zwar Potential für Lehren und Lernen, verändern per se jedoch keine Bildungschancen, insbesondere dann, wenn ein allgemeines Bildungsverständnis nicht hinterfragt wird.
Bildungsgerechtigkeit neu denken
In dem durch Dr. Nina Smidt, Geschäftsführende Vorständin und Sprecherin der Siemens Stiftung moderierten Panel zur Gestaltung einer chancen- und teilhabegerechten Bildung in der schulischen Praxis wurde dies besonders deutlich: Mit Prof. Dr. Hans Anand Pant vom Institut für Erziehungswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin gewannen die Teilnehmenden einen Blick in die Interpretationsfreiheit des Bildungsgerechtigkeitsbegriffs. So zeigte Prof. Dr. Pant anhand der Analyse der Gutachten der Ständischen Wissenschaftlichen Kommission, welche Gerechtigkeitsverständnisse vorherrschend sind.
Es gibt „legitime und illegitime“ Einflüsse auf „legitime“ Ungleichheit. Welche Aufgabe dabei das Bildungssystem, welche Rolle die Einzelschule und welche Entscheidungsfreiheit die einzelne Lehrkraft dabei haben, wurde offen zur Disposition gestellt – und rege durch die Teilnehmenden sowie im anschließenden Panel diskutiert. Dr. Stephan Kielblock (DIPF / Leibniz-Institut für Bildungsforschung), Birgit Schröder (SINE-CURA-Schule), Laura Bender (Teach First GmbH) und Jolina Leuschner (Landesschülerausschuss Berlin) berichten hierbei ausführlich aus ihrer jeweiligen Praxis und ihren Erfahrungen. Besonders schön: Auch Schüler*innen hatten die Gelegenheit ihre Meinung einzubringen und die derzeitigen Bemühungen zu kommentieren.
Von adaptiven Lernumgebungen und neuen Möglichkeiten im Ganztag
Einig waren sich alle, dass Digitalisierung enorme Chancen bietet für mehr Inklusion und Teilhabe. Sei es durch digitale Assistenzsysteme in der Sonderpädagogik oder adaptive Lernumgebungen, die sich individuell an die Bedürfnisse der Lernenden anpassen lassen. Digitale Infrastruktur – und auch deren problemlose und selbstverständliche Nutzung – seien entscheidend. Ebenso bieten außerschulische Angebote und Nachmittagsbetreuung im Ganztag wichtige Ansatzpunkte.
Doch um chancengerechte Teilhabe auch im digitalen Zeitalter zu ermöglichen, ist ein Mentalitätswandel erforderlich. Anstatt auf perfekte Lösungen zu warten, sollten Lehrende offen für neue digitale Lehr- und Lernformate sein. Gleichzeitig muss ihnen dafür ausreichend Zeit eingeräumt werden. Laura Bender brachte die Diskussion treffend auf den Punkt:
„Was mich so ein bisschen stört, ist dieses Warten, dass irgendwann ein dickes Buch der digitalen Didaktik rauskommt, die nicht kommen wird. Wir sollten einfach viele Sachen ausprobieren.“
Dr. Nina Smidt, Geschäftsführende Vorständin der Siemens Stiftung betont:
„Bildung für zukünftige Generationen bedeutet, sich gleichermaßen in der digitalen Welt zurechtfinden zu können. Hierbei ist nicht länger nur die einzelne Person gefragt, sondern die Möglichkeit, sich in verschiedenste Gemeinschaften einzubringen.“
Chancen durch Künstliche Intelligenz und Open Education
In unserer digitalen Ära ist ein Bildungssystem nur dann gerecht, wenn es mehr als den Zugang zum Internet thematisiert. Gleichzeitig ist er doch Voraussetzung, um Ungleichheiten in einer Gesellschaft zu überwinden, deren prägende Kultur und Funktionen zunehmend auch online organisiert werden.
Normierung oder die versuchteAngleichung von Bildungsbiografien kann in einer Kultur der Digitalität daher nicht länger die Antwort auf Bildungs(un)gerechtigkeit sein. Künstliche Intelligenz wird nur dann Teilhabe ermöglichen, wenn sie letztendlich nicht nur jedem zugänglich ist, sondern Bildung, Lehren und Lernen transformativ gedacht wird. Nur so erhöhen sich die Chancen für alle Menschen, an Bildung teilzuhaben. Offene Bildungsressourcen (OER) schaffen dabei gerechtere Zugänge zu Bildungsmaterialien. Sie haben u.a. auf dem Medienportal der Siemens Stiftung ihr Zuhause.
MINTplus vermittelt entscheidende Kompetenzen
Mit MINTplus verfolgt das Bildungsteam einen Ansatz, der nicht länger die Aufteilung von Wissen in Fächern verlangt, sondern sich mit aktuellen Problemstellungen auseinandersetzt. Die internationalen Erfahrungen aus der Klimawandelbildung bestätigen, der Flächenbrand des menschengemachten Klimawandels wird auf lokaler Ebene individuell ausgehandelt. Den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können wir nur gemeinsam, als vernetzte Gesellschaft begegnen.
Wieder einmal hat die Konferenz des Forums Bildung Digitalisierung gezeigt: Die Zukunft der Bildung ist offen; die Herausforderungen einer unbestimmten, schnelllebigen und klimavulnerablen Welt werden wir auf alten Pfaden jedoch nicht lösen können. Es sind neue Fähigkeiten gefragt, die erst Teilhabe und Gemeinschaft in der Welt des neuen Jahrtausends perspektivisch lebenswert machen.
Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen vom 31.05.2024
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