Resümee zum Nationalen Bildungsbericht
Der Frust, immer ganz hinten in der Schlange zu stehen
Der Nationale Bildungsbericht dokumentiert alle zwei Jahre die Entwicklung des deutschen Bildungssystems auf Grundlage aktueller Zahlen und Analysen. Er ist gerade neu erschienen. Wie fällt das Resümee von Andreas Knoke-Wentorf, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS)-Bildungsexperte aus?
10.07.2024
Schaut man auf die letzten zehn Jahre, gab es durchaus ein paar positive Veränderungen. So haben sich die Bildungsausgaben seit 2012 fast verdoppelt, deutlich mehr Kinder besuchen eine Kita und der Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote im Schulalter ging kontinuierlich voran. Dennoch überwiegen die weniger guten Nachrichten. Denn der Nationale Bildungsbericht 2024 zeigt vor allem eines sehr deutlich: Wir haben im Bildungsbereich ein großes Ungerechtigkeitsproblem und sind weit davon entfernt, das Versprechen auf gute Bildung für alle einzulösen.
Woran lässt sich diese Ungerechtigkeit festmachen?
In Deutschland wächst fast ein Drittel aller Minderjährigen in mindestens einer von drei sogenannten Risikolagen auf. Diese beziehen sich auf das familiäre Umfeld und haben gleichzeitig einen entscheidenden Einfluss darauf, ob und wie Kinder und Jugendliche von unserem Bildungssystem profitieren. Kinder von Alleinerziehenden oder mit Einwanderungsgeschichte sind besonders stark von Risikolagen und den daraus resultierenden Benachteiligungen betroffen.
Diese Form der Ungerechtigkeit findet sich über alle Bildungsbereiche hinweg und beginnt schon sehr früh. So besuchen etwa 3- bis unter 6-jährige Kinder mit Migrationshintergrund nicht nur deutlich seltener eine Kita, sondern ihre Beteiligungsquote an der Kindertagesbetreuung ist entgegen dem allgemeinen Trend seit 2014 sogar noch um 7 Prozent gesunken.
Du beschäftigst Dich auch viel mit dem Übergang Schule-Ausbildung. Berufsbildung war ein Schwerpunkt des Nationalen Bildungsberichts 2024. Was sind hier wichtige Entwicklungen?
Insgesamt hat sich die Lage am Ausbildungsmarkt in den letzten zwei Jahren leicht verbessert. 2023 haben wieder mehr Jugendliche eine duale Ausbildung begonnen als beim Einbruch während der Coronapandemie. Zwei große Herausforderungen bleiben jedoch ungelöst. Wir schaffen es weiterhin nicht gut genug, die Ausbildungssuchenden und die Ausbildungsplätze zusammenzubringen. Das führt dazu, dass vor allem Jugendliche ohne oder mit einem Ersten Schulabschluss leer ausgehen. Der Frust dieser Jugendlichen, immer ganz hinten in der Schlange zu stehen, nicht gesehen und gebraucht zu werden, kann zu einem echten Problem werden. Und auch die Ausbildungsintegration und der Ausbildungserfolg zugewanderter Jugendlicher bleiben unbefriedigend.
Was sollte getan werden, um diese Situation zu verbessern?
Aus meiner Sicht müssen wir vor allem die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem beseitigen und dafür sorgen, dass viel mehr Jugendliche am Ende der Schulzeit über das Wissen und die Kompetenzen verfügen, die sie für den Übergang ins Berufsleben brauchen. Dafür müssen wir möglichst früh ansetzen, etwa indem das Startchancenprogramm nicht nur Schulen, sondern auch Kitas in herausfordernden Lagen gezielt unterstützt. Oder indem wir Ansätze wie Familienzentren ausbauen und dafür sorgen, dass sie wirklich alle Kinder und Eltern erreichen.
Und gleichzeitig müssen wir die Unterstützungsangebote am Übergang besonders für formal gering qualifizierte und zugewanderte Jugendliche weiter verbessern. Aus der SINUS-Jugendstudie und anderen Jugendbefragungen wissen wir, wie wichtig hier eine individuelle und persönliche Begleitung ist. Das müssen wir hinbekommen, denn wir brauchen diese jungen Menschen dringend als künftige Fachkräfte. Und sie brauchen uns für ihre berufliche und persönliche Zukunft.
Weitere Informationen
Andreas Knoke-Wentorf ist Diplompädagoge und Experte der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung für Frühe Bildung und den Übergang Schule-Beruf. Als Vater und Pendler zwischen dem Brandenburger ländlichen Raum und dem DKJS-Büro in Berlin-Kreuzberg beobachtet er auch privat, wie unterschiedlich und herausfordernd die Zukunftsperspektiven junger Menschen sein können.
Quelle: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) vom 28.06.2024
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