Hessischer Jugendring

Kinder und Jugendliche in der Ukraine-Krise nicht allein lassen

Der Vorstand des Hessischen Jugendrings (hjr) bezieht als Interessenvertretung von jungen Menschen in Hessen Stellung zur Situation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Ukraine-Krise. Vor dem Hintergrund aktueller und zu erwartender Fluchtbewegungen angesichts des Kriegsgeschehens in der Ukraine ist es dem hjr besonders wichtig, dass die Bedarfe junger betroffener Menschen im Fokus aller politischen Maßnahmen stehen und die UN-Kinderrechtskonvention Anwendung findet.

14.03.2022

Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen im Krieg und auf der Flucht

Kinder und Jugendliche im Krieg und auf der Flucht sind massiven psychischen Belastungssituationen ausgesetzt, haben kriegerische Handlungen erlebt, sind von Familienangehörigen getrennt und ihrer Lebenswelt entrissen. Sie benötigen schnell und unbürokratisch Zugang zu gesundheitlichen und psychosozialen Hilfeangeboten. Die spezifischen Bedarfe junger Menschen nach Schutz, einem sicheren und stabilen Umfeld und psychischer, sozialer und gesundheitlicher Integrität müssen besonders im Fokus stehen. Politische Anstrengungen müssen sich darauf konzentrieren, alle Voraussetzungen zu schaffen, um dieser vulnerablen Zielgruppe ein sicheres Umfeld zu schaffen und sie in das Kinder- und Jugendhilfesystem, das Bildungs- und Betreuungssystem sowie andere soziale Hilfesysteme zu integrieren.

Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen gemeinsam verarbeiten

Kinder und Jugendliche in Deutschland erleben derzeit eine enorme Bedrohungssituation und bekommen die Kriegsereignisse teils unmittelbar über betroffene Freunde und deren Familien, teils über Berichterstattung z. B. in Sozialen Medien mit. Dadurch entstehende psychische Belastungen sind sehr ernst zu nehmen und müssen angemessen durch Erwachsene, Pädagog_innen und Lehrer_innen sowie jugendgerechte Medienangebote aufgefangen werden. Proaktive Gesprächsangebote, altersgerechte Einordnung der Geschehnisse und Austauschmöglichkeiten müssen flächendeckend in Schule, Jugendhilfe- und Beratungsangebote integriert werden. Auch Unterstützungsangebote für Eltern, pädagogische Fachkräfte und ehrenamtliche Jugendleiter_innen für die gemeinsame Verarbeitung von Ängsten und Erfahrungen sowie medienpädagogische Empfehlungen für den Umgang mit Kriegsdarstellungen in Social Media sind zu fördern.  

Unterbringung und Versorgung junger geflüchteter Menschen   

Eine den Standards der Jugendhilfe entsprechende dezentrale Unterbringung begleiteter junger Menschen gemeinsam mit engen Angehörigen ist zu fördern und umzusetzen. Gerade Gemeinschaftsunterkünfte sind aufgrund der Enge und der fehlenden Rückzugsmöglichkeiten sowie eines erhöhten Risikos für sexuelle Übergriffe keine geeigneten Aufenthaltsorte für Kinder und Jugendliche. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene müssen angemessen und nach den Maßgaben des Kindeswohls untergebracht und versorgt werden. Dazu gehört auch, dass Kinder, die ohne Begleitung in Deutschland ankommen, im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe in Obhut genommen und untergebracht werden. Es ist bei der Unterbringung unabhängig von der Unterbringungsart insbesondere auf den Vorrang des Kindeswohls sowie institutionelle Konzepte und andere Maßnahmen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt zu achten.

Umgang mit der Fluchtbewegung und besonders mit geflüchteten jungen Menschen  

Die Erfahrungen im Krieg, das Verlassen der Heimat, Gewalterfahrungen, aber auch die Unsicherheit wo es hingeht und die Angst von der Familie getrennt zu werden, sind nur einige der psychischen Belastungen, denen Kinder und Jugendliche auf der Flucht ausgesetzt sind. Entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention sind Kinder und Jugendliche in besonderem Maße und angemessen zu schützen. Dazu gehört eine schnelle Aufnahme von jungen Geflüchteten und ihren Familien aus der Ukraine, egal welcher Nationalität sie angehören, sowie eine geeignete Unterbringung. Darüber hinaus müssen gute Voraussetzungen für das Ankommen von jungen Geflüchteten geschaffen werden. Es müssen Schulplätze, Kindereinrichtungsplätze und Sprachkurse sofort zur Verfügung stehen und die Unterstützung bei individuellen und pädagogischen Bedürfnissen gewährleistet werden. Ebenso muss zivilgesellschaftliches Engagement, die Öffnung von Strukturen und die Förderung von Angeboten der außerschulischen und politischen Bildung unterstützt werden, um mit Teilhabe und Partizipation jungen Geflüchteten und ihren Familien den Zugang zu ermöglichen. 

Jugendhilfe und Jugendarbeit für alle Kinder und Jugendlichen  

Infolge des Kriegs werden viele begleitete und unbegleitete Kinder und Jugendliche in Hessen leben. Die Jugendhilfe steht in der Pflicht für diese Kinder und Jugendlichen Angebote zu machen, die deren Schutz, Förderung und Partizipation unterstützen. Dabei muss insbesondere auch die Jugendarbeit einbezogen werden, damit Kinder und Jugendliche neben schulischer Integration und Bildung gute Angebote finden. Es ist wichtig, dass die Angebote der Jugendhilfe geflüchteten Kindern und Jugendlichen gleichberechtigt zugänglich sind – deren Rechte auf Förderung und Partizipation unterscheiden sich nicht von Kindern und Jugendlichen aus Deutschland.

Damit dies gelingt, müssen die öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe schon jetzt ihre Strukturen, Angebote und Konzepte auf die bevorstehenden Veränderungen anpassen und ausbauen. Die Kapazitäten an außerschulischen Angeboten müssen bedarfsgerecht ausgebaut werden. Die hessische Jugendpolitik muss auf der Landesebene und auf der kommunalen Ebene dafür sorgen, dass Rahmenbedingungen und Finanzierung hierfür gute Voraussetzungen bieten.

Bedeutung von Frieden und internationaler Freundschaft

Internationale Jugendpolitik ist ein zentraler Baustein für Frieden und internationale Solidarität. Gerade der internationale Jugendaustausch trägt maßgeblich zum Abbau von Rassismus, Vorurteilen und Stereotypen bei und leistet so einen wichtigen Beitrag, Menschen über Ländergrenzen hinweg zu verbinden und ein friedliches Miteinander entstehen zu lassen. Gemeinsam mit weltweit stattfindenden Jugendbegegnungsreisen, internationalen Freiwilligendiensten, internationalen Camps und kooperativer Gremienarbeit setzt sich der hjr aktiv für Frieden, Toleranz und ein respektvolles sowie vielfältiges Miteinander ein. Diese demokratischen Errungenschaften gilt es in Krisenzeiten besonders zu schützen.

Partnerregion in der Ukraine

Die Jugendverbände in der internationalen Jugendarbeit machen internationale Solidarität konkret erfahrbar. Mit den Partnerstrukturen der Jugendverbandsarbeit in Hessen – zum Beispiel in Frankreich, Polen und den USA – ist diese vernetzt und setzt sich in enger Kooperation für Vielfalt, Demokratie und Solidarität ein. In Anbetracht der gegenwärtigen Lage fordert der hjr, die partnerschaftliche Arbeit mit Jugendorganisationen in der Ukraine zu unterstützen und zu intensivieren sowie die dafür notwendigen Rahmenbedingungen auch in Hessen zu schaffen. Er regt daher die Diskussion um eine Partnerregion in der Ukraine an, um zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort, die sich für Demokratie, Freiheit und Frieden engagieren, proaktiv zu unterstützen. Seine Solidarität gilt allen zivilgesellschaftlich engagierten Menschen in der Region und ihrem Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und Frieden.

Gegen Nationalismus und Rassismus  

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine lässt sich auch in Deutschland beobachten, wie sich nationalistische Tendenzen in verschiedenen Communitys verstärken. Die Idealisierung einzelner Nationen führt immer auch zu Ausgrenzung und Abwertung anderer. Im konkreten Fall wird fälschli-cherweise Verantwortung für den Krieg Menschen zugeschrieben, die unbeteiligt sind. Das lässt sich derzeit gegenüber (vermeintlich) russischsprachigen und russischstämmigen Menschen in Deutschland beobachten. Seit Kriegsbeginn kommt es beispielsweise vermehrt zu Mobbing von Jugendlichen auf Schulhöfen oder Sachbeschädigungen an russischen Geschäften.  
Neben diesen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung wurde über rassistische Vorfälle an der ukrainisch-polnischen Grenze berichtet, bei denen nicht-weißen Menschen die Flucht erschwert wurde. Diese Vorfälle müssen überprüft werden. Der hjr fordert, dass alle Menschen, unabhängig von Herkunft und Nationalität, aus dem Kriegsgebiet fliehen können und positioniert sich klar gegen jede Form von Nationalismus und Rassismus.
 
Weitere Informationen: www.hessischer-jugendring.de

Quelle: Hessischer Jugendring e.V.

Redaktion: Sophie Barth

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