Hate Speech

Jede Form von Antisemitismus erreicht Jugendliche auf allen Sozialen Netzwerken

Seit zehn Jahren geben Social-Media-Unternehmen an, Hassrede regulieren zu wollen und entsprechende Moderationsvorgaben umzusetzen. Beim Thema Antisemitismus führt das leider zu keiner Besserung der Situation: Jede erdenkliche Form von Antisemitismus findet sich ohne große Mühe auf allen Sozialen Netzwerken. Das zeigt eindrücklich ein neuer, europäischer Report, der in der Zusammenarbeit der Organisationen Hope not Hate (UK), der Expo-Stiftung (Schweden) und der Amadeu Antonio Stiftung (Deutschland) entstanden ist.

15.10.2021

Der Report mit dem Titel „Antisemitismus im digitalen Zeitalter: Antisemitischer Hass, Holocaustleugnung, Verschwörungsideologien und Terrorismus in Europa“ (Antisemitism in the Digital Age: Online Antisemitic Hate, Holocaust Denial, Conspiracy Ideologies and Terrorism in Europe) zeigt, wie sich Antisemitismus insbesondere als Teil von Verschwörungsideologien und etabliert – die während der COVID-19-Pandemie zu einer neuen Popularität gefunden haben.

Antisemitismus und Verschwörungserzählungen haben online zugenommen

Aus den Ergebnissen:

  • Im März 2020 erreichte die Google-Suche in UK nach dem Begriff „New World Order“ das höchste Level seit 15 Jahren. Die Verschwörungserzählung der „New World Order“, populär seit dem 19. Jahrhundert, raunt von einer geheimen globalen jüdischen Elite, die in der gesamten Welt die Strippen ziehe.
  • Ein Reddit-Forum, in dem Verschwörungsideologien geteilt werden – etwa dass Juden Kindermörder wären, die geheimen Köpfe hinter Joe Bidens Regierung in den USA oder die Besitzer der Presse auf der ganzen Welt wären – wuchs zwischen Februar 2020 und November 2020 um 500.000 Fans.
  • Ein Telegram-Kanal, der die „New World Order“-Verschwörungserzählung verbreitet, außerdem Holocaustleugnung und rassistische Propaganda, gewann seit seiner Gründung im Februar 2021 90.000 Follower im Oktober 2021.
  • Die extremsten, zu Gewalt und Genoziden aufrufenden antisemitischen Inhalte finden sich am häufigsten, aber nicht exklusiv, auf bei Rechtsextremen beliebten Nischenplattformen wie Telegram, Parler und 4chan/pol/. Mit Abstand die meisten antisemitischen Beleidigungen ließen sich auf 4chan finden.

Häufig läuft Erstkontakt zu Antisemitismus über Social Media-Plattformen

Der Bericht zeigt, dass es besonders bedenklich ist, dass junge Menschen über die Sozialen Medien erst in Kontakt mit Verschwörungsideologien und Antisemitismus kommen, den Hass online lernen – besonders auf den Netzwerken Instagram und TikTok. Auf Instagram ist der Großteil der User/-innen zwischen 13 und 34 Jahren alt (70% der Nutzer/-innen). Hashtags wie „New World Order“ oder „Illuminati“, unter denen vor allem Verschwörungserzählungen verbreitetet werden, zeigen mit einem Klick Millionen von Beiträge, die antisemitische Vorurteile und Abwertungen verbreiten. Auch noch expliziter antisemitische Hashtags wie „JewWorldOrder“ dürfen auf Instagram verwendet werden.

Antisemitische Hashtags werden nicht konsequent gelöscht

Ähnlich ist es auf TikTok, wo 69% der Nutzer/-innen zwischen 16 und 24 Jahren alt sind. Auch hier wird Antisemitismus besonders über Hashtags verbreitet und einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Inhalte mit antisemitischen Hashtags wie #rothschildfamily, #synagogueofsatan and #soros wurden in einem halben Jahr mehr als 25 Millionen Mal angesehen.

Joe Mulhall, Leiter der Recherche Rechtsextremismus bei Hope not Hate:
„Es ist eigentlich unglaublich, dass wir trotz zehnjähriger Versuche, Hassrede auszurotten, auf jeder von uns untersuchten Social-Media-Plattform Antisemitismus finden konnten. Währende die Social Media-Unternehmen noch versuchen, ihre Hausaufgaben zu machen, konnte eine neue Generation von Social Media-Nutzer/-innen antisemitische Ideen online kennenlernen, mit denen sie sonst kaum in Berührung gekommen wären. Weil die Sozialen Netzwerke zu langsam reagieren, gibt es auf allen Netzwerken Online-Räume, in denen Antisemitismus blüht – mit tragischen und langandauernden Effekten für die Jüdinnen und Juden, die davon bedroht werden. Jetzt ist es für die Sozialen Netzwerke an der Zeit, eine klare Zusage zu machen, Antisemitismus endlich von den Plattformen zu verbannen – im ganzen Tech-Sektor.“

Der Bericht zeigt, dass auf Plattformen mit einer stärkeren Moderation weniger expliziter Antisemitismus und Hass zu finden ist.

Daniel Poohl, CEO der Expo-Stiftung:
„Der Bericht zeigt, dass viele Plattformen das Problem einfach nicht ernst genug nehmen. Das Problem ist komplex, aber es kann in vielen nicht so komplizierten Schritten angegangen werden: Etwa Antisemitismus explizit in den Community Standards zu verbieten, für mehr Seitenmoderation zu sorgen oder ein Meldesystem zu entwickeln, dass auch den Abgleich zwischen mehreren Plattformen ermöglicht. Das wäre ein guter Beginn.“

Simone Rafael, Leiterin des Digital-Bereichs der Amadeu Antonio Stiftung:
„Dass Antisemitismus im Jahr 2021 immer noch auf jeder Plattform mit wenigen Klicks und den plattesten Vorurteilen als Suchbegriffe zu finden ist, ist ein Armutszeugnis. Jüdinnen und Juden als Betroffene weisen seit über einem Jahrzehnt darauf hin, wie sehr sie online attackiert werden. Es wird Zeit, dass die Netzwerke ihre Verantwortung für die Sicherheit ihrer Nutzer/-innen endlich ernst nehmen und Antisemitismus von den Plattformen verbannen.“

Über das Recherchebündnis

HOPE not hate

HOPE not hate geht mit Forschung, Bildung und demokratischem Engagement in Kommunen gegen Rassismus und Abwertung vor. So hilft Hope not Hate, Gemeinschaften aufzubauen, die inklusiv sind, Gemeinsamkeiten feiern und resistent sind gegen Hass.

Stiftung Expo

Die Stiftung Expo ist eine antirassistische Organisation aus Schweden, die für die Vision einer Gesellschaft arbeitet, in der rassistische Ideen immer weniger Raum erhalten. Die Stiftung arbeitet für eine offene, demokratische Gesellschaft und gegen rassistische Organisationen und Ideen. Die Arbeit besteht aus journalistischen Recherchen, Monitoring und pädagogischen Projekten, die über rassistische Ideen, Mythen und Verschwörungsideologien aufklären.

Amadeu Antonio Stiftung

Die Amadeu Antonio Stiftung ist eine der führenden unabhängigen Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, die sich für die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft einsetzt und gegen Neonazismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und andere Formen von Fanatismus und Hass in Deutschland. Seit ihrer Gründung im Jahr 1998 hat die Stiftung mehr als 1.400 Projekte und Kampagnen gefördert, die dieses Ziel verfolgen. Sie hilft Opfern von Hassgewalt und fördert alternative Jugendkulturen und demokratische Netzwerke, um Intoleranz und Rassismus zu minimieren. Darüber hinaus setzt sich die Stiftung mit Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Hate Speech im Internet auseinander und fördert die Entwicklung einer demokratischen digitalen Zivilgesellschaft.

Der Report steht online auf englischer Sprache zum Download bereit.

Quelle: Amadeu Antonio Stiftung vom 12.10.2021

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