Diskussionspapier der AGJ

How dare you? – Die Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe für die Umsetzung ökologischer Kinderrechte

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ nimmt in ihrem aktuellen Diskussionspapier Bezug auf die Klimakrise und die Zerstörung der Ökosysteme und macht in diesem Zusammenhang auf die Relevanz von ökologischen Kinderrechten aufmerksam. Sie fordert deren konsequente Umsetzung und leitet Empfehlungen für die Kinder- und Jugendhilfe ab.

16.12.2020

Die Klimakrise ist eines der derzeit dominierenden Themen und treibt viele Menschen auf die Straße. Sie fordern Politik und Gesellschaft auf, sich für den Erhalt der Erde und ihrer Ökosysteme einzusetzen und dafür notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Die Auswirkungen der Klimakrise betreffen alle Menschen, ganz besonders Menschen im globalen Süden sowie Kinder und Jugendliche überall auf der Welt. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ macht mit dem Diskussionspapier „How dare you? Die Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe für die Umsetzung ökologischer Kinderrechte“ (PDF) auf die Relevanz von ökologischen Kinderrechten aufmerksam und fordert deren konsequente Umsetzung. Sie geht auf die UN-Kinderrechtskonvention ein und stellt fest, dass für die Realisierung fast aller Kinderrechte intakte Umweltbedingungen die Grundlage sind. Darüber hinaus wird der Zusammenhang zu den Sustainable Development Goals und dem daraus folgenden Ziel der Bildung für nachhaltige Entwicklung erläutert und auf die Prozesse in der Kinder- und Jugendhilfe übertragen.

Die AGJ leitet hieraus folgende Empfehlungen ab: Kinder und Jugendliche brauchen Orte, um „ihre“ Themen zu bearbeiten; die Kinder- und Jugendhilfe muss hier unterstützen und diese verteidigen. Dazu gehört auch die Stärkung der Motivation und der Selbstwirksamkeit von Kindern und Jugendlichen, um sich für Themen stark zu machen. Die Kinder- und Jugendhilfe muss in ihren Handlungen jedoch selbst als Vorbild für nachhaltige Entwicklung fungieren – dies muss sich auch in Rahmenbedingungen, Konzepten etc. widerspiegeln. Nicht zuletzt sieht es die AGJ als wichtig an, dass sich die Kinder- und Jugendhilfe (mehr) für nachhaltige Entwicklung einsetzt, hier aktiv auf relevante Akteure/-innen und Strukturen zugeht und weiter auf die Stärkung und die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention hinwirkt. 

Das Diskussionspapier behandelt unter anderem die Fragen:

  • Was sind ökologische Kinderrechte?
  • Welchen Auftrag und welche Rolle hat die Kinder- und Jugendhilfe im Kontext ökologischer Kinderrechte?

Das vollständige Diskussionspapier „How dare you? Die Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe für die Umsetzung ökologischer Kinderrechte“ (PDF) steht zum Download zur Verfügung. Im Folgenden werden die Forderungen und Ableitungen aufgeführt, die sich für die Kinder- und Jugendhilfe daraus ergeben.

Querschnitts-Thema in allen Leistungsbereichen der Kinder- und Jugendhilfe

Das Einstehen für die Umwelt und das Aufwachsen zukünftiger Generationen bedarf einer kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen und erfordert eine nachhaltigere Politik. Hier ist die Kinder- und Jugendhilfe als Akteurin gefragt, die direkt mit Kindern und Jugendlichen und ihren Familien arbeitet, auf Versäumnisse und Gefahren für das Aufwachsen junger Menschen hinzuweisen und sich aktiv einzumischen. Gleichzeitig muss sie junge Menschen dabei unterstützen, die eigene Verantwortung in Bezug auf die Zukunft von Mensch und Umwelt zu erkennen und wahrzunehmen. Ob Kita, Hilfen zur Erziehung oder offene Jugendarbeit – ökologische Kinderrechte spielen als Querschnitts-Thema in allen Leistungsbereichen der Kinder- und Jugendhilfe eine Rolle. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ leitet daraus folgende Forderungen an die Kinder- und Jugendhilfe ab: 

Freiräume für junge Menschen schaffen, Engagement unterstützen

Die Klimakrise und zahlreiche Umweltprobleme, die sich aus energie- und ressourcenintensiven Produktions- und Lebensstilen ergeben, gehören zu den drängendsten gesellschaftlichen Themen. Die Kinder- und Jugendhilfe muss dies auch in ihren Angeboten und Strukturen aufgreifen und zum Thema machen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Umweltthemen junge Menschen derzeit am meisten bewegen, Angst, Hilflosigkeit und Empörung auslösen, aber auch starkes Engagement hervorrufen. Diese Themen müssen so aufgegriffen werden, dass Kinder und Jugendliche sich herausgefordert fühlen, sich die Themen zu eigen machen, die eigene Verantwortung wahrzunehmen, ohne sich bedroht, verängstigt oder überfordert zu fühlen. Die Kinder- und Jugendhilfe sollte sichere Orte und Freiräume schaffen, die es ermöglichen, auszuprobieren und verschiedenen Lernanlässen mit großer Offenheit zu begegnen. Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe sollten dafür Aspekte der Nachhaltigkeit in ihren Grundzügen kennen und verstehen. Sie sollten es als ihre Aufgabe betrachten, das Engagement von jungen Menschen zu unterstützen und sie gegen Angriffe zu verteidigen. Im Ergebnis sollte das dazu führen, dass Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe beraten können, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um Kinder und Jugendliche zu schützen, damit ihr Recht auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit gewahrt wird. 

Motivation für eigenes Handeln von Kindern stärken

Auch Kinder sollten verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit kennen und verstehen können, um damit die Grundvoraussetzung für ein selbstbewusstes und kooperatives Handeln in gesellschaftlichen Zusammenhängen zu schaffen. Die Kinder- und Jugendhilfe sollte stets berücksichtigen, dass Lernende einerseits eine Reflexionsfähigkeit über gesellschaftliche Problemlagen entwickeln und gleichzeitig in ihrer Handlungs- und Lösungskompetenz gestärkt werden. Hierfür ist es wichtig, Kindern Rückmeldung und Bestätigung zu ihrem Handeln zu geben. Für das Konzept von Nachhaltigkeit und die Konsequenzen des eigenen Handelns gibt es keine Altersbeschränkung – dies kann von klein an vermittelt werden. 

Vorbild sein, BNE verankern

Es reicht bei weitem nicht, Kindern und Jugendlichen das Prinzip der Nachhaltigkeit zu erklären, sondern die Akteure/-innen der Kinder- und Jugendhilfe sollten nachhaltige Prinzipien so umfänglich wie möglich auch umsetzen. Dazu gehört auch, dass die Träger und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe die kommunalen Zielsetzungen zur Klimaneutralität unterstützen und ihren Beitrag zu deren Umsetzung leisten. Bildung für nachhaltige Entwicklung muss als gelebtes Prinzip in Einrichtungen für alle im Sinne des Whole Institution Approaches  erfahrbar werden. Insbesondere die durch die Leitungskräfte und den Träger gesetzten Rahmenbedingungen sind dafür zentral. Das bedeutet z. B. BNE als Orientierungsmaßstab in Leitbilder von Einrichtungen zu formulieren, in Qualitäts-managementkonzepten aufzunehmen, sich mit BNE auseinanderzusetzen und Fortbildungen für Fachkräfte zu fördern sowie das Thema z. B. in den Kita-Bildungsplänen der Länder und in der Ausbildung der Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe zu verankern und Multiplikator(inn)en auszubilden. Die Kinder- und Jugendhilfe sollte sich dabei als Teil einer lokalen Bildungslandschaft begreifen und aktiv Kooperationen gestalten. Partizipation sollte nicht nur gegenüber Kindern und Jugendlichen, sondern selbstverständlich auch gegenüber sämtlichen Mitarbeitenden umgesetzt werden. In der Regel ist dies mit einer Öffnung und einem klaren Bekenntnis zu Beteiligungsprozessen verbunden, um Handlungsspielräume für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Gleichzeitig stellt die Weiterbildung von Mitarbeitenden im Sinne der prioritären Handlungsfelder im Rahmen des UNESCO-Weltaktionsprogramms BNE eine zentrale Aufgabe dar. 

Anwaltschaftlich handeln

Als Anwältin von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien muss die Kinder- und Jugendhilfe auf aktuelle Belastungen ihrer Zielgruppe durch die Klimakrise und die Umweltzerstörung sowie die Anliegen ihrer Adressat(inn)en hinweisen und sich für eine Verbesserung ihrer Lebens- und Umweltbedingungen stark machen. Das heißt zuvörderst, mehr Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen einzufordern. Umweltfragen werden maßgeblich von anderen Ressorts verhandelt und vorangetrieben. Dies bedeutet, dass die Kinder- und Jugendhilfe ihre kinderrechtliche Perspektive aktiv einbringen muss. So ist es nicht nur legitim, sondern unabdingbar, dass auch vonseiten der Kinder- und Jugendhilfe die umweltpolitische Kernforderung vorgebracht wird, den CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren, um Kindern eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.

UN-KRK stärken und ihre Rechte konsequent durchsetzen 

Besonders solange es keine explizite völkerrechtliche oder nationalgesetzliche Grundlage für ökologische Kinderrechte neben der UN-KRK gibt, ist es wichtig, auf die Umsetzung der UN-KRK hinzuwirken und die Durchsetzung von Kinderrechten einzufordern. Dies bedeutet zum Beispiel auch, sich für die Umsetzung und Absicherung von Beteiligungsrechten von Kindern und die Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz einzusetzen – selbst wenn in Deutschland Meinungs- und Versammlungsfreiheit bereits Verfassungsrang haben – und damit dafür zu sorgen, dass Kinder als eigenständige Persönlichkeiten und gleichberechtigte Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft anerkannt und ihre Individualität geachtet wird. So können ihre Interessen, Bedarfe und ihr Engagement wirklich Anerkennung finden. 

How dare you?

Ganz im Sinne des Ausspruchs Greta Thunbergs „How dare you?“ verbindet die AGJ mit diesem Diskussionspapier den Aufruf an die Kinder- und Jugendhilfe, sich mit ihrem Auftrag im Kontext ökologischer Kinderrechte auseinanderzusetzen, ihn zu erfüllen und Kindern und Jugendlichen Freiräume zur Entfaltung ihres eigenen Engagements zu ermöglichen. Nicht zuletzt sollte die Kinder- und Jugendhilfe selbst nach außen aktiv werden und auf die Dringlichkeit der Umsetzung ökologischer Kinderrechte hinweisen und sich in Diskussionen und politische Vorhaben, die diese berühren, einmischen. 

Diskussionspapier „How dare you? Die Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe für die Umsetzung ökologischer Kinderrechte“ (PDF)

Quelle: Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ 

Redaktion: Kerstin Boller

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