Berlin

Gipfel gegen Jugendgewalt – Bestehende Ansätze in der Jugendarbeit ausbauen

Im Vorfeld des am 11. Januar 2023 stattfindenden Gipfels gegen Jugendgewalt, der kurzfristig als Reaktion auf die Silvesternacht in Berlin einberufen wurde, warnte die Amadeu Antonio Stiftung vor kurzfristigem Aktionismus. Stattdessen brauche es langfristig angelegte Lösungen, die die vielschichtigen Herausforderungen angehen. Bestehende und erprobte Ansätze müssten ausgebaut werden, anstatt Neues aus dem Boden zu stampfen.

11.01.2023

In der medialen wie politischen Debatte rund um die Berliner Silvesternacht wurden Jugendgewalt und Herkunft  schnell in einem Atemzug genannt, so als seien sie untrennbar miteinander verbunden. Dabei sind die Ursachen für die Eskalationen nicht in Migrationsgeschichten zu suchen, sondern vielmehr in einem Mosaik aus erlernter Gewaltbereitschaft, gefühlter Perspektivlosigkeit, mangelnder Teilhabe, gefährlichen  Männlichkeitsbildern und einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Repräsentant*innen, so die Amadeu Antonio Stiftung.

Jugendarbeit nicht auf Prävention von Straftaten reduzieren

Mit der ambitionierten Aufgabe, die Jugendgewalt der Berliner Silvesternacht unter der intensiven Einbindung von Akteur*innen aus Senat, Bezirken und Zivilgesellschaft aufzuarbeiten müsse ein langfristiger Prozess beginnen, der angesichts des Wahlkampfs nicht in kurzfristigen Aktionismus münden darf. Tahera Ameer, Vorständin der Amadeu Antonio Stiftung, erklärt:

„Auf die Jugendlichen, um die es auf dem Gipfel geht, schaut sonst niemand und wenn, dann nur mit einer rassistischen Brille und dem Reden von sogenannten Problemvierteln. Die Auseinandersetzung mit Jugendgewalt darf nicht erst beginnen, wenn es knallt und Jugendarbeit darf nicht auf die Prävention von Straftaten reduziert werden. Die kurzfristige Bekämpfung von Symptomen darf nicht zulasten einer umfangreichen Bestandsaufnahme gehen, die schon lange vor den Ereignissen der Silvesternacht anfangen muss.“

Ameer führte weiter aus, die Herausforderungen seien weder überraschend noch neu.

„Deshalb gibt es auch erprobte Ansätze, die hier ausgerollt werden müssen. Niemand muss mit seinen Überlegungen bei null anfangen. Es gibt bereits Träger der Sozialen Arbeit, die ihre Erfahrungen in die Debatte einbringen können und die Arbeit vor Ort auch erfüllen können, wenn sie besser ausgestattet werden.“

Zu einer langfristig wirkenden Arbeit im Sozialraum gehört es aus Sicht der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Maßnahmen aus frühkindlicher Bildung, Schule, Jugendarbeit und Quartiersmanagement wechselseitig abzustimmen, so dass sie Hand in Hand gehen und sich aufeinander beziehen.

Erprobte Ansätze stärken: Es braucht Ressourcen, Personal, Räume

Die Träger und ihre Fachkräfte kennen die Kieze und Jugendlichen und wissen um ihre Probleme, Herausforderungen, aber auch Potentiale und Unterschiedlichkeiten, führt die Stiftung aus. Sie könnten mit Jugendlichen und ihren Familien in Auseinandersetzung gehen und gemeinsam mit ihnen Lösungsansätze entwickeln. Dazu müsse der strukturellen Unterversorgung in Bezug auf Personal, Räumlichkeiten und Geld ein Ende gesetzt werden. Unter der Leitung von etablierten Trägern müssten mehr Rückzugsorte und Freizeitangebote entstehen, die als Räume der Sozialarbeit funktionieren.

Partizipation stärken – und überhaupt erst umsetzen

Eine Brandmarkung bestimmter Bezirke wie Neukölln als Chiffre für eine gescheiterte Integrationspolitik oder der dort lebenden Jugendlichen ist nach Ansicht der Amadeu Antonio Stiftung fehl am Platz. Eine Auseinandersetzung mit den Ursachen der Gewalt könne nur mit den jungen Menschen selbst erfolgen und eine kreative Perspektive zur Lösung grundlegender Probleme nur unter Anleitung der dafür ausgebildeten pädagogischen Fachkräfte vor Ort entwickelt werden. Kurzfristige Maßnahmen, die am Reißbrett entworfen werden und lediglich eine Aufrüstung von Polizei und Justiz fokussieren, sind zum Scheitern verurteilt.

Einbindung rassismuskritischer Ansätze

In der medialen wie politischen Debatte wurden Jugendgewalt und Migrationshintergrund schnell in einem Atemzug genannt, so als wären sie untrennbar miteinander verbunden. Die Ursache für Gewalt pauschal mit Migrationshintergründen zu erklären, befeuert rassistische Zuschreibungen, die ganze Bevölkerungsgruppen treffen. Um die Debatte über Ursachen und Konsequenzen nicht stigmatisierend zu führen, müssten rassismuskritische Ansätze und die entsprechenden Projektträger einbezogen werden. Zudem fehle in den Analysen die Geschlechterperspektive auf Gewalt. Fast alle festgenommenen Personen waren Jungen und junge Männer. Jungenorientierte Ansätze und geschlechterreflektierende Präventionsangebote müssten gestärkt werden.

Law and Order ist kein Allheilmittel

Die Amadeu Antonio Stiftung führt aus: Mit einer Debatte über die Herkunft der Täter, Strafmaße oder immer neue Schwerpunktwachen ist niemandem geholfen. Prävention und Abschreckung durch schnelle und tatsächlich vollstreckte Verfahren seien der einzige Rahmen, der Lösungen verspricht. Für die Präventionsarbeit brauche es aber auch eine genaue und offene Analyse der Ursachen. Um beiden Aspekten gerecht zu werden, müssten kurzfristig Ressourcen bereitgestellt werden, sowohl für die bessere Ausstattung der Staatsanwaltschaften als auch für die Ursachenforschung in der Präventionsarbeit.

Über die Amadeu Antonio Stiftung

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent und überparteilich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.

Quelle: Amadeu-Antonio-Stiftung vom 10.01.2023

Redaktion: Silja Indolfo

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