Publikation

Entwicklung von Gewalt im Kindes- und Jugendalter

Die neue DJI-Publikation „Zahlen - Daten - Fakten Jugendgewalt“ bietet eine umfassende Analyse aktueller Daten und Studien zur Jugenddelinquenz und -viktimisierung in Deutschland. Sie beleuchtet die Entwicklung von Jugendgewalt anhand amtlicher Statistiken und Dunkelfeldstudien, hinterfragt die Aussagekraft dieser Daten und liefert fundierte Erklärungsansätze.

24.06.2024

Jugendgewalt ist ein öffentlich und medial viel diskutiertes Thema und wird auch in der Berichterstattung über die alljährlich veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) häufig besonders hervorgehoben. Mitunter werden Entwicklungen im Bereich der Jugenddelinquenz im Allgemeinen und der Jugendgewalt im Besonderen verkürzt oder ohne notwendige fachliche Einordnungen dargestellt. Wie entwickeln sich nach den für Deutschland verfügbaren amtlichen Daten und Dunkelfeldstudien die Jugenddelinquenz, Jugendgewalt und die Viktimisierungen junger Menschen? Welche möglichen Erklärungsansätze und fachliche Einschätzungen gibt es hierzu? Wie ist die Aussagekraft der amtlichen Statistiken? Antworten auf diese Fragen gibt die aktualisierte Zusammenstellung der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in der Broschüre „Zahlen – Daten – Fakten Jugendgewalt“.

Im Jahr 2023 wurden laut PKS insgesamt 717.365 junge Menschen einer Straftat verdächtigt. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet die PKS damit bei den absoluten Zahlen eine Zunahme der tatverdächtigten jungen Menschen. Veränderungen der absoluten Zahlen sind nicht ausschließlich auf Veränderungen der Delinquenzbelastung zurückzuführen, sondern unter Umständen auch auf Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur (zum Beispiel besonders geburtenstarke Jahrgänge oder Migration). Daher wird bei der Betrachtung von zeitlichen Veränderungen möglichst auf Verhältniszahlen zurückgegriffen: Für langfristige Vergleiche ist die Tatverdächtigenbelastungszahl aussagekräftiger, die die Anzahl der Tatverdächtigen je 100.000 Einwohner:innen der Bevölkerung beziehungsweise der jeweiligen Bevölkerungsgruppe angibt und damit Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur berücksichtigt.

Die in der PKS erfassten Daten bilden das sogenannte Hellfeld ab, also das amtlich registrierte Kriminalitätsgeschehen. Diese Daten haben die Wissenschaftlerinnen mit aktuellen Erkenntnissen aus Dunkelfeldstudien ergänzt, die auch jene Straftaten in den Blick nehmen, die den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt geworden sind.

Registrierungen einfacher Körperverletzungen und Gewaltkriminalität haben zugenommen

Die am DJI analysierten Daten zu Jugendgewalt beinhalten ausgewählte Zahlen zur vorsätzlichen einfachen Körperverletzung und zu schweren Gewaltdelikten. Die schweren Delikte machen nur einen kleinen Teil der gesamten Jugenddelinquenz aus.

In den letzten 20 Jahren waren die Tatverdächtigenbelastungszahlen (TVBZ) bei den Jugendlichen, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen zwischen 2007 und 2009 am höchsten. Seitdem gab es in diesen Altersgruppen sowie in der Gesamtgruppe der Menschen ab 8 Jahren einen Rückgang der TVBZ. Die PKS-Daten zeigen einen Anstieg der TVBZ für die Altersgruppen der Kinder und Jugendlichen im Bereich der Gewaltkriminalität zwischen 2022 und 2023. Bei den Kindern und Jugendlichen sind die Zahlen auch höher als im Jahr 2019 vor der Coronapandemie. Bei den Heranwachsenden und Jungerwachsenen sind die Zahlen im Jahr 2023 im Vergleich zu 2022 relativ konstant. Im Vergleich zu 2019 ist die Anzahl der Tatverdächtigen in dieser Altersgruppe im Jahr 2023 zurückgegangen.

Wenn die langjährige Entwicklung von Gewalttaten von jungen Menschen in den vergangenen 20 Jahren berücksichtigt wird, sind die für das Jahr 2023 berichteten gestiegenen Zahlen noch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau: Insgesamt lagen die Zahlen der Jugendlichen und Heranwachsenden im Jahr 2023 unter den Werten aus dem Jahr 2007. Bei den Kindern waren die Zahlen 2023 auf einem ähnlichen Niveau wie 2004, dem letzten Höchstwert.

Eine mögliche Erklärung für eine Veränderung der jungen Tatverdächtigen ist den Wissenschaftlerinnen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention zufolge, dass durch die Einschränkungen während der Coronapandemie die psychische Belastung gestiegen ist und auch die Entwicklung des Sozialverhaltens von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt wurde, sodass in der Folge Konflikte, insbesondere auch unter Gleichaltrigen, eher eskalieren konnten.

Für die Betroffenheit von Straftaten zeigt sich eine ähnliche Entwicklungskurve wie für Delinquenz. In den letzten Jahren steigen die Opfergefährdungszahlen bei Kindern und Jugendlichen sowie die von den jungen Menschen in Dunkelfeldbefragungen berichteten Gewaltopfererfahrungen (12-Monats-Prävalenz sowie Lebenszeitprävalenz). Die Opfergefährdungszahlen der Heranwachsenden im Bereich der Gewaltkriminalität sind hingegen in den letzten Jahren gleichbleibend. Zudem zeigt sich auch hier mit Blick auf Körperverletzungsdelikte sowie Gewaltkriminalität, dass männliche Jugendliche häufiger als Opfer erfasst werden beziehungsweise häufiger in Dunkelfeldstudien angeben, Opfer von Gewaltdelikten geworden zu sein.

Ausbau der Präventionsstrategien fortsetzen

Die Wissenschaftler*innen stellen fest, dass es in der Kinder- und Jugendhilfe, der Schule oder auch bei Polizei und Justiz heute zahlreiche Strategien der Kriminalitätsprävention im Allgemeinen und der Gewaltprävention im Speziellen gibt. Sie empfehlen,

 „den eingeschlagenen Weg des Ausbaus der Präventionsstrategien fortzusetzen und die wichtige Rolle der Kinder- und Jugendhilfe weiterhin zu befördern. Darüber hinaus ist eine Weiterentwicklung von opferbezogenen Ansätzen wünschenswert.“

Weitere Informationen

Quelle: Deutsches Jugendinstitut e.V. vom 06.06.2024

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