DGB-Index Gute Arbeit 2024
Fachkräftesicherung? Nur mit guten Arbeitsbedingungen!
Der DGB-Index Gute Arbeit 2024 zeigt, dass Fachkräftemangel und Überlastung eine Abwärtsspirale schaffen. Die Überlastungen in den Sozialberufen müssen durchbrochen und die Ausbildung von Erzieher*innen reformiert werden. Nur die Hälfte der Befragten geht davon aus bis zum Rentenalter in ihrem Beruf tätig sein zu können.
21.11.2024
Die Stärkung des Fachkräftepotenzials ist angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen eine vorrangige Aufgabe. Dafür muss der der Gestaltung von Arbeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Denn ohne bessere Arbeitsbedingungen werden Bemühungen um mehr Fachkräfte in Deutschland nicht wirken. Dies ist das zentrale Ergebnis des DGB-Index Gute Arbeit 2024, der heute in Berlin veröffentlicht wurde.
Personalmangel verschärft die ohnehin belastenden Arbeitsbedingungen zusätzlich. Er setzt sogar eine Abwärtsspirale in Gang, weil weitere Beschäftigte den Beruf verlassen. In der Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) berichten knapp die Hälfte aller Beschäftigten (46 Prozent) von starkem Personalmangel in ihrem Arbeitsbereich. Besonders ausgeprägt ist der Personalmangel in den sogenannten Engpassberufen, angeführt von Lehrer*innen, Pflegekräften und Berufskraftfahrer*innen.
Betriebliche Weiterbildung – als ein Instrument gegen Fachkräfteengpässe – steht zwar der Mehrheit der Beschäftigten zur Verfügung, die Angebote sind jedoch überwiegend von kurzer Dauer. Sie werden häufig nicht in Anspruch genommen, weil sie an Bedarfen vorbeigehen oder weil die Arbeitssituation es nicht zulässt: zu wenig Zeit, fehlende Vertretung.
Um Fachkräftelücken zu schließen, muss Deutschland Fachkräftepotentiale aktivieren. Ein entscheidender Hebel ist, die Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten aufzustocken: Etwa ein Drittel aller Arbeitnehmer*innen in Deutschland arbeitet in Teilzeit – überwiegend sind es Frauen. Der DGB-Index Gute Arbeit zeigt: Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Teilzeitbeschäftigten arbeitet aufgrund von Sorgeverpflichtungen wie Kinderbetreuung oder pflegebedürftigen Angehörigen mit verkürzten Arbeitszeiten. Und 39 Prozent nennen als Grund für die Teilzeitarbeit die zu hohe Belastung bei ihrer Tätigkeit. Besonders stark ausgeprägt ist dies in einigen Berufen mit Fachkräfteengpässen: 80 Prozent der teilzeitbeschäftigten Lehrer*innen geben Überlastung als Grund für ihre kürzere Arbeitszeit an.
Auch bei der gesundheits- und alternsgerechten Arbeitsgestaltung berichten die Befragten von Defiziten. In der Selbsteinschätzung zu ihrer zukünftigen Arbeitsfähigkeit geht nur die Hälfte der Beschäftigten (52 Prozent) davon aus, ihre aktuelle Tätigkeit bis zum Renteneintrittsalter verrichten zu können. In Pflegberufen geht sogar nur eine Minderheit von 23 Prozent der Befragten davon aus, bis zur Rente durchhalten zu können – angesichts der Pflegekrise ein alarmierendes Ergebnis. Auch hier zeigt sich deutlich der Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und Fachkräfteengpässen.
Yasmin Fahimi, DGB-Vorsitzende:
„Wer Fachkräfte sucht, kann auf Frauen nicht verzichten. Doch die Hürden für Frauen in der Arbeitswelt sind nach wie vor hoch. Es ist höchste Zeit, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Entscheidend sind gleiche Löhne für gleiche Arbeit, deutlich mehr Investitionen in Kitas und Ganztagsschulen und eine gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit in den Familien. Das trägt zur Fachkräftesicherung bei und es ermöglicht Frauen, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen. All diese Maßnahmen werden jedoch kaum wirksam sein, wenn es nicht gelingt, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Und der entscheidende Hebel für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist die Stärkung von Tarifverträgen. Wir haben in den letzten Jahren eine regelrechte Flucht von Betrieben aus der Tarifbindung erlebt. Das muss ein Ende haben.“
Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand:
„Welch fatalen Folgen es hat, dass in erheblichem Umfang Pflegefachkräfte fehlen, bekommen tagtäglich pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen zu spüren. Und wenn die Kita mal wieder ihre Betreuungszeiten verringern muss, weil zu wenige Erzieherinnen da sind, hat das Auswirkungen auf Kinder und ihre Eltern. Um die Berufe attraktiver zu machen und den Teufelskreis aus Fachkräftemangel und Überlastung in den Gesundheits- und Sozialberufen zu durchbrechen, braucht es bedarfsgerechte und verbindliche Personalausstattungen. Und die Reform der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern muss endlich angepackt werden. Dass hier mitunter noch Schulgeld fällig und keine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, ist völlig aus der Zeit gefallen. Politik und Arbeitgeber sind in der Pflicht, die Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern.“
Zum DGB-Index Gute Arbeit
Mit der repräsentativen Befragung zum „DGB-Index Gute Arbeit“ werden seit dem Jahr 2007 im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes abhängig Beschäftigte zu ihren Arbeitsbedingungen befragt. Im Jahr 2024 basiert die Studie auf einer Zufallsstichprobe von 6.985 abhängig Beschäftigten, die in Deutschland arbeiten. Die Daten wurden im Zeitraum von Januar bis April 2024 erhoben. Telefonisch befragt wurden Arbeitnehmer*innen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens zehn Stunden aus allen Branchen, Berufs-, Einkommens- und Altersgruppen, Regionen und Betriebsgrößen. Neben den Standardfragen zu Arbeitsbelastungen, Einkommen und Beschäftigungssicherheit sowie Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten umfasste der Fragebogen im Jahr 2024 einen Schwerpunkt zum Thema Fachkräftesicherung.
Weitere Informationen
DGB Index Gute Arbeit 2024: Report Fachkräftesicherung (PDF: 189 KB)
DGB Index Gute Arbeit 2024: Report Fachkräftesicherung. Anhang, Abbildungen und Tabellen (PDF: 4,74 MB)
Quelle: Der Deutsche Gewerkschaftsbund vom 14.11.2024
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