Rückblick

Digital-Kongress der Kinderschutz-Zentren fokussierte die sozial-emotionale Vernachlässigung von Kindern

Am 17. und 18. Juni 2021 fand der Digital-Kongress „Sozial-emotionale Vernachlässigung von Kindern - Probleme und Hilfen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und Schule“ statt. Die Fachveranstaltung wurde aus der Mediencampus Villa Ida in Leipzig live übertragen. Pandemiebedingt konnten die Teilnehmer/-innen leider nicht vor Ort begrüßt werden, sich dafür aber im virtuellen Raum mit den Referent/-innen in den Austausch begeben.

19.07.2021

Erster Kongresstag 17. Juni 2021

Eröffnet wurde der Digital-Kongress von Anke Leitzke, die das Kinderschutz-Zentrum in Leipzig leitet und auch Mitglied im Bundesvorstand der Kinderschutz-Zentren ist. Daran anschließend hob der Leiter des Jugendamtes Leipzig, Herr Dr. Nicolas Tsapos, die Wichtigkeit des Kongressthemas hervor und ging in seinem Grußwort auch auf das Thema Kooperation und interdisziplinäre Zusammenarbeit im Zusammenhang mit dem kürzlich in Kraft getretenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes ein.

Vortrag 1: Langzeitfolgen früher Stresserfahrungen für Krankheit und Gesundheit – Biologische Mechanismen

Den Eröffnungsvortrag hielt die Professorin Sonja Entringer zu dem Thema Langzeitfolgen früher Stresserfahrungen. Sie erklärte einführend, dass Kinder, die belastende oder traumatische Erlebnisse erfahren mussten, ein höheres Risiko haben später psychisch oder körperlich zu erkranken als Menschen, die auf eine glückliche Kindheit zurückblicken konnten. Die Referentin präsentierte aktuelle Forschungserkenntnisse und erläuterte, wie sich die biologischen Mechanismen der Stresserfahrungen in frühen Lebensphasen auf die Gehirnentwicklung, das Immunsystem, den Stoffwechsel und den Hormonhaushalt von Kindern auswirken kann. Auch diskutierte Frau Entringer über welche Prozesse sich Stresserfahrungen bereits im Mutterleib und damit generationsübergreifend übertragen können.

Vortrag 2: Sozial-emotionale Vernachlässigung in Familien – Dynamiken verstehen, Eltern und Kinder unterstützen

Die Familientherapeutin Dr. Elke Nowotny sprach über die Herausforderungen, mit denen sich Fachkräfte beim Erkennen und bei der Einschätzung von sozial-emotionaler Vernachlässigung konfrontiert sehen. Die Referentin veranschaulichte was familiendynamisch bei sozial-emotionaler Vernachlässigung passiert und welche Bedeutung diese Form von Vernachlässigung für die psychische Entwick­lung von Kindern und Jugendlichen hat.

„Es scheint sich ein Teufelskreis zu ergeben: Eltern sind selbst vernachlässigt worden, sie spüren die Not ihrer Kinder kaum, oft auch nicht ihre eigene. Sowohl vernachlässigte Kinder bzw. Jugendliche als auch ihre Eltern sind hochbedürftig, Fachkräfte spüren das und reagieren mitunter mit starken Gefühlen von Mitleid, aber auch mit Hilflosigkeit, Ohnmacht, manchmal auch Wut auf Eltern, Kinder könnten aus dem Blick geraten“, so Elke Nowotny.

Forum 1: Vernachlässigung im Kindesalter – Psychotherapeutische Intervention, wissenschaftliche Erkenntnisse und Praktische Ansätze

Die Referent/-innen Dr. Verena Dähne und Christine Czygan stellten das Projekt AMIS vor. Seit 2012 untersucht das Universitätsklinikum Leipzig in Kooperation mit dem Amt für Jugend und Familie im Rahmen des Projektes, welche Mechanismen sich als schädlich oder förderlich für die kindliche Entwicklung zeigen. Frau Dähne und Frau Czygan hielten in ihren Inputs fest, dass sich die emotionale Misshandlung (EM) als die häufigste auftretende Form von Misshandlung und Vernachlässigung für die psychische Gesundheit von Kindern herausgestellt hat. Die Referent/-innen stellten u.a. die bisherigen Studienergebnisse aus der ersten Erhebungswelle (2012-2015) und die daraus resultierenden psychotherapeutischen Interventionen vor. In einer Mentimeter-Umfrage hatten die Teilnehmer/-innen dann die Möglichkeit das Maltreatment Classification Systems (MCS) selbst auszuprobieren und konnten sich anhand von Beispielen im Kodieren ausprobieren.

Vortrag 3: Folgen emotionaler Vernachlässigung und Konzepte im pädagogischen Umgang

Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Kathrin Boger thematisierte in ihrem Vortrag die tiefen Spuren, die sozial-emotionale Vernachlässigung hinterlassen kann und vor welche großen Herausforderungen die am schwersten erkennbare Form von psychischen Traumata Fachkräfte stellt. Die Referentin diskutierte auch die Auswirkungen von emotionaler Vernachlässigung und erläuterte wie Fachkräfte den betroffenen Kinder mit einer traumasensiblen Haltung begegnen können, um sie zu stabilisieren und nicht zu retraumatisieren.

Zweiter Kongresstag 18. Juni 2021

Vortrag 4: Sozial und emotional vernachlässigte Kinder in der Schule – zur strukturellen Gewalt bildungspolitischer Ignoranz in der Pandemie

In ihrem Vortrag zum Thema „Sozial und emotional vernachlässigte Kinder in der Schule – zur strukturellen Gewalt bildungspolitischer Ignoranz in der Pandemie“ hob die Professorin Birgit Herz hervor, dass insbesondere Lehrerinnen und Lehrer sowie pädagogische Fachkräfte eine gewichtige Berufsgruppe in der Verantwortungsgemeinschaft des Kinderschutzes darstellen. Die Referentin warf einen kritischen Blick auf die Auswirkungen der Schulschließungen im Zuge der Pandemie und erläuterte aus erziehungswissenschaftliche Perspektive die damit verbundenen Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendliche. Im Anschluss an den Vortrag fand ein kontroverser Austausch zum Thema statt, an dem sich die Teilnehmer/-innen via Chat rege beteiligten.

Forum 2: Kinder mit Vernachlässigungserfahrung in der Pendelbewegung zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Psychiatrie

Immer wieder werden Pädagoginnen und Pädagogen damit konfrontiert, dass Kinder und Jugendliche offenbar nicht durch Unterstützungsangebote erreichbar scheinen und aufgrund ihrer (ver-)störenden Verhaltensweisen und massiv provozierender und grenzverletzender Handlungen durch die einzelnen Hilfesysteme „hindurchgereicht“ werden. In Forum 2 diskutierte Tijs Bolz sogenannte „Hilfekarrieren“ in einer Pendelbewegung zwischen Jugendhilfe, Straßenszene, Kinder- und Jugendpsychiatrie oder ggf. Jugend-Justizvollzugsanstalt. Der Referent stellte ausgewählte Ansätze und Methoden zur Hilfeplanung, Fallsteuerung sowie konkrete Intervention vor und reflektierte diese mit den Teilnehmer/-innen kritisch.

Vortrag 5: Keine Fürsorge ohne Selbstfürsorge – Zur Unmöglichkeit eines professionellen Handelns ohne Humor

Dr. Jörgen Schulze-Krüdener sprach vom Humor als etwas zutiefst Menschliches. Davon, dass der Humor als eine gewisse Distanzierung zu bedrohlichen Belastungen und Krisen wertvoll fungieren kann. Humor sei als wichtige und größtenteils sprachgebundene Ressource im professionellen Handeln und als „Lizens zum Spassmachen“ wirksam und nötig. Humor sollte aber auch stets mit Wertschätzung und Respekt vor den sozialen und kulturellen Verständnis- und Handlungsmustern der Adressat/-innen eingesetzt beziehungsweise genutzt werden.

Quelle: Die Kinderschutz-Zentren vom 14.07.2021

Redaktion: Pia Kamratzki

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