Schweiz
Aktionswoche für Kinder suchtkranker Eltern
In der Schweiz wachsen schätzungsweise 100.000 Kinder in einem Elternhaus auf, das von Alkohol oder anderen Substanzen schwer belastet ist. Wenn sie wegen der Coronapandemie nicht in die Schule können oder wenn die konsumierenden Eltern vermehrt Zeit zuhause verbringen, leiden sie umso mehr. Die jährliche Aktionswoche von Sucht Schweiz hat auf ihre Situation aufmerksam gemacht.
15.03.2021
Wenn ein Elternteil suchtkrank ist, leidet die ganze Familie darunter. Für die Kinder bedeutet dies oftmals, dass das Familienklima angespannt, konfliktbeladen und unberechenbar ist. Sie sind täglich mit Angst, Scham, Schuldgefühlen, Unsicherheit und nicht zuletzt mit Isolation konfrontiert. Während der Coronapandemie sind die Kinder noch mehr mit der Situation konfrontiert, wenn sie nicht in die Schule oder zu Freunden können oder wenn konsumierende Eltern öfters zu Hause sind. Die durch Corona oft noch angespanntere Situation kann sich auch (aber nicht nur) in betroffenen Familien vermehrt in Gewalt entladen. Das Kinderspital Zürich meldete für das Jahr 2020 eine Zunahme der Kindsmisshandlungen um insgesamt 10 %.
„Wenn meine Mutter von der Arbeit nach Hause kommt, sieht sie ihn betrunken und nervt sich. Sie streiten nur, sonst sprechen sie nicht miteinander. Da er nicht arbeitet, muss meine Mutter ihm alles bezahlen und er erlaubt sich auch noch, sich zu beklagen und Bemerkungen zu machen wie ‚Was hat Du mit dem Geld gemacht ? Du hast ja nichts mehr.‘ Wenn ich zu Hause bin, kommt sie zu mir, um sich über ihn zu beklagen, und wenn sie nicht da ist, beklagt er sich über meine Mutter. Was soll ich tun?“ (Anonym, 23 Jahre, alkoholkranker Vater)
Kinder von suchtkranken Eltern sind überdies besonders gefährdet, später selbst zu erkranken: Im Vergleich zu Kindern aus Familien, die keine Suchtproblematik aufweisen, haben diese Kinder ein bis zu sechsmal höheres Risiko, eine Sucht zu entwickeln. Hinzu kommt ein erhöhtes Risiko für weitere psychische Erkrankungen.
„Auch Alkohol trank ich in diesen jungen Lebensjahren nahezu wie Wasser, einfach um mich und mein Befinden zu betäuben. Vielleicht auch um mich dabei meinem Vater Nahe oder Verbunden zu fühlen.“ (Sabi*, 36 Jahre, wuchs mit einem alkoholkranken Vater auf)
Kindern von suchtkranken Eltern eine Stimme geben
Kinder aus suchtbelasteten Familien lieben ihre Eltern und wollen sie schützen. Umgekehrt wollen auch suchtkranke Eltern gute Eltern sein und verheimlichen aus Angst und Scham ihre Probleme. Deshalb bleibt die schwierige familiäre Situation meist geheim und die Kinder tragen die Last dieses Geheimnisses während der ganzen Kindheit. Ihr Leiden wird deshalb oft nicht erkannt.
„Meine Mutter ging taktisch geschickt vor. Mein Bruder wurde wegen seines ungewöhnlichen Verhaltens in der Schule medizinisch, neurologisch und schulpsychologisch abgeklärt. Unser Familiensystem blieb unangetastet.“ (Michel, 46 Jahre, dessen Eltern alkoholsüchtig waren).
Mit der nationalen Aktionswoche soll das Tabu gebrochen und die Öffentlichkeit für die Situation und die Bedürfnisse dieser Kinder sensibilisiert werden. Es wurde aufgezeigt, wie Menschen in ihrem Umfeld helfen können. Zudem sind Unterschiede im Erleben und bei den Bedürfnissen zwischen Buben und Mädchen herausgearbeitet worden. Für die Fachleute aus dem Sozialbereich wurden Fortbildungen und Vernetzungen organisiert und Broschüren zur Verfügung gestellt.
„Alkohol ist sauglatt. Wir kennen sie alle, die wahnsinnigen Geschichten, die lustigen Fehltritte, die Heldentaten. Auch auf der Bühne: Spiele einen Betrunkenen und du hast die schnellen Lacher auf deiner Seite. Das ist ja alles schön und gut und lustig. Aber was ist, wenn der Betrunkene der Vater ist? Oder die Mutter? Und das Kind helfen muss? Wer hilft dann dem Kind? Es ist wichtig, diesen Kindern eine Stimme zu geben.“ (Renato Kaiser, Komiker und Satiriker, Kampagnenbotschafter für die Deutschschweiz)
Auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene!
Die Aktionswoche ist auch Teil einer internationalen Bewegung: Verschiedene Länder wie Deutschland, Grossbritannien, die USA und Slowenien führen seit mehreren Jahren eine solche Aktionswoche durch. In der Schweiz beteiligten sich zahlreiche Organisationen und führten in 15 Kantonen öffentlichkeitswirksame Aktivitäten durch. In einer Zeit mit coronabedingten Einschränkungen wurden einige davon online angeboten.
„Damit das Leiden durch die Sucht nicht zu einem Familienschicksal wird, müssen wir handeln, bevor es zu spät ist!“ (Jean-Marc Richard, Botschafter der Aktionswoche für die Suisse Romande)
Für die Deutschschweiz steht der Komiker und Satiriker Renato Kaiser als Botschafter der Aktionswoche zur Verfügung, für die Romandie sind es der Radio- und Fernsehmoderator Jean-Marc Richard sowie der Komiker Bruno Peki.
Weitere Informationen sowie Betroffenenberichte finden sich auf der Kampagnenwebsite.
Quelle: Sucht Schweiz vom 02.03.2021
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