Jugendarbeit

Allgemeiner Rahmen

Historische Entwicklungen

Das Verständnis von Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland und auch ihre wesentlichen Organisations- und Strukturprinzipien haben ihre Wurzeln gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Zuge der Industrialisierung verändert sich das gesellschaftliche Gefüge (z.B. Lohnarbeit, Wachstum der Städte). Jugend als eigenständige Lebensphase bildet sich heraus. Jugendliche beginnen ihre in dieser Zeit zunehmend entstehende Freizeit zu gestalten, wie z.B. in der sogenannten „Wandervogelbewegung“ oder den sich neu gründenden Jugendverbänden. Aber auch staatliche Stellen interessieren sich für die Jugend, vor allem um sicherzustellen, dass die Aktivitäten Jugendlicher nicht gegen staatliche Interessen verstoßen. Zuerst werden solche Angebote vor allem für die erwerbstätige, städtische und männliche Jugend konzipiert, insbesondere um diesen sinnvolle Freizeitangebote zu machen. Auch Wohlfahrtsverbände beginnen Angebote zu unterbreiten, wie Jugendklubs, um sozialen Auffälligkeiten und Verwahrlosung bei Jugendlichen entgegenzuwirken. In der Zeit der Weimarer Republik (1919-1933) fand eine Phase der Politisierung der Jugendverbände statt. So bot sich mit der Vielfalt der entstehenden Jugendorganisationen die Möglichkeit der Interessenartikulation für Jugendliche, z.B. in der Arbeiterjugend oder den Jugendorganisationen der Gewerkschaften. Insgesamt entsteht eine große Vielfalt an Jugendorganisationen, -verbänden und -zusammenschlüssen.

Eine Zäsur erfolgt in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945). Jugendverbände werden verboten und die Hitlerjugend bzw. der Bund deutscher Mädel sind die einzigen staatlich anerkannten Jugendorganisationen. Ziel der militaristisch ausgerichteten Organisationen war es, die Jugend auf die nationalsozialistische Ideologie einzuschwören.

Nach 1945 findet eine Neuorientierung statt. So wurde beispielsweise in westdeutschland das Verbot der Gründung von Jugendgruppen relativ rasch aufgehoben und unter anderem das German-Youth-Activities-Programm entwickelt, das demokratische Strukturen aufbauen helfen, einer politischen Radikalisierung der Jugend entgegenwirken und Freizeitangebote schaffen sollte. Jugendverbände gründeten sich neu und begannen, an die Zeit vor dem Nationalsozialismus anzuknüpfen. Mit der Gründung von Häusern der offenen Tür sollten auch Jugendliche erreicht werden, die nicht in Verbänden organisiert waren. Die Zeit der Bundesrepublik in den 1950/60er Jahre ist geprägt durch die Herausbildung der Jugendarbeit als eigene, neben Familie und Schule bestehende Erziehungs- und Bildungsinstanz. Damit einher ging eine Pädagogisierung. Die 1970er Jahre sind durch eine Gegenbewegung (z.B. Jugendzentrumsbewegung) gekennzeichnet. Jugendliche setzten sich dafür ein, von Erwachsenen nicht vorstrukturierte Orte für eigene Aktivitäten zur Verfügung zu haben. In diesem Kontext entstanden von jungen Menschen selbstverwaltete Jugendzentren. Zugleich wurde die Jugendarbeit seit den 1970er Jahren immer weiter ausgebaut und professionalisiert.

In der DDR ist die Freie Deutsche Jugend (FDJ) die einzig zugelassene Jugendorganisation, in der fast alle Jugendlichen Mitglied waren. Diese orientierte sich an den Vorgaben der Partei und Regierung. Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurde an die in den westdeutschen Bundesländern existierenden Strukturen der Jugendarbeit angeknüpft. In den 30 Jahren seit der Wiedervereinigung hat sich jedoch eine etwas andere Landschaft der Jugendorganisationen und Angebote für Jugendliche herausgebildet. So gibt es in den ostdeutschen Bundesländern weniger Jugendverbände und dafür mehr Initiativen und Vereine auf der lokalen Ebene.

Heute sind für die Jugendarbeit in Deutschland folgende Strukturcharakteristika und Prinzipien prägend:

  • Eine gesetzlich verankerte und unterstützte Pluralität an Jugendorganisationen, u.a. als Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus und der Einheitsjugend in der DDR. Mit der Pluralität vergrößert sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen ein Angebot finden, das auch ihren Wertvorstellungen und Interessen entspricht.
  • Ehrenamtliches Engagement hat eine hohe Bedeutung für die Jugendarbeit. Es ist historisch betrachtet von Anfang an Ausdruck des für die Jugendarbeit grundlegenden Prinzips der Selbstorganisation.
  • Jugendarbeit wird unterstützt mit hauptberuflichem Personal (ca. 32.000 Personen bundesweit). Eine Aufgabe des hauptberuflichen Personals ist es, ehrenamtlich Tätige zu unterstützen.
  • Jugendarbeit wird vor allem auf kommunaler Ebene finanziert und gestaltet.
  • Die Angebote sind freiwillig und richten sich nach den Bedarfen und Interessen von jungen Menschen: Angebote von und für junge Menschen.
  • Der weit überwiegende Teil der Angebote wird von freien Trägern erbracht. Die Zusammenarbeit von öffentlichen und freien Trägern ist gesetzlich verankert.

Zudem ist die Jugendarbeit seit ihren Anfängen durch das Spannungsfeld aus staatlichen Interessen und selbstorganisierten Aktivitäten der Jugendlichen geprägt. Phasen eher staatlicher Instrumentalisierung und Zeiten ausgeprägterer jugendlicher Selbstbestimmung wechseln sich ab. Auch heute wird immer wieder um das Verhältnis von staatlicher Einflussnahme und jugendlicher Selbstorganisation gerungen.

Definition oder Verständnis von Jugendarbeit im nationalen Kontext

Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland ist ein Teil der Kinder- und Jugendhilfe. Die Kinder- und Jugendhilfe umfasst im Prinzip alle Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder, Jugendliche und ihre Familien außerhalb von Schule. Zu den Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe gehören neben der Jugendarbeit u.a. die Kindertagesbetreuung (Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern von 0 bis 6 Jahren und Schulkinderbetreuung), die Hilfen zur Erziehung (z.B. Heimerziehung oder Pflegefamilien), Jugendsozialarbeit, Jugendhilfe im Strafverfahren, Kinder- und Jugendschutz. Insbesondere Angebote der Hilfen zur Erziehung sind spezifisch auf Problemlagen von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet, z.B. bei Erziehungsproblemen, häuslicher Gewalt und Vernachlässigung, und bieten dafür Hilfeleistungen, die sich an die Eltern richten und dazu beitragen sollen, dass diese ihrer Erziehungsverantwortung (besser) nachkommen können. Ziel von Jugendsozialarbeit ist es, jungen Menschen sozialpädagogische Unterstützung anzubieten, die dem Ausgleich sozialer Benachteiligung oder der Überwindung von Beeinträchtigungen dienen, z.B. durch Schulsozialarbeit, Unterstützung bei der beruflichen Ausbildung und Eingliederung in die Arbeitswelt. Angebote der Jugendarbeit in Deutschland beschreiben einen eigenständigen Aufgabenbereich, der von dem der Hilfen zur Erziehung, der Jugendsozialarbeit und weiteren Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe klar abgegrenzt ist.

Jugendarbeit umfasst ein breites Spektrum an Angeboten und Aktivitäten der Freizeitgestaltung für Jugendliche. Sie richtet sich an alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihrem Bildungsstand, ihrem Geschlecht und insbesondere unabhängig von Problemen, die sie haben oder die ihnen zugeschrieben werden. Die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit sind an den Interessen von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet und nicht vorrangig von Erwachsenen vorstrukturierte Orte. Sie bieten Orte und Gelegenheiten für Selbstorganisation und Selbstbildungsprozesse in pädagogisch organisierten Kontexten. Die Kinder- und Jugendarbeit ist auch ein Ort der Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen, z.B. indem Jugendverbände oder ihre Zusammenschlüsse in (kommunal)politischen Strukturen vertreten sind. Jugendarbeit richtet sich, wie alle Angebote des SGB VIII, an junge Menschen bis zum Alter von 27 Jahren. Die Hauptnutzer/-innen der Jugendarbeit sind zwischen 10 und 17 Jahre alt. Es gibt auch Angebote explizit für Kinder (z.B. Spielmobile). Auch junge Menschen über 27 Jahre nutzen die Angebote der Jugendarbeit.

Zwei wichtige Bereiche der Kinder- und Jugendarbeit sind: Jugendverbände und offene Kinder- und Jugendarbeit.

Zu Jugendverbänden werden sehr unterschiedliche Organisationen gezählt, die sich vor allem durch ihre ähnlichen historischen Wurzeln, ihre mehr oder weniger enge Bindung an einen Verband und eine spezifische Wertorientierung auszeichnen. Jugendverbände können z.B. konfessionell, helfend (z.B. Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG)), kulturell (z.B. Schützenvereine), ökologisch, berufsständisch, gewerkschaftlich, parteinah ausgerichtet sein. Häufig sind die Jugendverbände Jugendorganisationen bzw. Nachwuchsorganisationen von Erwachsenenverbänden, wie z.B. die Jugendfeuerwehr, die evangelische oder katholische Jugend oder die deutsche Beamtenbund-Jugend. Viele haben eine lange Tradition, es gibt aber auch heute noch Neugründungen von Jugendverbänden, z.B. Migrantenjugendselbstorganisationen. Kern der Jugendverbände sind in der Regel die Jugendverbandsgruppen auf der kommunalen Ebene. Diese einzelnen Gruppen sind häufig auf der nächsthöheren Organisationsebene zusammengeschlossen, manche sind in die Strukturen eines Erwachsenenverbandes eingebunden. Wie viele Jugendverbandsgruppen es genau auf der örtlichen Ebene gibt, ist nicht bekannt.

Offene Kinder- und Jugendarbeit bezeichnet eine Arbeitsform, die sich überwiegend auf Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen (youth clubs) mit offenen Angeboten sowie Abenteuerspielplätze und Spielmobile bezieht. Zentrales Merkmal der offenen Kinder- und Jugendarbeit ist, dass sie jedem Jugendlichen unabhängig von seiner Milieuzugehörigkeit oder weltanschaulichen Vorstellungen offensteht. Zudem sind die Angebote bis auf wenige Ausnahmen kostenfrei und an keinerlei sonstige Voraussetzungen geknüpft, wie z.B. eine Mitgliedschaft. Die offene Kinder- und Jugendarbeit soll Jugendlichen in einem nicht von Erwachsenen dominierten Raum Möglichkeiten bieten, ihre Interessen und Bedürfnisse zu verfolgen und selbstbestimmt Erfahrungen zu sammeln. Ein typisches Angebot ist ein Jugendzentrum, in das Kinder und Jugendliche am Nachmittag und Abend kommen und ihre Freizeit nach ihren Vorstellungen verbringen können, wie z.B. Freunde treffen, chillen, Spiele spielen oder Sport treiben, kreative oder künstlerische Angebote nutzen oder auch sich bei alltäglichen Fragen und Problemen Unterstützung holen. Jugendliche können nicht verpflichtet werden, bestimmte Angebote im Jugendzentrum wahrzunehmen. In Deutschland existieren derzeit ungefähr 11.000 solcher Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Rein statistisch bedeutet das, dass für etwa 100.000 6- bis 21-Jährige 129 Einrichtungen zur Verfügung stehen. Ungefähr in der Hälfte davon arbeiten hauptamtliche Fachkräfte. Die anderen Einrichtungen sind selbstorganisierte Treffs von Jugendlichen, oft auf dem Land, die es ihnen ermöglichen, gemeinsam ihre, und nicht von Erwachsenen vorstrukturierte, Freizeit zu verbringen.

Die Grenzen zwischen diesen beiden Bereichen (Jugendverbandsarbeit und offener Kinder- und Jugendarbeit) sind heutzutage oft fließend. So bieten z.B. auch Jugendverbände offene Treffs, zu denen alle Kinder und Jugendlichen kommen können, auch wenn sie nicht Mitglied des Verbandes sind oder eine Nähe zu diesem Verband haben. Ferienfreizeiten werden z.B. sowohl von Jugendverbänden als auch von Jugendzentren organisiert.

Die Kinder- und Jugendhilfe und damit auch die Jugendarbeit ist Teil der kommunalen Selbstorganisation. Gesetzliche Vorgaben auf Bundes- und Landesebene geben (siehe auch Youth-Wiki-Kapitel „Unterstützung der Jugendarbeit“) allgemein vor, dass Angebote für Kinder und Jugendliche zu schaffen sind und welche allgemeinen Ziele diese verfolgen sollen. Kinder- und Jugendarbeit wird größtenteils auf der Ebene der Kommunen, Landkreise und Städte organisiert und finanziert. Daraus folgt eine Vielfalt (manchmal Unübersichtlichkeit) an unterschiedlichen Organisationsformen, Angeboten und Strukturen, z.B. welche Träger vor Ort aktiv sind, wie vielfältig das Angebot ist oder welche Angebote mit welcher konzeptionellen Ausrichtung es gibt. Nicht zuletzt aufgrund der Vielfalt dessen, was unter Jugendarbeit verstanden wird, ist eine regelmäßige, auch überörtliche Verständigung über den Kern der Jugendarbeit erforderlich. Hierzu werden Fachtagungen durchgeführt, Qualitätsdiskurse organisiert und vielfältige Fachinformationen sowie Zeitschriften herausgegeben.

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Dieser Artikel wurde auf www.youthwiki.eu in englischer Sprache erstveröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Übernahme.

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