Fachgespräch im Bundestag

Mittelkürzungen beim Freiwilligendienst sind ein falsches Signal

Mittelkürzungen beim Freiwilligendienst, den zahlreiche junge Menschen nach der Schule absolvieren, sind ein falsches Signal, waren sich die Sachverständigen im öffentlichen Fachgespräch im Deutschen Bundestag zum Thema „Junges Engagement und Freiwilligendienste“ des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ einig. Der Freiwilligendienst biete jungen Menschen Orientierung in schwieriger Zeit, trage zu gesellschaftlichem Zusammenhalt bei, fördere die Demokratie und müsse finanziell gestärkt werden.

14.10.2022

Zahlen zeigen einen leichten Aufwärtstrend

Stabil mit leichtem Aufwärtstrend seien die Zahlen junger Menschen, die sich in Deutschland Jahr für Jahr für den Freiwilligendienst entschieden, sagte Kira Bisping, Sprecherin des Bundesarbeitskreises Freiwilliges Soziales Jahr (BAK FSJ). Es handele sich um elf Prozent der Schulabsolventen, im Jahrgang 2021 seien dies 52.331 junge Frauen und Männer gewesen, in den letzten zehn Jahren habe diese Zahl um zwölf Prozent zugenommen. „Die Zahlen zeigen, wie robust der Freiwillige Dienst ist.“ Wichtigste Einsatzorte seien nach wie vor Kitas, Krankenhäuser und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen.

Gerade jetzt, in einer Zeit großer Umbrüche und Unsicherheiten, sei das Angebot eines Freiwilligen Sozialen Jahres wertvoller denn je für junge Menschen, von denen immer mehr unter Zukunftsängsten und psychischen Belastungen litten. Der Freiwilligendienst mit seiner kontinuierlichen pädagogischen Begleitung biete in dieser Situation einen festen Rahmen und stifte Orientierung.

Mittelkürzungen im Haushaltsentwurf der Bundesregierung

Der Bundesarbeitskreis bemühe sich, das Freiwillige Soziale Jahr bei Schüler:innen noch bekannter zu machen und den Zugang für Bewerber:innen zu erleichtern. Eine Stellenplattform sei eingerichtet worden. Von der Gesellschaft wünsche man sich mehr Anerkennung dieser Form des Ehrenamtes. Die Politik müsse die Arbeit der Freiwilligen durch die Möglichkeit einer kostenlosen Nutzung des Nahverkehrs erleichtern und zudem nun auch die drastisch gestiegenen Energiekosten abfedern.

Bisping kritisierte, die Mittelkürzungen im Haushaltsentwurf der Bundesregierung um zehn Prozent seien nur schwer verkraftbar. Das könne man höchstens ein Jahr lang durchstehen. Die Träger:innen versuchten bei den Ausgaben zu optimieren, wo immer es passe. Aber sie benötigten auch Planungssicherheit. „Um die Qualität zu halten, braucht es zukünftig mindestens den bisherigen Mitteleinsatz.“ Einer Dienstpflicht für alle erteilte sie eine Absage. Der Freiwilligendienst funktioniere gut, es gelte die Bedingungen in diesem Rahmen attraktiver zu gestalten, da gebe es noch Potenzial.

Freiwilligenjahr bei jungen Leuten bekannter machen

Ein verpflichtendes Engagement lehnte auch Claudio Jax, Vorstandsmitglied beim AKLHÜ e.V., Netzwerk und Fachstelle für internationale Personelle Zusammenarbeit, ab. Aber die Politik solle über die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Förderung eines Platzes im Freiwilligendienst nachdenken. Um die Möglichkeit eines Freiwilligenjahres bei jungen Leuten bekannter zu machen, könne außerdem jede:r Schulabsolvent:innen ein Einladungsschreiben des Bundespräsidenten erhalten. Ein „Freiwilliges Internationales Jahr“ im Ausland präge junge Leute, das Einlassen auf eine andere Kultur wirke ein Leben lang nach, erklärte Jax. „So entstehen stabile Brücken über Grenzen. Die brauchen wir gerade jetzt.“ Das Freiwillige Internationale Jahr sei Friedensdienst, soziales Jahr und gesellschaftliches Engagement in einem.

Die Welt auf diese Weise unmittelbar zu erleben und sich in den Dienst für andere zu stellen, trage zur Persönlichkeitsbildung bei, mache aus den Teilnehmer:innen selbstbewusste junge Menschen, mündige Staatsbürger:innen, Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt würden auf diese Weise gestärkt. 7.209 junge Deutsche seien im Jahr 2019 bei 192 Träger:innen im Ausland als Freiwillige tätig gewesen, und 4.586 junge Leute aus dem Ausland bei 182 Träger:innen in Deutschland. Jax appellierte an die Abgeordneten als Haushaltsgesetzgeber:innen, Budgetkürzungen in einer Zeit der Herausforderungen mit Pandemie, Krieg und Inflation abzuwenden. „Unser Finanzierungsmodell gerät in eine echte Notlage. Die Träger stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Diese hätten keine Möglichkeit mit den gestiegenen Kosten umzugehen. „Wir sind in allen Programmen auf eine Fördersatzanpassung angewiesen.“

Mobilität der Freiwilligen unterstützen

Den hohen Nutzen des Freiwilligendienstes für die Gesellschaft und für die Persönlichkeitsentwicklung des/der Einzelnen unterstrich der ehemalige Freiwillige Ben Rating, Bundessprecher des Jahrgangs 2021/2022 des Sprecher:innenrates Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ). Die Dienste mit ihren praktischen Möglichkeiten einerseits und Seminaren andererseits böten jungen Menschen einen sicheren Rahmen dazu, eigenständig zu werden und Verantwortung für andere zu übernehmen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt werde gestärkt.

Er wünsche sich, dass die Freiwilligendienste finanziell besser ausgestattet würden. Momentan würden sozial Schwächere aus finanziellen Gründen von einem Engagement absehen und fühle sich lediglich eine weitgehend exklusive Gruppe angesprochen, die sich ein solches Jahr nur durch Unterstützung von außen leisten könne. Außerdem sollte die Mobilität der Freiwilligen durch ein günstiges, möglichst bundesweites Ticket unterstützt werden, um die Familie besuchen zu können. Und schließlich gelte es das Angebot an Plätzen zu vergrößern. Allein im ökologischen Jahr übersteige die Zahl der Bewerber:innen (12.000) die der verfügbaren Plätze (3.000) um das Vierfache.

Sportstätten offen halten

Seit Bestehen der Menschheit sei zuerst und zuletzt immer der Mittel- und Treffpunkt der Gemeinschaft gewärmt worden, erinnerte Julia Schneider, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Turnerjugend, und forderte angesichts der Energiekrise, nicht gerade in Sportstätten, Clubräumen und Bibliotheken die Temperatur zu senken. Gerade dort sollten und wollten nämlich die Menschen zusammenkommen und könnten so nebenbei bei sich zu Hause etwas einsparen.

Gerade in Zeiten der Umbrüche, der Unsicherheit und der Kälte, und nach den Schließungen der Pandemie gelte es, genug Räume für Engagement zu schaffen, Sportstätten offen zu halten, zu erhalten und auszubauen, statt die Menschen an diesen wichtigen Orten mit neuen Einschränkungen zu konfrontieren. Sie plädierte dafür, den Sport als Teil der Zivilgesellschaft anzuerkennen und Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen Sport stattfinden kann.

Es sei ihr ein Herzensanliegen, möglichst allen Kindern Gelegenheit zu geben, bewegt aufzuwachsen, so Schneider, deren Verband die Interessen von zwei Millionen Kindern und Jugendlichen in 18.000 Vereinen in 23 Sportarten vertritt. Der Kinder- und Jugendplan der Bundesregierung für die politische und kulturelle Kinder- und Jugendarbeit müsse sicherstellen, dass alle Engagementfelder gefördert würden. Dazu brauche es mehr hauptamtliches Personal. Und schließlich müssten Vereine von Bürokratie entlastet werden. Die Ehrenamtlichen wollten sich vor allem auf den Vereinszweck konzentrieren, statt sich mit ausufernden Brandschutz-, Datenschutz- und Hygienevorschriften auseinanderzusetzen.

Quelle: Deutscher Bundestag

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Dieser Artikel wurde auf der Internetseite des Deutschen Bundestages erstveröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Übernahme.

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