Kinderschutzmatrix

Konzept für mehr Kinderschutz soll Entscheidungssicherheit in Jugendämtern stärken

Prof. Dr. Christof Radewagen, Studiengangbeauftragter Soziale Arbeit an der Hochschule Osnabrück, hat im Zuge seiner Tätigkeit als Mitglied der Lügde-Kommission eine Kinderschutzmatrix konzipiert. Die Inhalte fließen auch in einen neuen Schwerpunkt des Studiengangs ein.

20.04.2021

2019 haben die Jugendämter in Deutschland nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes 173.029 Gefährdungseinschätzungen vorgenommen. Werden Jugendämtern gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, sind sie zu einer derartigen Gefährdungseinschätzung verpflichtet.

Der Missbrauchsfall Lügde, bei dem auf einem Campingplatz in Lügde-Elbrinxen gegen eine große Anzahl von Kindern langjährig sexualisierte Gewalt ausgeübt wurde, hat der breiten Öffentlichkeit schmerzhaft vor Augen geführt, welche Schlüsselrolle die Gefährdungseinschätzung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen einnimmt. Die Rolle der in Lügde beteiligten Jugendämter aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird noch immer aufgearbeitet, in NRW läuft ein Untersuchungsausschuss.

Prof. Dr. Christof Radewagen, Professor im Bereich Soziale Arbeit an der Hochschule Osnabrück, war Mitglied der niedersächsischen Lügde-Kommission. Im Dezember 2020 hat sie ihren Abschlussbericht vorgelegt. Der Bericht enthält Empfehlungen für den Kinderschutz in Niedersachsen mit dem Ziel, dass strukturelle Fehler in Zukunft minimiert werden. Eine von Radewagen erarbeitete Kinderschutzmatrix ist dabei zentrales Element.

Eine Art Schablone, die sich über einen Fall legen lässt

„Mit dem noch jungen Konzept wollen wir eine Art Schablone bieten, die sich über einen Fall legen lässt“, erläutert Radewagen. „Die Kinderschutzmatrix soll Mitarbeitende in Jugendämtern und bei freien Jugendhilfeträgern unterstützen, Fälle ganzheitlich abzuscannen.“ Radewagen, der selbst 15 Jahre in der Jugendhilfe gearbeitet hat, kennt die anspruchsvolle Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe. „Die Fachkräfte sind methodisch sehr gut aufgestellt und hochsensibilisiert für das Thema Kinderschutz. Sie müssen sich aber oft mit sehr komplexen Fällen auseinandersetzen.“ Die ersten Rückmeldungen zur Kinderschutzmatrix seien positiv: „Sie macht die Arbeit am Kinderschutzfall nicht leicht, aber durch ihre klare Struktur leichter.“

Die Matrix verbindet verschiedene Bereiche miteinander, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Bestandteile sind unter anderem die aktuelle Gefährdungssituation, in der sich das Kind oder die jugendliche Person befindet, die „Erziehungsfähigkeit der Erziehungsberechtigten“ oder die „Wechselbeziehung aus Fähigkeit und Bereitschaft der Erziehungsberechtigten zur Kooperation und Verhaltensänderung“.

,Must have‘ einer Gefährdungseinschätzung

Die Ausarbeitung Radewagens ist unter der Überschrift „,Must haves‘ einer Gefährdungseinschätzung“ in den Abschlussbericht der Lügde-Kommission eingeflossen. Zu diesen unerlässlichen Bausteinen zählen auch die Themen Verantwortlichkeit, eine grundsätzlich mehrköpfige Fallberatung oder die Einbindung notwendiger Expertise, etwa aus der Psychologie oder der Medizin. Im Blick auf den Fall Lügde heißt es im Bericht: „Aus heutiger Sicht wissen wir, dass die Einschätzungen falsch waren. Dies gibt Anlass, sich zu vergewissern, wie eine möglichst hohe Qualität bei der Wahrnehmung der anspruchsvollen jugendamtlichen Aufgabe der Gefährdungseinschätzung sichergestellt und entwickelt werden kann.“ Die „,Must haves‘ einer Gefährdungseinschätzung“ sollen hier künftig ihren Beitrag leisten.

Qualifizierungs-, Fort- und Weiterbildungsoffensive für Niedersachsen

Auch eine Qualifizierungs-, Fort- und Weiterbildungsoffensive für Niedersachsen nahm die Lügde-Kommission in den Blick. Radewagen, wissenschaftlich-fachlicher Leiter des Studiengangs Soziale Arbeit an der Hochschule Osnabrück, konnte hier einen mit seinen Kolleginnen und Kollegen entwickelten Schwerpunkt präsentieren. Ab dem Wintersemester 2022/23 wird er von der Hochschule Osnabrück angeboten.

„Der Studienschwerpunkt wird darin bestehen, dass die Fachkräfte von morgen in der Lage sind, Kindeswohlgefährdung – nach unserem Konzept – zu erkennen und in solchen Fällen zu beraten“, erläutert Radewagen. Die Studierenden lernten zudem Strukturen öffentlicher Verwaltungen kennen und auch Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung.

Die Bedeutung solcher Weiterentwicklungen untermauert ein Blick auf die Zahlen. In 2018/19 waren etwa 20 Prozent der Fachkräfte im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der Jugendämter unter 30 Jahre alt. Dieser Anteil hat sich im Vergleich der Altersstruktur im ASD zwischen 2006 und 2018 aufgrund des starken Personalausbaus vervielfacht.

Das Studium an der Hochschule soll die Studierenden bestmöglich auf die Herausforderungen im Arbeitsalltag vorbereiten. Radewagen formuliert es so: „Wenn jemand frisch ins Jugendamt kommt, soll er oder sie sich da sicher fühlen und wissen, was zu erwarten ist.“

Weitere Informationen

Quelle: Hochschule Osnabrück vom 31.03.2021

Redaktion: Kerstin Boller

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