Bayerischer Jugendring

Junge Menschen wahrnehmen, hören und beteiligen

Der Bayerische Jugendring (BJR) und die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Jugendsozialarbeit Bayern kritisieren, dass die Politik bei den Maßnahmen zur Bewältigung der SARS-CoV-2-Pandemie Jugendliche und ihre Lebenswirklichkeit vollständig ignoriert. Das haben BJR-Präsident Matthias Fack und Klaus Umbach, Vorsitzender der LAG Jugendsozialarbeit Bayern, in einem gemeinsamen Pressegespräch deutlich gemacht.

22.02.2021

Jeder wird gehört, nur junge Menschen nicht

BJR-Präsident Matthias Fack: „Es ist höchste Zeit, dass Politik und Gesellschaft die jungen Generationen beteiligen und ihre Bedürfnisse nicht noch länger ignorieren. Kinder und Jugendliche sind keine Objekte, die Schulen oder Kitas besuchen und dort ‚betreut‘ werden müssen. Sie sind Menschen, die von Politik und Gesellschaft wahrgenommen, gehört und ernst genommen werden wollen. Die Mehrheit junger Menschen hat sich in der Coronapandemie solidarisch gezeigt und sich entgegen einer falschen öffentlichen Wahrnehmung an die Regeln gehalten. Jetzt ist es dringend notwendig, sie besser teilhaben zu lassen und ihnen die gebotene Wertschätzung entgegenzubringen.“

Junge Menschen brauchen eine Perspektive, keine Verschärfung der sozialen Spaltung

Klaus Umbach, Vorsitzender der LAG Jugendsozialarbeit Bayern: „Durch die SARS-CoV-2-Pandemie droht die Gefahr, dass eine abgehängte junge Generation ohne Chancen heranwächst. Wir haben es in der Hand, dass diese Entwicklung nicht zum sozialen Sprengstoff wird. Gerade jetzt brauchen insbesondere sozial benachteiligte junge Menschen Unterstützung, zum Beispiel beim Übergang zwischen Schule und Ausbildung. Fatal, wenn ausgerechnet jetzt für bewährte Angebote in Bayern wie Berufseinstiegsbegleitung und Arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit das Geld fehlt. Die Gesellschaft muss die Lebenswirklichkeit junger Menschen ganzheitlich in den Blick nehmen, nicht nur im Hinblick auf Schule und Familie. Vor allem benachteiligte junge Menschen leiden massiv unter der aktuellen Situation: räumliche Enge, fehlende digitale Infrastruktur, kaum helfende Ansprechpersonen, erschwerter Kontakt zu Beratungsstellen und Behörden, Auswirkungen von Armut und Kontaktlosigkeit. Sie brauchen dringend eine Perspektive, zusätzliche Orientierung und ein Gegensteuern für bessere Chancen.“

Eine „Generation Corona“ verhindern

Wolfgang Schröer, Professor an der Universität Hildesheim und Vorsitzender des Bundesjugendkuratoriums: „Bitte sprechen Sie nicht von der ‚Generation Corona‘, sondern gestalten Sie mit den jungen Menschen die Bedingungen so, dass die junge Generation die Folgen von Corona meistern und ihrer Generation später selbst ein Label geben kann. Wir sollten insbesondere jetzt den Blick auf die nachhaltigen Folgen richten und die jungen Menschen in den ganz unterschiedlichen Lebenslagen ansprechen. Die Jugend fällt gegenwärtig aus dem Corona-Gesellschaftsbild von ‚Homeschooling und Homeoffice‘ heraus.“

Jugend- und Jugendsozialarbeit sind systemrelevant

BJR und LAG weisen darauf hin, dass vor allem Kinder und Jugendliche Leidtragende der SARS-CoV-2-Pandemie sind, besonders sozial benachteiligte. Strenge Kontaktbeschränkungen sowie geschlossene Schulen und Kitas träfen junge Menschen besonders hart, weil sie ihre Lebenswirklichkeit und ihre Entwicklung deutlich stärker einschränken müssen als Erwachsene. Die Politik müsse deutlich machen, dass sie die Bedürfnisse der Jugend bei den Diskussionen über die weiteren Anti-Corona-Maßnahmen im Blick hat und auch ihnen Perspektiven eröffnet.

„Junge Menschen haben ein Recht auf Bildung – nicht nur im schulischen Bereich, sondern auch im außerschulischen Bereich mit Jugend- und Jugendsozialarbeit“, erklärt Umbach. Zusätzlich zum Unterricht seien in diesem Zusammenhang auch andere Entwicklungsaufgaben zu berücksichtigen, zum Beispiel soziales Lernen, Persönlichkeitsentwicklung oder Identitätsbildung. „Die Orte, an denen positive Entwicklungen wahrgenommen und Selbstwirksamkeit bestärkt und gefördert werden können, fehlen vielfach“, so Umbach. „Dort, wo sie, wie die bayerischen Jugendwerkstätten, offen sind, kommen junge Menschen gern hin – verhalten sich regelkonform und nehmen Hilfen in Anspruch, die ihnen woanders oft versagt bleiben.“

Zusammen mit Fack fordert Umbach eine Öffnungsperspektive für die Akteure der außerschulischen Bildung: „Vor allem in Zeiten von Corona sind Jugend- und Jugendsozialarbeit systemrelevant“, sagt Fack. „Im Interesse von Kindern und Jugendlichen braucht es hier schnellstmöglich eine Perspektive, unter welchen Bedingungen wieder Angebote ermöglicht werden können: Wenn die Schulen schrittweise öffnen, kann auch außerschulische Bildung – vorsichtig und mit den gebotenen Vorgaben für Gesundheitsschutz und Hygiene – wieder stattfinden.“

Öffnungsstrategie und Jugendgipfel

„Es ist jetzt höchste Zeit, eine schrittweise Öffnungsstrategie für die Jugend- und die Jugendsozialarbeit aufzuzeigen“, erklärt Umbach. Zudem wäre es gut, sicherzustellen, dass bestimmte Angebote wie Jugendsozialarbeit an Schulen oder Jugendmigrationsdienste trotz Lockdown möglich bleiben. Fack ergänzt: Die Jugendarbeit in Bayern habe zwischen Pfingsten und Dezember bewiesen, dass sie ihre Angebote verantwortungsvoll und mit den gebotenen Vorgaben für Gesundheitsschutz und Hygiene gestalten kann. „Die Ferienangebote im Sommer und Herbst zeigen der Politik, dass sie sich auf die Jugendarbeit in Bayern verlassen kann“, so der BJR-Präsident.

Bei der Öffnungsstrategie sei ein Gleichgewicht zwischen den Interessen von Kindern und Jugendlichen sowie den gebotenen Maßnahmen zur Pandemie-Bewältigung nötig, so BJR und LAG Jugendsozialarbeit Bayern. „Es wäre ein wichtiges Signal, wenn es nach Impf- und Schulgipfel auch einen Jugendgipfel gibt, an dem neben Bund und Ländern junge Menschen teilhaben und mitgestalten können“, erklärt Fack.

Im Zuge der Öffnungsstrategie sollte auch über eine Priorisierung von Pädagog:innen bei den Corona-Impfungen nachgedacht werden: „Dass Erzieher/-innen und Lehrer/-innen erhöhte Priorität haben, ist berechtigt“, erklärt Umbach. „Sozialarbeiter/-innen sollten hier mitgedacht und gleichberechtigt berücksichtigt werden.“ Dies könne die Handlungsfähigkeit von Jugendhilfe und Jugendsozialarbeit sicherstellen, deren Angebote angesichts gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen künftig mehr denn je nötig seien – und dafür sorgen, dass die Einrichtungen bei weiter sinkenden Infektionszahlen schneller wieder den Regelbetrieb aufnehmen können. „Ein entsprechendes Impfangebot, regelmäßige Tests und Masken für alle Akteure und Akteurinnen würde sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Sozialpädagog(inn)en mit engen Kontakten zu vulnerablen Zielgruppen und jungen Menschen schützen und ein frühzeitiges Wiederhochfahren von Angeboten insbesondere der Jugendhilfe möglich machen“, so Fack.

Kampagne in den sozialen Medien soll jungen Menschen Gehör verschaffen

Um die Anliegen der Jugend deutlich zu machen und dafür eine Plattform zu bieten, will der BJR unter dem Hashtag #hörtaufdiejugend eine Kampagne in den sozialen Medien starten. Alle jungen Menschen und Jugendorganisationen in Bayern sollen dazu aufgerufen werden, Beiträge oder Videos mit ihren Bedürfnissen, Wünschen, Forderungen oder Herzensanliegen zu posten. Der BJR will so auf die mangelhafte Jugendbeteiligung aufmerksam machen und dafür sorgen, dass die Bedarfe junger Menschen von Gesellschaft und Politik gehört werden: Jugendliche wollen nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung wahrgenommen werden.

Quelle: Bayerischer Jugendring vom 12.02.2021

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