SGB VIII

Hamburger Erklärung zur SGB VIII Reform

Vertreterinnen und Vertreter der Hamburger Kinder- und Jugendhilfe beziehen Stellung gegen eine übereilte Reform des SGB VIII. Die 81 Erstunterzeichner fordern alle politisch Verantwortlichen dazu auf, das Gesetz nicht im Schnelldurchgang zu novellieren. Eine Gesetzesreform, die allen Beteiligten gerecht werden soll bräuchte mehr Zeit, echte Beteiligung und einen Dialog mit den Praktiker/-innen.

26.10.2016

Vertreterinnen und Vertreter aller Bereiche der Hamburger Kinder- und Jugendhilfe verfolgen den bisherigen Prozess der SGB VIII Novellierung, der gerade auch von Hamburg vorangetrieben wird, mit großer Sorge. In einer "Hamburger Erklärung" beziehen Fachleute aus Wissenschaft, Praxis und Verbänden dazu Stellung.

Die 81 Erstunterzeichner fordern alle politisch Verantwortlichen dazu auf, jetzt die Reißleine zu ziehen und das Gesetz nicht im Schnelldurchgang zu novellieren. Eine Gesetzesreform, die allen Beteiligten gerecht werden soll braucht mehr Zeit, echte Beteiligung und einen Dialog mit den Praktiker/-innen.

Hamburger Erklärung vom 24.10.2016

Gerade weil vom Hamburger Senat die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) in der jetzt vorliegenden Form maßgeblich forciert wurde, beziehen wir Vertreterinnen und Vertreter aller Bereiche der Hamburger Kinder- und Jugendhilfe Stellung.

Die Reform des Kinder-und Jugendhilfegesetzes, hat sich selbst "vom Kinde aus denken" als Leitziel gesetzt. Aus dem "vom Kinde aus denken" wurde ein "vom Staate aus lenken". Dieser neue Staat ist nun kein fürsorglicher mehr, sondern ein bevormundender und allmächtiger, der allein weiß was gut und richtig ist und der vorhat, mit dieser Reform die Kosten in der Kinder- und Jugendhilfe unabhängig von Rechtsansprüchen und Bedarfen zu begrenzen.

Wir fordern:
SGB VIII Novelle – es ist an der Zeit, die Reißleine zu ziehen!
Mehr Zeit, echte Beteiligung und Dialog! Keine Schnellschüsse!

Was wurde versprochen

Versprochen wurde die Verbesserung der Hilfen für alle jungen Menschen unabhängig davon, ob sie unter den Folgen von sozialer Ausgrenzung oder erzieherischer Überforderung ihrer Eltern leiden oder davon bedroht sind oder mit einer Behinderung leben. Ihre Förderung und ihr Schutz sollten verbessert werden und ihre Rechte auf individuelle Hilfe, auf Beteiligung und auf eine unterstützende Umwelt durch Staat und Gesellschaft sollten gestärkt werden.

Diese Ankündigung hat nach dem Vorliegen eines Eckpunktepapiers im März viele Hoffnungen geweckt, denn es waren sinnvolle Ziele einer Reform auf die viele gewartet haben, die vom Kinde aus denken und handeln wollen.

Was wurde vorgelegt

Nach langem Warten erreichte die breitere Fachöffentlichkeit am 23. August ein Arbeitsentwurf. Dieser wird nicht nur keinem dieser Versprechen gerecht, sondern er schränkt das Recht auf Hilfen zur Erziehung ein. Er löst das Recht auf eine fördernde Umwelt durch Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Familienförderung nicht ein und baut die Rechtsansprüche von jungen Volljährigen ab.

Er zeigt ein Zerrbild von übermächtigen Freien Trägern, die das Kindeswohl aus den Augen verlieren und ohnmächtigen Jugendämtern, die dadurch das Kindeswohl nicht mehr garantieren können. Auf der Grundlage dieses Zerrbildes werden Aushandlungsverhältnisse zwischen Leistungsanbietern und Jugendämtern zu Auftragsverhältnissen gemacht und verlässliche Finanzierungen aufgegeben, um sie ins Belieben der Jugendämter zu stellen.

Die Hilfeplanung mutiert von einem partnerschaftlichen Aushandlungsprozess zu einer letztinstanzlichen Vollmacht des Jugendamtes, welche Kinder, Jugendliche und Eltern entmündigt. Das Wunsch- und Wahlrecht gilt zukünftig nur noch für die Jugendämter, die über die Hilfe, den Träger und über die Finanzierung entscheiden – mehr staatliche Lenkung geht nicht.

Die von Hoffnung getragene Stärkung der Kinderrechte durch Ombudsstellen, die in den Runden Tischen zur Heimerziehung und zum sexuellen Kindesmissbrauch allseits gefordert wurden, werden zur unverbindlichen Kannbestimmung. Dafür werden die Türen für unangekündigte Kontrollen der bundesweit ausgedünnten Heimaufsicht geöffnet. Die Beheimatung gerade von jüngeren Kindern in der Heimerziehung in überschaubaren kleinen Lebensgemeinschaften wird gefährdet, in dem ihnen der Einrichtungsstatus zukünftig aberkannt werden soll. Dies wird allein wegen der Arbeitsüberlastung der Landesjugendämter und gegen alles fachliche Wissen aus der Bindungsforschung verfolgt.

Darüber hinaus soll die inklusiv ausgerichtete Kinder- und Jugendhilfe durch Abweichungsrechte der Länder ausgehöhlt werden. Dies widerspricht dem Verfassungsgrundsatz, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sicherzustellen!

Aus dem "vom Kinde aus denken" wurde ein "vom Staate aus lenken". Dieser neue Staat ist nun kein fürsorglicher mehr, sondern ein bevormundender und allmächtiger, der allein weiß was gut und richtig ist und der vorhat, mit dieser Reform die Kosten in der Kinder- und Jugendhilfe in den Griff zu kriegen.

Wer wurde beteiligt

Noch nie wurden im Vorlauf einer so grundlegenden Reform so Wenige beteiligt. Dieses Verfahren zeigt deutlich, dass die Reformer das Licht der Öffentlichkeit gescheut und darauf gesetzt haben, ein Gesetz in einer brillanten Verpackung ohne größere Diskussion verabschieden zu können, das die Lebensbedingungen von Millionen Kindern, Jugendlichen und deren Eltern aber auch die Arbeitsbedingungen der Fachkräfte deutlich verschlechtern wird.

Wie wurde reagiert

Seit dem Vorliegen des Arbeitsentwurfs Ende August sind fast täglich neue Stellungnahmen abgegeben worden, die ausschließlich ablehnend ausfielen. Die Internetseiten von DIJuF, AFET, IGFH füllen sich ständig und nirgendwo ist eine den Reformentwurf unterstützende Stellungnahme dabei. Inzwischen gibt es keinen namhaften Verband und keine Trägergruppe auf Bundesebene, die den Reformentwurf stützt oder verteidigt. Wer in der Jugendhilfe als Expertin und Experte gilt, hat sich kritisch geäußert. Auch die Ablehnung aus Lehre und Forschung ist groß. Sogar die scheinbar begünstigten – die kommunalen Spitzenverbände – sind nicht zufrieden und erkennen zunehmend, welche unlösbaren Probleme für sie mit der Umsetzung dieses Gesetzes verbunden wären. Der Deutsche Städtetag lehnt den Entwurf ebenfalls ab.

Zeit, die Reißleine zu ziehen und einen Neuanfang vorzubereiten!

Es ist an der Zeit diesen zutiefst misslungenen Reformentwurf sofort zurückzuziehen. Was geschehen muss, ist dann einen Diskurs darüber zu eröffnen, wie das Zielbild einer zukünftigen Kinder- und Jugendhilfe aussehen soll. Die sozial- und finanzpolitischen Voraussetzungen müssen dabei ebenso definiert werden wie auch, welche Änderung der Gesetze diese Ziele befördern. Die Ziele der Reform werden dieselben sein wie im Eckpunktepapier. Um aber dem Anspruch "Vom Kinde aus denken und handeln" gerecht zu werden, brauchen wir Zeit, Geld, ein hohes Maß an fachlicher Beteiligung, Vertrauen und Mut.

Erstunterzeichner

Die komplette Liste der 81 Erstunterzeichner kann auf der <link http: www.soal.de news hamburger-erklaerung.html _blank external-link-new-window zur webseite von soal mit der hamburger>Internetseite des Vereins SOAL - Alternativer Wohlfahrtsverband e.V. eingesehen werden.

Quelle: SOAL - Alternativer Wohlfahrtsverband e.V.

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