Sammelunterkünfte
Gewaltschutz für geflüchtete Kinder kommt zu kurz
Sammelunterkünfte für Geflüchtete sind nach wie vor kein sicherer Ort für Kinder. Dies zeigt eine gemeinsame Studie von UNICEF Deutschland und dem Deutschen Institut für Menschenrechte. Sie fordern: Bund, Länder und Kommunen müssen Gewaltschutzkonzepte und -maßnahmen verstärken.
09.12.2020
Der Schutz von Kindern vor Gewalt muss in Unterkünften für geflüchtete Menschen Standard werden, erst recht in Zeiten der Corona-Pandemie. Doch Sammelunterkünfte sind nach wie vor kein sicherer Ort für Kinder. Selbst die wenigen verfügbaren Daten zeigen, dass es hier häufig zu Gewalt kommt. Kinder können unmittelbar Opfer dieser Gewalt sein, aber auch als Zeug(inn)en mit Gewalt konfrontiert werden. Die vorhandenen Strukturen reichen noch nicht aus, um dem wirksam entgegenzutreten. Bund, Länder und Kommunen sollten deswegen die Unterbringung geflüchteter Menschen reformieren. Das ist das Fazit einer gemeinsamen Studie von UNICEF Deutschland und der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die heute veröffentlicht wurde.
Kinder- und Jugendhilfe greift oft erst bei aktuter Kindeswohlgefährdung
Für die Studie befragten UNICEF Deutschland und das Deutsche Institut für Menschenrechte von Juni bis Oktober 2020 die 16 Bundesländer. Die kinderrechtliche Analyse der Selbstauskunft aller Länder zeigt unter anderem, dass zwar alle Bundesländer über Vorgaben für den Gewaltschutz verfügen, diese sich aber deutlich in ihrer Verbindlichkeit, ihrem Umfang und ihrem Geltungsbereich unterscheiden. Die Umsetzung der Gewaltschutzkonzepte wird bislang überwiegend nicht systematisch beobachtet, ausgewertet und unabhängig überprüft.
Die Studie zeigt, dass die Kinder- und Jugendhilfe in Sammelunterkünften oft erst bei akuter Kindeswohlgefährdung greift. Zudem gibt es für traumatisierte Kinder oft keine angemessene Unterstützung. Auch ist der Betreuungsschlüssel meist viel zu niedrig – vor allem in Bezug auf Kinder. Verschärft wird die Situation der Kinder durch die pandemiebedingten Einschränkungen.
Jedes Kind hat Recht auf Schutz vor Gewalt
„Jede Form von Gewalt hinterlässt bei Kindern Spuren. Kinder in Unterkünften für geflüchtete Menschen haben – wie jedes Kind – ein Recht auf den Schutz vor Gewalt“, sagte Sebastian Sedlmayr, Leiter der Advocacy- und Programmabteilung UNICEF Deutschland. „Mit Bund und Ländern haben wir in den letzten Jahren wichtige Fortschritte gemacht. Die aktuelle Untersuchung zeigt jedoch, dass noch gravierende Lücken bestehen und der Kinderschutz in zu vielen Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften bis heute nicht gesichert ist. Auch und gerade in Zeiten von Covid-19 braucht jede Unterkunft in Deutschland klare Verantwortlichkeiten und Abläufe für den Schutz von Kindern.“
„Die Kinder- und Jugendhilfe verfügt über viele Potenziale, um Kinder und ihre Familien in Sammelunterkünften zu unterstützen und zu stärken. Diese Potenziale können bisher aber kaum genutzt werden. Hier müssen Landesregierungen und Jugendämter grundlegend etwas verändern, damit alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe auch in Sammelunterkünften in Anspruch genommen werden können“, sagte Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention.
Rechtsanspruch auf dezentrale Unterbringung gefordert
In der Studie sprechen sich die Herausgeber für einen künftigen Rechtsanspruch von Kindern und ihren Familien auf eine dezentrale Unterbringung in den Kommunen sowie für eine deutliche Verkürzung der Höchstverweildauer in Aufnahmeeinrichtungen aus. Nur so könne vermieden werden, dass Kinder über einen längeren Zeitraum in Sammelunterkünften leben müssen und den dortigen Gefahren ausgesetzt sind.
Solange Kinder in Unterkünften für geflüchtete Menschen leben, braucht es verbindliche Konzepte und Mindeststandards zum Schutz vor Gewalt, geschultes Personal, zusätzliche finanzielle Mittel sowie auch eine unabhängige Kontrolle der Unterkünfte und Beschwerdemöglichkeiten für Kinder, so die Organisationen.
Deutschland hat sich verpflichtet, die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) zum Gewaltschutz (Artikel 19) umzusetzen. Darunter fallen auch Kinder, die in Unterkünften für geflüchtete Menschen leben. Darüber hinaus verpflichtet das Asylgesetz seit 2019 die Bundesländer, den Schutz von besonders schutzbedürftigen Personen wie zum Beispiel Kindern zu gewährleisten – sowohl in Landesunterkünften als auch in kommunalen Unterkünften.
Die vollständige Studie „Gewaltschutz in Unterkünften für geflüchtete Menschen“ sowie eine Zusammenfassung finden sich auf der Webseite des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Über die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention und UNICEF
Die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention begleitet seit ihrer Einrichtung Mitte 2015 die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) in Deutschland. Sie folgt dabei dem Mandat, die Rechte von Kindern im Sinne der UN-KRK zu fördern und zu schützen sowie die Umsetzung der Konvention in Deutschland durch sämtliche staatliche Stellen kritisch zu überwachen und zu bewerten. Die Unabhängigkeit der Monitoring-Stelle als Teil des Deutschen Instituts für Menschenrechte e.V. (DIMR) ist durch das DIMR-Gesetz garantiert.
Weltweit, professionell und jeden Tag: UNICEF ist seit mehr als 70 Jahren für Kinder da. Gegründet wurde das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen im Jahr 1946, um nach dem Zweiten Weltkrieg Kindern im verwüsteten Europa zu helfen. Heute setzt sich UNICEF in 190 Ländern dafür ein, dass jedes Kind sich gesund entwickeln, geschützt aufwachsen und zur Schule gehen kann – unabhängig von Religion, Hautfarbe oder Herkunft. Das Deutsche Komitee für UNICEF wurde 1953 als Verein gegründet und ist heute eine der wichtigsten Stützen der weltweiten UNICEF-Arbeit.
Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte e.V. und Deutsches Komitee für UNICEF vom 07.12.2020
Termine zum Thema
-
01.07.2024
Online-Kurs „Kinderschutz in der Medizin – ein Grundkurs für alle Gesundheitsberufe“
-
02.07.2024
SGB XIV:Soziale Entschädigungsleistungen beantragen
-
11.09.2024
KI in der Sozialen Arbeit - Wie ist sie praxistauglich einsetzbar, um Fachkräfte zu entlasten?
-
12.09.2024
Kinder und Jugendliche mit Behinderung in der Kinder- und Jugendhilfe – Herausforderungen an einen inklusiven Kinderschutz
-
12.09.2024
Kinder und Jugendliche mit Behinderung in der Kinder- und Jugendhilfe – Herausforderungen an einen inklusiven Kinderschutz
Materialien zum Thema
-
Webangebot / -portal
Informationen zum Thema "Einrichtungsaufsicht"
-
Stellungnahme / Diskussionspapier
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen - Stellungnahme zum Referent*innenentwurf des BMFSFJ vom 28. März 2024
-
Broschüre
Kinder- und Jugendhilfe in der Krise – Zur Frage der Rechtmäßigkeit pauschaler Standardabsenkung bei (vorläufiger) Inobhutnahme und Hilfegewährung für geflüchtete unbegleitete Minderjährige
-
Monographie / Buch
Studie „Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe. Bestand, Lücken, Gewinnung, Bedarfe in NRW“ veröffentlicht
-
Broschüre
Mitsprechen, mitbestimmen, mitgestalten – Praxiswissen zu Beteiligung in der Heimerziehung (SOS kompakt, Ausgabe 8)
Projekte zum Thema
-
Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz gGmbH
JAdigital. Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe konzeptionell gestalten
-
AGJF Sachsen e.V.
pro:dis – Distanzierungsberatung in Jugendarbeit und angrenzenden Arbeitsfeldern
-
Medienwerkstatt Potsdam im fjs e.V.
Potsdamer Kinder- und Jugendportal „Hast'n Plan“
-
Kinderschutz und Kinderrechte in der digitalen Welt
-
Therapeutisches Internat Sternstunden-Mattisburg am Chiemsee
Institutionen zum Thema
-
Sonstige
Netzwerk Kinder von Inhaftierten
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
faX Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend für Stadt und Landkreis Kassel
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. – Landesverband Nord
-
Verband / Interessenvertretung
Interessengemeinschaft Kleine Heime & Jugendhilfeprojekte Schleswig-Holstein e.V.
-
Verband / Interessenvertretung
NACOA Deutschland e.V.