Internationaler Weltfrauentag

Fragen zu Geschlechtergerechtigkeit sind auch heute noch relevant

Am 08. März ist Internationaler Frauentag. Prof. Dr. Lotte Rose, Geschäftsführerin des Gender- und Frauenforschungszentrums der hessischen Hochschulen (gFFZ) mit Sitz an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) nimmt Stellung zum Weltfrauentag und erklärt, warum er auch heute wichtig ist und auch in Deutschland nicht alles zum Besten steht.

07.03.2022

Für Prof. Dr. Lotte Rose, Geschäftsführerin des Gender- und Frauenforschungszentrums der hessischen Hochschulen (gFFZ) mit Sitz an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), steht fest, dass die Liste der emanzipatorischen Errungenschaften beeindruckend ist, gleichwohl damit aber nicht alles erledigt ist an Missständen im Leben von Frauen und Mädchen. Anlässlich des Internationalen Weltfrauentages am 8. März erklärt sie, warum es diesen Tag – mit Blick auf die Welt, aber auch auf Deutschland – weiterhin braucht.

„Die Frage, ob es den Internationalen Weltfrauentag im Jahr 2022 tatsächlich noch braucht, da er doch eine symbolische Markierung von Geschlechterungleichheiten, weiblichen Diskriminierungen und frauenpolitischen Entwicklungsbedarfen darstelle, ist berechtigt, muss aber definitiv mit ja beantwortet werden“, betont Rose. Es brauche ihn erst recht in einer Zeit, in der antifeministische Stimmungen sich auch in Deutschland breit machten: „AfD-Fraktionen organisieren mit dicht getakteten Anfragen zu frauen- und genderpolitischen Maßnahmen einen Dauerbeschuss demokratischer Institutionen, die aufgeregten Debatten zur gendersensiblen Sprache werden zur Arena der Beschwörung einer diktatorischen weiblichen Machtübernahme.“

Viele offene Baustellen frauenpolitischer Anstrengungen

Es ist nicht von der Hand zu weisen: Als der Internationale Frauentag 1911 von sozialistischen Organisationen ausgerufen wurde, sah die Situation von Frauen und Mädchen deutlich anders aus als heute. Es gab noch kein Wahlrecht für Frauen, kaum Schulbildung, kein Studium, weder Gewalt-, noch Arbeits- oder Gesundheitsschutz und keine Geburtenkontrolle. Die proletarische Frau musste unter elenden Bedingungen das Familieneinkommen aufbessern und schuften bis zum Umfallen. Die bürgerliche Frau durfte kein eigenes Geld verdienen, musste stattdessen den feinen Haushalt führen und ihre Kinder „gehörten“ ihrem Ehemann. Es ist sofort auf einen Blick zu sehen: Seitdem haben sich enorme Veränderungen im Frauenleben vollzogen. Mädchen können heute in vielen Teilen der Erde Schulen besuchen, später studieren, veritable Berufe ergreifen und gar Leitungspositionen einnehmen. Frauen müssen nicht mehr heiraten und Hausfrau werden, sie können entscheiden, ob sie Kinder bekommen und sie können sich scheiden lassen. Sie können Rad fahren, Sport treiben, Hosen und kurze Haare tragen. Sie haben das Wahlrecht, können bei Fridays for Future vorangehen sowie Außenministerin, Verteidigungsministerin, Bundeskanzlerin oder Präsidentin der Europäischen Kommission werden. Sie müssen auch nicht mehr Missbrauch und Gewalt wehrlos ertragen. Die #MeToo-Bewegung war hier ein deutliches Zeichen. Die Liste der emanzipatorischen Errungenschaften lässt sich weiter fortführen. Sie ist beeindruckend und erzählt von kostbaren Errungenschaften der Befreiung. Gleichwohl ist damit nicht alles erledigt an Missständen im Leben von Frauen und Mädchen. „Die guten Entwicklungen zu sehen, kann nicht heißen, jenes nicht zu sehen, wo es noch Entwicklungen braucht. Wer dazu bereit ist genau hinzuschauen, kann nur zu schnell viele offenen Baustellen frauenpolitischer Anstrengungen erkennen“, erklärt Rose.

Frauenhandel, Ausbeutung und Entrechtung von Frauen in Teilen der Erde auch heute

Beim Blick auf die Welt seien diese geradezu erdrückend gigantisch. Es gibt auch im Jahr 2022 Frauenhandel, Ausbeutung und Entrechtungen von Frauen. Sie werden als Kinder verheiratet, in Ehen gefangen gehalten, aus denen es kein Entrinnen gibt. Sie erleben sexuelle Gewalt, Verstümmelungen. Sie hungern, sterben unter der Geburt. Sie sind es, die sich auf den Äckern abrackern, um ihre Familien zu ernähren, haben aber gleichzeitig schlechteren Zugang zu Böden, Wasser und landwirtschaftlichen Techniken. Sie sind als Ernährungsverantwortliche letztlich auch sehr viel stärker von den grassierenden Zerstörungen der Ökosysteme betroffen.

Corona deckt Missstände in Deutschland auf: Pflegearbeit, Kinderfürsorge und Haushaltsarbeit

Aber auch in Deutschland sei für Frauen und Mädchen nicht alles zum Besten bestellt. Mit der Pandemie ist ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt, dass es vor allem Frauen sind, die unter widrigsten Bedingungen existentielle Pflegearbeiten leisten. Sie wurden auf Balkonen beklatscht, ihre Arbeit als „systemrelevant“ geadelt, Zusatzzahlungen wurden versprochen. „Aber letztlich hat sich gesundheitspolitisch nichts bewegt zur langfristigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Kliniken und Arztpraxen und damit zur Verbesserung der medizinischen Versorgungsqualität. Der Pflegenotstand ist zwar in aller Munde, aber Ökonomisierungen, Zentralisierungen und Arbeitsverdichtungen laufen ungebremst weiter. Vor allem zu Lasten der Frauen“, so Rose. Aber die Pandemie hat die Scheinwerfer auch auf einen weiteren wichtigen Ort weiblicher Belastung gerichtet: die private Kinderfürsorge und Haushaltsarbeit. Auch wenn sich nachweislich Väter in den Phasen des Shutdowns und Homeschoolings mehr als zuvor um Kinder und Haushalt gekümmert haben, wurde der größte Brocken der Familienarbeit von den Müttern gestemmt. „Von der egalitären Elternschaft sind wir offenbar immer noch weit entfernt. Dafür gibt es viele Gründe, einer ist das unterschiedliche Einkommen von Frauen und Männern“, erklärt Rose.

Unterschiedliche Einkommen von Frauen und Männern

Seit den 1970er Jahren wird unter dem Label „Gender-Pay-Gap“ das geschlechtsspezifische Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen kritisch diskutiert. 2020 lag diese Differenz für Deutschland unbereinigt – d. h. hier wird nur der durchschnittliche Bruttoverdienst von Frauen und Männern als Bezugsgröße genommen – bei rund 18 Prozent (in Westdeutschland liegt der Wert höher als in Ostdeutschland). Beim bereinigten Gender-Pay-Gap – hier wird der Teil des Verdienstunterschieds herausgerechnet, der auf Berufsfeld- und Qualifikationsunterschieden beruht – liegt die Differenz zwar niedriger, aber auch hier gibt es sie. „Diese Differenz hat weitreichende Folgen: Sie sorgt nicht nur dafür, dass aus schlicht ökonomischen Gründen Frauen doch mehrheitlich im Beruf zurücktreten, wenn Kinder kommen, obwohl Elternpaare heutzutage egalitäre Ideale haben. Sie manövriert Frauen auch stärker in eheliche Abhängigkeiten und sorgt für Frauenarmut im Alter“, ordnet Rose die Zahlen ein.

Bedingungen fürs Kinderkriegen verschlechtern sich

Und Deutschland hat ein weiteres spezifisches Frauenproblem: Die Bedingungen fürs Kinderkriegen verschlechtern sich zunehmend. Der Weg in den Kreißsaal wird immer weiter, weil Geburtshilfestationen schließen. Die Betreuung unter der Geburt wird technisiert, menschliche Zuwendung schwindet, Interventionen und Sectio-Entbindungen nehmen zu. Die Nachsorgehebamme sichert man sich mittlerweile am besten bereits vor der Kinderzeugung.

Internationale Frauentag mit seinen Anliegen hochaktuell

„Vor diesen Hintergründen wird klar, dass der Internationale Frauentag mit seinen Anliegen auch im Jahr 2022 hochaktuell ist“, resümiert Rose. „Auch wenn angesichts der wichtigen queerpolitischen Impulse zur Auflösung der binären Geschlechterkategorie die Exponierung der ‚Frau‘ kontraproduktiv scheinen mag, weil hier nun wieder jene Kategorie aktualisiert wird, die es doch zu überwinden gilt, gibt es derzeit genug gute Gründe, bis auf Weiteres daran festzuhalten. Solange die Klassifizierung als Mädchen und Frau soziale Folgen hat, wie dies derzeit der Fall ist, solange braucht es den Internationalen Frauentag: als Erinnerung, als Mahnung und als Zündfunke. Was nicht heißt, queere Perspektiven nicht gutzuheißen.“ Zudem institutionalisierten die Vereinten Nationen 1975 den Frauentag als „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“: „Auch mit diesem Zusatz ist er heute hochaktuell!“.

Zum Hintergrund

Das gFFZ – das Gender- und Frauenforschungszentrum der hessischen Hochschulen – ist eine gemeinsame Einrichtung der Frankfurt University of Applied Sciences, der Technischen Hochschule Mittelhessen, der Hochschulen Darmstadt, Fulda und RheinMain sowie der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Das gFFZ hat zum Ziel, Forschungsvorhaben zur Frauen- und Genderforschung an hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften zu unterstützen, ein Netzwerk der in der Frauen- und Genderforschung tätigen Lehrenden, Studierenden und Mitarbeitenden aufzubauen und zu pflegen sowie den wissenschaftlichen Nachwuchs im Bereich Frauen- und Genderforschung zu fördern. Zudem unterstützt das gFFZ die Hochschulen bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming Prozessen und sorgt für eine enge Vernetzung der Frauen- und Genderforschung an den Hochschulen mit Institutionen der Frauen- und Genderforschung im deutschsprachigen Raum, mit anderen Institutionen und mit der beruflichen Praxis.

Quelle: Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) vom 23.02.2022

Redaktion: Silja Indolfo

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