Interview

Das Digitale ist nicht mehr wegzudenken – Einblicke in Forschungsergebnisse

Das Projekt Internationale Jugendarbeit.digital ist mit dem Jahreswechsel zu Ende gegangen. Ein wichtiger Bestandteil sind die Forschungsergebnisse des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, die Anfang März veröffentlicht werden. Die Redaktion von ijab.de hat Franziska Koschei und Dr. Niels Brüggen gefragt, was sie über Projekte mit digitalen Elementen in der Internationalen Jugendarbeit herausgefunden haben und was sich daraus für die Zukunft von Austausch und Begegnung ableiten lässt.

10.03.2023

ijab.de: Franziska, Niels, was sind für euch aus wissenschaftlicher Sicht herausragende Ergebnisse von Internationale Jugendarbeit.digital?

Franziska Koschei: Für mich war besonders interessant, dass jeder Aspekt, den wir untersucht haben, immer zwei Seiten hatte. Ein Beispiel ist das Thema „Teilhabe“. Einerseits konnten in diesem Bereich Hürden abgebaut werden, zum Beispiel weil für die Teilnehmenden keine Kosten anfielen oder auch weil sie sich nicht unbedingt auf eine Reise einlassen mussten. Andererseits tun sich neue Hürden auf, etwa weil die nötige Technikausstattung nicht vorhanden war oder bestimmte technische Tools nicht verfügbar waren. Wir haben also viele Chancen gesehen, aber auch die Herausforderungen.

Dr. Niels Brüggen: Mir ist das Potenzial für neue Formen von Partizipation aufgefallen. Teils konnten sich die Teilnehmenden durch die digitale Umsetzung bei der Planung und Vorbereitung einbringen und auch nach dem Ende der Begegnung in der Nachbereitung. Allerdings war das nicht in allen Projekten so. Wir brauchen offenbar noch eine methodische Weiterentwicklung, aber das Potenzial ist in jedem Fall da.

ijab.de: Die Projektkoordinatorinnen von Internationale Jugendarbeit.digital bei IJAB fanden die Vielfalt der unterschiedlichen Formate, die sich nicht unbedingt unterschiedlichen Kategorien zuordnen ließen, besonders interessant. Wie ist eure Wahrnehmung?

Dr. Niels Brüggen: Wenn jemand ein „digitales“ Projekt gemacht hat, kann das in der Tat ganz unterschiedliche Dinge bedeuten. Wir haben versucht die Projektstrukturen mit den Begriffen digital, blended und hybrid zu differenzieren. Aber selbst das reicht nicht, um die Vielfalt an Umsetzungsformen zu beschreiben. Das ist schon beeindruckend.

Franziska Koschei: Die Vielfalt sieht man auch an der Länge der Projekte. Es gab kurze Projekte von 2 bis 6 Tagen, in denen sich an eine Präsenzveranstaltung angelehnt wurde und andere, die über mehrere Monate mit wöchentlichen Treffen liefen.

Die Förderung muss weiter angepasst werden

ijab.de: Sind die Förderprogramme schon an eine solche Vielfalt angepasst oder besteht da Nachbesserungsbedarf?

Dr. Niels Brüggen: Für uns war bemerkenswert, wie unterschiedlich die einzelnen Förderprogramme sind und was sie zulassen oder auch nicht. Es ist gut, dass die Fördermittelgeber während der Pandemie reagiert und ihre Programme der veränderten Wirklichkeit angepasst haben – während der Lockdowns ging ja auch fast nichts anderes als digitale Begegnung. Das muss bestehen bleiben und weiter angepasst werden. Digitale Begegnungen brauchen mehr Technik-Support. Es fehlt auch eine Leihinfrastruktur, denn es muss ja nicht jedes Gerät vom Träger angeschafft werden, es kann auch anlassbezogen ausgeliehen werden. Und wir müssen uns damit beschäftigen, wie die Fortschritte, die bei der Inklusion von jungen Menschen mit Beeinträchtigungen gemacht wurden, in den digitalen Raum mitgenommen werden können. Da gibt es noch Entwicklungsbedarf beim Wissen und bei Methoden.

Franziska Koschei: Bei der Abschlussveranstaltung zum Projekt wurde diskutiert, dass die neue Flexibilität aus der Pandemiezeit mitgenommen werden sollte. Gleichzeit hielten die Veranstaltungsteilnehmenden fest, dass die Fördergeber offen für Ideen der Projektteams sein sollten. Das betrifft zum Beispiel die technische Ausstattung, damit das, was jetzt entwickelt worden ist, keine exklusiven Wirkungen entfaltet.

Dr. Niels Brüggen: Bisher werden internationale Begegnungen hauptsächlich mit Tagespauschalen abgerechnet. Das passt nicht auf die Vielfalt der neuen Formate. Online-Zeit ist eben etwas anderes als Offline-Zeit. Da brauchen die Träger andere Ausgleichsschlüssel um arbeiten zu können.

Digitale Projekte sind kein Notnagel

ijab.de: Während der Pandemie haben sich viele Träger sehr schnell auf digitale Formate umstellen müssen. Das ist sicher nicht allen leicht gefallen. Wird etwas davon bleiben oder sind jetzt einfach alle nur froh, dass es wieder Präsenzveranstaltungen geben kann?

Dr. Niels Brüggen: Dass die Digitalisierung der Internationalen Jugendarbeit von der Pandemie geprägt war, ist sicher keine leichte Voraussetzung. Manche haben digitale Formate als „Notnagel“ gesehen – das ist eine Defiziterfahrung. Das Arbeitsfeld lebt ja vom Reisen und vom Eintauchen in eine andere Kultur als Erlebnis mit allen Sinnen. Es ist also erst mal normal, dass wir überall hören, „wir wollen endlich wieder reisen“. Während der Projektlaufzeit haben wir aber auch viele Stimmen gehört, die die Potenziale von digitalen Formaten betont haben. Sie betrachten die Digitalisierung hinsichtlich ihrer Funktionen differenziert und fragen immer wieder, „was und warum mache ich etwas digital?“ Wir haben Dinge, die bleiben werden, weil alle sie gelernt haben und den praktischen Nutzen schätzen. Niemand wird heute noch eine Telefonkonferenz für Absprachen im Team durchführen, das machen alle ganz selbstverständlich per Video. Luft nach oben haben wir noch bei den Tools, die nicht einfach als Ersatz für etwas anderes genutzt werden sondern etwas Neues im digitalen Raum bieten. Da gibt es noch kreativen Spielraum, wenn es um das Erkunden neuer Möglichkeiten geht. Also, was ist das Spezifisch digitale an einem Tool und wie kann ich es kreativ für Begegnungen nutzen? Da sind wir dann auch wieder bei den Förderstrukturen, denn dafür braucht es Freiräume für Experimente.

Franziska Koschei: Das Digitale ist nicht mehr wegzudenken und es wäre schade, wenn alle neuen Erfahrungen jetzt plötzlich nicht mehr genutzt und weiterentwickelt würden. Das haben uns auch die Fachkräfte, die wir im Projekt interviewt haben, so gespiegelt. Die Mehrheit hat auch betont, dass Begegnungen in Präsenz ein wichtiger Teil im internationalen Austausch bleiben und digitale Tools nicht genutzt werden sollen, nur weil sie digital sind. Interessant wird es doch, wenn wir ein Methoden-Repertoire haben, das nicht etwas schon bekanntes ins Digitale übersetzt, sondern etwas Neues schafft.

ijab.de: Wo sollen Träger das Know-how für digitalen Austausch herholen? Brauchen wir mehr Zusammenarbeit zwischen Internationaler Jugendarbeit und Medienpädagogik?

Dr. Niels Brüggen: Immer gerne. Aber ich würde das gerne als Austausch denken – eben nicht nach dem Motto, „das ist ja ganz schön, was ihr da macht, jetzt braucht ihr nur noch uns, damit es richtig gut wird“. Ich denke, die Bereiche können wechselseitig voneinander profitieren. Als Medienpädagoginnen und -pädagogen interessieren wir uns dafür, was junge Menschen mit Medien machen – in künstlerischer, kreativer oder politischer Hinsicht. Aber das Internationale ist bei uns eine Schwachstelle. Wenn ich darüber nachdenke, wer internationale Medienprojekte macht, dann fällt mir Roots & Routes in Köln ein, aber auch nicht viel mehr. Kooperationen hätten also positive Effekte für beide Seiten.

Weitere Informationen

  • Über Internationale Jugendarbeit.digital: Wie können digitale und hybride Formate so in die vorhandene Methodik der Internationalen Jugendarbeit integriert werden, dass die Lerneffekte erhalten bleiben oder sogar erweitert werden? Welche Qualitätsstandards sind dafür notwendig?
  • Über Digitale Jugendbildung: Digitale Jugendbildung ermöglicht jungen Menschen, das Internet als Kommunikations- und Kulturraum verantwortungsvoll zu nutzen und gesellschaftlich und politisch teilzuhaben.

Quelle: IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. vom 06.03.2023

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