Landesjugendämter

„Corona-Spiegel“ der Jugendämter zur Situation von Kindern, Jugendlichen und Familien

Am 20. April 2021 setzte die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey den Startschuss für bundesweite Aktionswochen der 559 Jugendämter in Deutschland. Die Jugendämter stellten bundesweite Umfrage zu Auswirkungen der Corona-Pandemie vor.

04.05.2021

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey gab in Berlin das „virtuelle Go“ für die Aktion „Das Jugendamt. Unterstützung, die ankommt.“. Dabei wurde auch das Ergebnis einer bundesweiten Umfrage unter den Jugendämtern in Deutschland vorgestellt. Damit gibt es erstmals einen „Corona-Spiegel“ der Jugendämter zur Situation von Kindern, Jugendlichen und Familien. Die Umfrage wies auf enorme Defizite in der Entwicklung junger Menschen hin und macht auf „verlorene Chancen in der Pandemie“ aufmerksam. Um hier gegenzusteuern, forderte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, die die Aktionswochen initiiert und die Umfrage in Auftrag gegeben hat, einen „Post-Corona-Fonds Kinder- und Jugendhilfe“ in Höhe von jährlich 5,6 Milliarden Euro bis 2027.

Jugendämter sind gesellschaftsrelevant

Die Corona-Pandemie zeige einmal mehr, wie „gesellschaftsrelevant“ die Jugendämter seien. „Sie haben gezeigt, dass sie die Garanten dafür sind, einen menschlichen Lockdown für Kinder und Jugendliche zuverhindern“, sagte Lorenz Bahr. Er ist Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAG LJÄ). Bei den Aktionswochen ging es darum, in jeder Stadt und in jedem Landkreis deutlich zu machen, dass „das Jugendamt da ist – gerade auch jetzt, in der Krise“. Jugendämter seien „Lotsen fürs Leben“. Kinder und Jugendliche bekämen durch sie eine „wichtige Starthilfe“. Für Familien seien die Jugendämter „ein Kompass bei der Erziehung“. Dabei hätten sich die Jugendämter kreativ, flexibel und pragmatisch der neuen Situation in der Corona-Pandemie angepasst.

Mit Sorge blickte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter auf die Jugendlichen, „die in denletzten Monaten ab der 7. Klasse einfach abgetaucht sind“, so Bahr. Durch sie werde die Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher enorm steigen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft erwartet, dass in diesem Jahr rund 104.000 Jugendliche ohne Abschluss die Schule verlassen werden – und damit etwa doppelt so viele wie in Nicht-Pandemiejahren. Mit Blick auf die beiden Corona-Jahre 2020 und 2021 werden es, so die Schätzung der Expert/-innen, dann insgesamt rund 210.000 Jugendliche sein, die die Schule abbrechen. Um sie müsse sich insbesondere auch das Jugendamt kümmern: „Diese Jugendlichen brauchen soziale und psychologische Beratung. Vor allem aber auch Angebote zur Vorbereitung auf eine Ausbildung“, so Lorenz Bahr weiter. Das alles falle ins Spektrum der Jugendämter.

Ausbildungsplatzgarantie

Darüber hinaus sprach sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter für eine Ausbildungsplatzgarantie aus. Die Wirtschaft müsse eine „Post-Corona-Perspektive“ für Jugendliche schaffen. „Praktikums- und Ausbildungsplätze sind in der Corona-Pandemie weggefallen. Für viele wird es ohnehin ein ‚Stotter-Start‘ ins Berufsleben. Aber wir können und wir dürfen es uns nicht leisten, dass ein Großteil der Jugendlichen von zwei Jahrgängen beim Fußfassen im Berufsleben auf der Strecke bleibt. Dann reichen wir viele von ihnen eins zu eins in Hartz IV durch“, warnte die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, Birgit Zeller.

Status-Umfrage zur Situation von Kindern und Jugendlichen

Eine aktuelle, unter allen Jugendämtern in Deutschland durchgeführte Status-Umfrage zur Situation von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Krise habe u.a. ergeben, dass die Folgen der Pandemie in der Bildung „längst zu einem Mittelschicht-Problem“ geworden seien. „Viele junge Menschen – insbesondere im Alter von 14 bis 18 Jahren – sind unter dem Radar des Jugendamtes durchgegangen“, so Birgit Zeller. Auch Familien in prekären Lebenslagen und psychisch erkrankte Eltern seien in den Pandemie-Monaten deutlich schwerer für das Jugendamt erreichbar gewesen. „Früher haben Kitas und Schulen Hinweise gegeben, wenn beim Kinderschutz etwas im Argen lag. Im Lockdown sieht das anders aus. Heute sind die Jugendämter darauf angewiesen, dass neben Kitas und Schulen auch noch andere die Augen offen halten. Aber auch von der Polizei kommen immer wieder Hinweise“, so Lorenz Bahr.

Die Umfrage unter den Jugendämtern kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere Kinder zwischen 6 und 13 Jahren besonders stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sind – aber auch Alleinerziehende und psychisch erkrankte Elternteile sowie Familien in prekären Lebenslagen. „Insgesamt geht es hier um rund 4 Millionen Kinder und Jugendliche, die jetzt, aber vor allem auch nach der Pandemie erhebliche Unterstützung durch die Jugendämter brauchen“, sagte Heinz Müller vom Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism), das die Umfrage unter den Jugendämtern durchgeführt hat.

Als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft erwartete Lorenz Bahr, dass die Corona-Pandemie die Kinder- und Jugendhilfe um fünf Jahre zurückwerfen wird.

„Keiner kann die persönliche Entwicklung in zwei Jahren Kindheit, die verlorengegangen sind, nachholen. Aber es kann und es muss künftig eine stärkere Kinder- und Jugendhilfe geben, um die Pandemiefolgen für junge Menschen wenigstens ein Stück weit aufzufangen: von der Nachhilfe über eine wesentlich intensivere Schulsozialarbeit bis zu zusätzlichen Freizeitangeboten von Vereinen, etwa bei den Pfadfinderinnen und Pfadfindern, im Sport, bei der Jugendfeuerwehr oder den Theater-AGs“, forderte Lorenz Bahr.

Aufgabe der Jugendämter sei es, in den kommenden Monaten „Ad-on-Angebote“ zu schaffen – „Nachhol-Pakete zur Chancenverbesserung“, die in der Nach-Corona-Zeit Kindern, Jugendlichen und Familien wieder neuen Halt im Alltag geben. Wichtig wäre es, bei der Entwicklung von Angeboten Kinder und Jugendliche mit einzubeziehen. Insgesamt sei ein „Post-Corona-Fonds Kinder- und Jugendhilfe“ von jährlich 5,6 Milliarden Euro bis 2027 erforderlich.

Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 20.04.2021

Redaktion: Pia Kamratzki

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