Familienforschung

Care-Praktiken von Vätern im internationalen Vergleich – Familienforschung im Dialog

Wie engagiert Väter sind, hängt von der Politik im jeweiligen Land ab, sagt Dr. Claudia Zerle-Elsäßer vom Deutschen Jugendinsititut (DJI) im Interview. Im Nachgang zu einer internationalen Fachtagung spricht sie über die Sorgearbeit von Vätern, ihre Rolle im gesellschaftlichen Wandel und Maßnahmen der Politik für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

07.02.2020

Der Beitrag von Vätern zur Sorgearbeit für ihre Kinder war Thema einer Fachtagung, die das Deutsche Jugendinstitut (DJI) zusammen mit der Hochschule Landshut, der Technischen Universität Dresden und der University of Mariland (USA) ausrichtete. Unter dem Titel „Care-Practices of Fathers in International Comparison: Do Policies Matter?“ trafen sich vom 16. bis zum 18. Januar 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 20 Ländern, um sich über den Stand der Forschung auszutauschen. Dr. Claudia Zerle-Elsäßer, Leiterin der Fachgruppe „Lebenslagen und Lebensführung von Familien“ am DJI, hat die Tagung mitorganisiert und Forschungsergebnisse aus dem DJI präsentiert.

Frau Zerle-Elsäßer, wie beteiligen sich Väter in Deutschland aktuell an der Sorgearbeit für ihre Kinder?

Was die Kinderbetreuungszeiten betrifft sind die Väter auf dem Vormarsch – in Deutschland und weltweit: Sie verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern als noch die Generation vor ihnen, spielen mit ihnen und holen sie beispielsweise von Kita bzw. Schule ab oder bringen sie dorthin. Allerdings füllen die meisten Männer ihre Vaterrolle neben einem Vollzeit-Job aus, überwiegend am Abend und am Wochenende. Wie stark sie sich in der Familie engagieren, hängt im Wesentlichen vom Umfang der Erwerbsarbeit ab: Unsere Analysen haben gezeigt, dass in Deutschland über die Hälfte der Väter mehr als 40 Stunden arbeitet, ein Drittel sogar mehr als 45 Stunden. Gerade diese Väter sind bei der Sorgearbeit für ihre Kinder deutlich weniger aktiv als diejenigen, die 40 Stunden oder weniger arbeiten.

Wie viele Väter arbeiten weniger als 40 Stunden?

Nur etwa 5 bis 6 Prozent der Väter arbeiten in Teilzeit. Interessanterweise ist die Quote unter kinderlosen Männern mit 10 Prozent deutlich höher. Teilzeit bei Männern ist also in der Regel nicht familienbedingt, sondern hat andere Gründe. Und der Zwang zur Erwerbstätigkeit ist bei Vätern höher: 83 Prozent sind erwerbstätig im Vergleich zu etwa 73 Prozent der kinderlosen Männer. Diese Erwerbstätigenquote ist nahezu unabhängig vom Alter der Kinder. Ganz anders als bei den Müttern, von denen viele in den ersten Lebensjahren der Kinder nicht oder nur in geringem Umfang arbeiten, die aber mit zunehmendem Alter der Kinder wieder stärker in den Job einsteigen. In anderen Ländern unterscheidet sich die Erwerbsquote allerdings nicht so stark zwischen den Geschlechtern wie in Deutschland. Mehr Mütter arbeiten und sie arbeiten zu einem wesentlich höheren Anteil in Vollzeit.

Wie sieht es mit der Elternzeit aus?

Etwas mehr als ein Drittel der Väter in Deutschland, letzten Zahlen zufolge sind es 37 Prozent, nehmen Elternzeit. Die Mehrheit von ihnen bleibt immerhin in den zwei zusätzlichen Partnermonaten zuhause, die ansonsten verfallen würden. Umgekehrt heißt das aber auch: Mehr als 60 Prozent der Väter verzichten auf eine staatliche Leistung, auf die sie eigentlich Anspruch hätten.

Was sind die Hauptursachen dafür?

In Deutschland werden überwiegend finanzielle Argumente genannt. Hier gibt es ja keinen vollen Lohnausgleich, sondern lediglich 65 Prozent vom Gehalt und maximal 1.800 Euro pro Monat. Männer in höheren Gehaltsgruppen führen an, dass sie damit ihren Lebensstandard nicht halten könnten, zum Beispiel die Raten fürs Haus nicht bezahlen könnten. In den unteren Gehaltsgruppen reicht der reduzierte Satz oft nicht mehr zum Leben. Meiner Meinung nach müsste die Politik hier ansetzen: Eltern in niedrigen Lohngruppen sollte während der Elternzeit ein vollständiger Lohnausgleich bezahlt werden.

Auf der Tagung wurde diskutiert, wie man Parental Leave Times, also Elternzeit, ausgestalten muss, damit möglichst viele Väter sie nutzen. Was ist ihr Fazit?

Am wichtigsten ist ein individueller Anspruch, also für Väter reservierte Zeiten, die verfallen, wenn sie nicht von ihnen in Anspruch genommen werden. So wie die zwei Partnermonate in Deutschland. Aktuell wird übrigens diskutiert, zu erhöhen, zum Beispiel auf vier Monate. Überall dort, wo es einen Familienanspruch gibt, der ausgehandelt werden muss, sieht man, dass die Väter eher passiv bleiben. Männer sind immer noch auf die Rolle des Familienernährers festgelegt und gelten in Unternehmen nach wie vor als die uneingeschränkt verfügbaren Mitarbeiter. Momentan sieht es so aus, als ob die Väter sich von diesen traditionellen Rollenmustern nicht befreien können und stattdessen versuchen, den Ansprüchen der Familie und des Jobs gleichermaßen gerecht zu werden. Ein Strudel, in dem Frauen schon lange sind. Vereinbarkeitspolitik muss sich also auch an Männer richten. Ein Dreh- und Angelpunkt sind zudem die Unternehmenskulturen.

Was können Unternehmen beitragen?

In Schottland beispielsweise bieten viele Wirtschaftsunternehmen hoch qualifizierten Mitarbeitenden unabhängig vom Geschlecht großzügigere Parental Leave Times an, als es die Politik vorsieht, beispielsweise ein halbes Jahr Elternzeit bei vollem Gehalt. Die Inanspruchnahme der Elternzeit durch Männer variiert allerdings über ganz Europa hinweg extrem: In Polen beispielsweise nehmen nur 1 Prozent der Väter Elternzeit. In den nordischen Ländern, beispielsweise in Norwegen, sind es 80 bis 90 Prozent der Väter.

Woran liegt das?

In Polen herrscht eine starke Arbeitsorientierung. Männer sind teilweise in den Unternehmen selbstständig beschäftigt und haben keinen Anspruch auf Elternzeit oder sie können oder wollen die Einkommensausfälle, die damit verbunden sind, nicht in Kauf nehmen. Die nordischen Länder haben eine lange Tradition von Gleichstellungspolitik, in Norwegen beispielsweise gibt es seit 27 Jahren Elternzeit, bei der die Partnermonate betont werden, das heißt sie haben einen Anteil für Mütter, einen für Väter und einen verhandelbaren Anteil für beide – und nicht zu vergessen vollen Einkommensausgleich während der gesamten Elternzeit.

Was ziehen Sie daraus für Schlüsse?

Policy matters! Von der Ausgestaltung der Politik hängt ab, was Menschen machen. In Norwegen hat sich das gezeigt, als die konservative Regierung im Jahr 2014 die Elternzeit für Väter von 14 auf zehn Wochen reduziert hat, nach dem Motto „the job is done, wir haben relative Gleichberechtigung“. Doch dann ging auch das väterliche Engagement zurück. Daraufhin wurde der Väteranteil wieder auf 15 Wochen erhöht. Aktuell werden in Norwegen sechs Monate für Väter und sechs Monate für Mütter diskutiert. Die Ausgestaltung von Elternzeiten steht in vielen europäischen Ländern wieder auf der Agenda, auch weil die EU Empfehlungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit herausgegeben hat. Insgesamt kommt wieder Bewegung in das Thema, sowohl politisch als auch gesellschaftlich.

Der richtige Zeitpunkt also, um ein internationales Väterforschungsnetzwerk aufzubauen, wie Sie es vorhaben. Was erhoffen Sie sich davon?

Uns fehlen noch Daten zu unkonventionellen Familienformen. Wir haben keine Längsschnittdaten, um langfristig das Engagement von Vätern zu analysieren. Und es gibt kaum Studien, die die Kinderperspektive einbeziehen beziehungsweise Vater-Kind-Interaktionen untersuchen. Das Netzwerk soll in erster Linie den Austausch der Forscherinnen und Forscher in den verschiedenen Ländern erleichtern, etwa um Ländervergleiche anzustellen, gemeinsame Forschungsanträge zu schreiben oder um sich auf interessante Tagungen und Veröffentlichungen hinzuweisen. Es wurde aber auch diskutiert, die Fachpraxis und die Politik einzubeziehen, um aktiv zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beizutragen.

Weitere Informationen zur Internationalen Fachtagung an der Hochschule Landshut finden sich in einem Tagungsbericht bei Regio Aktuell.

In seinem Themenschwerpunkt „Familie im Wandel“ stellt das DJI ausführliche Informationen zu aktuellen Forschungsergebnissen und aus den Projekten des Instituts zur Verfügung.

Quelle: Deutsches Jugendinstitut e.V.

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