Interview
Belastete Familien unterstützen und Bildungsparitäten mindern
In einem im Newsletter 4/2021 der Bundes Psychotherapeuten Kammer veröffentlichten Interview beantwortet Sabine Walper, seit Oktober 2021 Direktorin des Deutschen Jugendinstituts (DJI), Fragen um die Unterstützung von jungen Menschen und ihren Familien bis 2030. Themen wie Digitalisierung oder psychotherapeutisches Versorgungsangebot für Kinder und Jugendliche spielen eine wichtige Rolle.
21.12.2021
Das DJI geht aktuell der Frage nach, welche Unterstützung junge Menschen und ihre Familien bis 2030 benötigen. Wo liegen hier die Schwerpunkte?
„Erstens müssen wir uns intensiv mit den Folgen der Digitalisierung für den Alltag von Kindern, Jugendlichen und Familien befassen, aber auch mit den veränderten Arbeitsmöglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe. Digitale Kompetenzen sind für alle der Schlüssel, um Chancen zu nutzen und Gefahren abzuwehren. Zweitens werden Betreuungs-und Bildungszeiten von Kindern in Kita und Schule weiter steigen und damit auch der Bedarf an Fachkräften. Hohe Bildungsqualität ist entscheidend, auch um die beharrlichen Bildungsdisparitäten je nach sozialer Herkunft zu mindern. Und drittens wollen wir die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe wirkungsorientiert weiterentwickeln, um belastete Familien nachhaltiger zu unterstützen, Teilhabemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zu stärken und den Kinderschutz zu verbessern.“
Kinder aus armen und bildungsfernen Familien haben ein höheres Risiko dafür, psychisch oder körperlich zu erkranken. Was muss die Politik tun, um auch ihnen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen?
„Armut ist mit vielen Einschränkungen und Belastungen verbunden, die das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Kinder erhöhen. Stress in der Familie und ungünstiges Gesundheitsverhalten spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Mit der europäischen Kindergarantie sollen Armut, Gesundheit, Ernährung und Wohnen in den Blick genommen werden, um Kindern bessere Entwicklungsbedingungen zu sichern.“
Welche Rolle spielen hierbei die Frühen Hilfen?
„Die Frühen Hilfen sind zentral, denn sie setzen frühzeitig in der Familienentwicklung an, bevor sich ungünstige Muster in der Eltern-Kind-Beziehung eingeschliffen haben. Vor allem haben sie ein breites Netz an Kooperationspartner/-innen geschaffen, die bedarfsgerechte Angebote zur Verfügung stellen können. Sie reichen allerdings bislang nur bis zum vierten Lebensjahr der Kinder.“
Während der Corona-Pandemie litt etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen unter psychischen Beeinträchtigungen. Was muss die Politik tun, um diesen Kindern zu helfen?
„Einsamkeit durch das Abgeschnitten-Sein von Freunden in Kita und Schule waren wichtige Treiber für psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen. Insofern ist es gut, dass Kita- und Schulschließungen nicht mehr als erstes, sondern als letztes Mittel zur Pandemiebekämpfung gesehen werden. Auch Spannungen in der Familie, Vernachlässigung und Gewalt haben zu psychischen Beeinträchtigungen beigetragen. Die therapeutische Versorgung dieser Kinder muss gesichert sein, damit sich diese Belastungen nicht verfestigen.“
Wie könnte die Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickelt werden, um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu schützen und zu stärken.
„Die Kinder- und Jugendhilfe ist in vielen ihrer Arbeitsbereiche mit entsprechenden Problemen konfrontiert, aber das Studium der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik bereitet hierfür nicht ausreichend vor. Vor allem Fachkräfte der aufsuchenden sozialpädagogischen Familienhilfe, aber auch der Schulsozialarbeit und Heimpädagogik sollten über entsprechende Kenntnisse verfügen, damit sie rascher Präventions- oder Interventionsmaßnahmen einleiten können.“
Sie sind auch Psychotherapeutin. Was muss die neue Bundesregierung aus Ihrer Sicht im Bereich der Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter tun?
„Sie muss der Entwicklung von Präventions-und Behandlungsangeboten auf jeden Fall stärkeres Gewicht beimessen. Unter den Standorten des neuen Zentrums für Kinder- und Jugendgesundheit ist keiner, der die psychische Gesundheit in den Mittelpunkt stellt. Dabei bieten das Bildungssystem und die Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe zahlreiche Schnittstellen für die Implementierung von Präventions- wie auch Behandlungsangeboten. Im ebenfalls neu eingerichteten Zentrum für Psychische Gesundheit ist das ein wichtiges Ziel.“
Wie kann die Digitalisierung auch in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen gelingen?
„Es geht darum, digitale Medien produktiv zu nutzen und sie mit den analogen Erfahrungswelten von Kindern und Jugendlichen zu verbinden. Schon im Kita-Alter können digitale Medien kreativ genutzt werden. Im Jugendalter kommt es stärker darauf an, die Tragfähigkeit von Informationen im Internet kritisch zu hinterfragen und für Phänomene wie Hate Speech im Internet zu sensibilisieren. Hier besteht ein klarer Bildungsauftrag für Kita und Schule.“
Quelle: Dieses Interview mit Prof. Dr. Sabine Walper wurde original im Newsletter 4/2021 der Bundes Psychotherapeuten Kammer veröffentlicht.
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