Amadeu Antonio Stiftung

Ukraine-Krieg zeigt, wie austauschbar Anlässe für unverhohlenen Antisemitismus sind

„Putin ist ein zweiter Hitler”, antisemitische TikTok-Challenges zum Ukraine-Krieg und neue Querverbindungen in der verschwörungsideologischen Szene: Das „Querdenken”-Milieu ebnete den Weg für neue austauschbare Formen des Antisemitismus. Zeitgleich erlebt Israel eine neue Terrorwelle, die beschwiegen, verzerrt dargestellt oder gar verherrlicht wird. Das dynamische Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung beschreibt diese Ausdrucksformen des Antisemitismus als eine akute Bedrohung für jüdisches Leben in Deutschland durch NS-Relativierungen, Verschwörungserzählungen und Terrorverherrlichung.

27.06.2022

Das Frühjahr 2022 wird von dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine überschattet – und von den antisemitischen Stereotypen und Ressentiments, die in Deutschland im Zuge des Krieges zu verzeichnen sind. Der Anlass ist Antisemiten egal, deshalb nutzen sie Impfkampagnen, NATO oder Ukraine-Krieg gleichermaßen für ihre Ideologie. Ein verbindendes Element ist die Überzeugung einer hinter allem stehenden finsteren Elite, „die da oben”, die gegen „den kleinen Mann” und das Volk agiert. Die verschiedenen Reaktionen auf den Ukraine-Krieg beweisen, wie austauschbar und gesellschaftlich spruchreif Antisemitismus in Deutschland nach wie vor ist. Medial bis weit in die sogenannte Mitte der Gesellschaft verbreitete Vergleiche von Putin mit Hitler und Gleichsetzungen mit dem Holocaust sind shoah-relativierend. Verschwörungserzählungen, nach denen der Krieg Teil eines „Great Resets” wären, folgen einem antisemitischen Muster und Gleichsetzungen des Ukraine-Kriegs mit der Situation in Palästina dämonisieren Israel.

Aus dem Lagebild Antisemitismus ergeben sich fünf Kernbeobachtungen:

  • Der Ukraine-Krieg wird begleitet von antisemitischen Erklärungsmustern wie beispielsweise der Gleichsetzung der russischen Invasion mit der Shoah, die dadurch relativiert wird.
  • Existierende antisemitische Verschwörungserzählungen des „Querdenken”-Milieus werden um den Ukraine-Krieg erweitert.
  • Der Ukraine-Krieg ist auch ein Krieg gegen die Erinnerung an die Shoah: Gedenkorte werden zerstört, Shoah-Überlebende durch Angriffe auf ihr Leben retraumatisiert.
  • Der antisemitische Terror in Israel im Frühjahr 2022 ist eine direkte Bedrohung von in Deutschland lebenden Jüdinnen:Juden.
  • Antiisraelische Demonstrationen auf deutschen Straßen verherrlichen Terrorismus und normalisieren offenem Judenhass.

Tahera Ameer, Vorständin der Amadeu Antonio Stiftung, erklärte: „Ob bei den geschichtsrevisionistischen Verschwörungserzählungen um den Ukraine-Krieg, Querdenker-Demonstrationen oder bei pro-palästinensischen Demonstrationen in Neukölln: Alle drei Phänomene schaffen klare Feindbilder, bei dem sich Antisemiten auf der vermeintlich „richtigen” Seite wähnen. Die Anlässe und Themen sind dabei so vielfältig wie austauschbar. Die breite Masse ist anfällig für Antisemitismus, weil er immer einen klaren Schuldigen benennt und weil kleinste Andeutungen und Codes ausreichen, um „verstanden” zu werden. Antisemitismus schafft eine breite Klammer über die unterschiedlichsten demokratiefeindlichen Milieus hinweg. Gerade in den aktuellen antisemitischen Erzählungen beobachten wir eine perfide Täter-Opfer Umkehr, mit der am Ende Gewalt gerechtfertigt wird. In vielen Fällen geben sich Antisemiten als die vermeintlichen Unterdrückten, die sich gegen eine Übermacht wehren müssten, egal ob sie NATO, Bundesregierung oder Staat Israel heißt. Mit der Rolle des David gegen Goliath wird versucht, Sympathien zu erhalten und andere vom eigenen Feindbild zu überzeugen.”

Das zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus zählt im Vergleich zu behördlichen Berichten nicht nur strafrechtlich relevante antisemitische Vorfälle und Trends, sondern nimmt eine dezidiert zivilgesellschaftliche und jüdische Perspektive ein und analysiert Antisemitismus aus der Perspektive derjenigen, die ihn erleben. Deshalb stellt Aron Schuster, der Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, im Lagebild die Rettungsaktionen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland vor, mittels derer Shoah-Überlebende aus der Ukraine erfolgreich nach Deutschland evakuiert werden konnten.

Das zivilgesellschaftliche Lagebild steht auf der Website der Amadeu Antonio Stiftung zum Download bereit, zusätzlich sind die Kerninhalte digital aufbereitet.

Über die Amadeu Antonio Stiftung

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent und überparteilich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.

Über die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V.

Die Zentralwohlfahrtsstelle ist seit ihrer Gründung im Jahr 1917 der soziale Dachverband der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Seit 2018 leitet und koordiniert Aron Schuster die Arbeit der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland als Direktor.

Quelle: Amadeu Antonio Stiftung vom 08.06.2022

Redaktion: Pia Kamratzki

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