Corona-Maßnahmen

Proteste mit Radikalisierungspotenzial

Mit der Verabschiedung der ersten Corona-Maßnahmen äußerten sich auch die ersten Proteste dagegen. Forschende des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) vermaßen nun zum ersten Mal bundesweit repräsentativ das Mobilisierungspotenzial dieser Proteste.

25.03.2021

Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung fanden nicht nur am rechten Rand Zustimmung, sondern auch in einer politischen Mitte, die sich von den etablierten Parteien nicht repräsentiert sieht und der Politik misstraut. Die Forschenden um Edgar Grande und Swen Hutter vermaßen zum ersten Mal bundesweit repräsentativ das Mobilisierungspotenzial dieser Proteste. Ihre Studie zeigt auch ein erhebliches Risiko für eine weitere politische Radikalisierung des Protests: „Diejenigen, die Verständnis für die Proteste äußern, sind zugleich überdurchschnittlich offen für Verschwörungsideologien“, erklärt Edgar Grande.  

Die Studie gibt erstmals einen umfassenden Überblick darüber, in welchem Ausmaß und bei welchen gesellschaftlichen Gruppen die Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen Anklang und Anhänger/-innen fanden. Sie liefert damit empirisch verlässliche Aussagen über die tatsächliche Stärke der Proteste. Die Studie basiert auf repräsentativen Umfragen von mehr als 5.000 Personen zwischen Juni und November 2020. Gefragt wurde nach der Bereitschaft zur Teilnahme an einer Anti-Corona-Demonstration sowie nach dem Verständnis für die Anliegen dieser Demonstrationen. Die Umfrageergebnisse zeigen ein erhebliches und über die Zeit stabiles Mobilisierungspotenzial. Jeder zehnte Befragte war bereit, sich an Aktionen gegen die Corona-Politik zu beteiligen (oder hatte es bereits getan); jeder fünfte Befragte äußerte großes oder sogar sehr großes Verständnis für die Proteste.

Nicht nur die radikalen Ränder

Die Mehrheit der „Protestversteher“ – über 60 Prozent – verortet sich selbst in der politischen Mitte. Damit unterscheiden sich diese Befragten kaum von jenen, die kein Verständnis für den Corona-Protest haben. Auffällig ist allerdings, dass die extremen Ränder in der Gruppe der „Protestversteher“ deutlich stärker sind: 12,5 Prozent der Befragten verorten sich selbst am extremen Rand des ideologischen Spektrums, der größere Teil davon (7,5 Prozent) am rechtsextremen Rand. Im Durchschnitt würde ein Viertel der „Protestversteher“ die AfD wählen. Aber mehr als ein Drittel (knapp 35 Prozent) würde sich für keine der im Bundestag vertretenen Parteien entscheiden. Der Anteil dieser „Nicht-Repräsentierten“ lag über den ganzen Befragungszeitraum hinweg über 30 Prozent. Zusammengenommen bestanden im November 2020 zwei Drittel des Anti-Corona-Mobilisierungspotenzials aus Teilen dieser „vernachlässigten Mitte“ und aus Anhängern der AfD. So heterogen und ideologisch diffus der Corona-Protest auch ist: Die „Protestversteher“ eint ein starkes Misstrauen gegenüber der Bundesregierung und die Sorge um Freiheitseinschränkungen. „Beides bildet die politische Basis der Corona-Proteste“, folgert Swen Hutter.

Rechtsruck im Mobilisierungspotenzial ab Sommer

Mit der zunehmenden Bedeutung der „Querdenker“ im Corona-Protest fand ab Sommer ein Rechtsruck im Mobilisierungspotenzial statt. Auffällig ist, dass das Verständnis für den Protest in der radikalen Linken nach der ersten Protestwelle deutlich zurückging: von 21,5 Prozent im Juni/Juli auf 8,2 Prozent im August 2020. Gleichzeitig stieg die Zustimmung bei radikal rechts positionierten Befragten von knapp über 30 auf 40 Prozent. Aufgrund der großen Bedeutung von Verschwörungstheorien besitzt der Corona-Protest auch ein erhebliches Radikalisierungspotenzial. Rund 15 Prozent der „Protestversteher“ glauben der zentralen Verschwörungserzählung der Neuen Rechten vom angeblich geplanten „großen Austausch“ der Bevölkerungsmehrheit uneingeschränkt; 40 Prozent billigen ihr eine gewisse Glaubwürdigkeit zu. Zum Vergleich: Unter den Befragten mit wenig oder keinem Verständnis für die Proteste schenken fast 70 Prozent Verschwörungstheorien keinen Glauben.

Quelle: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) vom 24.03.2021

Redaktion: Silja Indolfo

Back to Top