Hilfen zur Erziehung

Parlamentarischer Abend zur Jugendbildung in Europa

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr (Mitte rechts) mit Vorstand und Geschäftsführung des Bundesverbandes

Der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. hat bei seinem parlamentarischen Abend über die Herausforderung der Kinder- und Jugendhilfe thematisiert, dass Auslandsangebote im Rahmen der Hilfen zur Erziehung durch eine europäische Gesetznovellierung für junge Menschen mit Hilfebedarf mit großen Hürden verbunden sind.

27.11.2023

Hilfen zur Erziehung sind keine nationale Angelegenheit. Um Kinder und Jugendliche auf ihren individuellen Wegen zu begleiten, sie bestmöglich auch in herausfordernden Situationen zu fördern und ihnen Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung aufzuzeigen, ist eine grenzüberschreitende Perspektive in den Hilfen zur Erziehung wichtig. Aus Sicht des Bundesverbandes Individual- und Erlebnispädagogik e.V. sind Auslandsangebote in Form von Individualpädagogik effektive und effiziente Hilfeformen, die nicht mehr wegzudenken sind.

Die Herausforderung: „Durch die Novellierung zur Brüssel IIb-Verordnung werden jedoch einem bewährten Konzept weitere Stolperfallen und Hindernisse in den Weg gelegt, sodass für Kinder und Jugendliche im Kontext der Jugendhilfe Auslandsaufenthalte nur noch erschwert und teilweise auch gar nicht mehr möglich sind“, sagt Jens Dreger, Vorstand und Leiter des Fachbereichs „Hilfen zur Erziehung“ im Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. Die Brüssel IIb-Verordnung regelt internationale Sorgerechtskonflikte und wird bei allen Aufenthalten junger Menschen mit Hilfebedarf im Ausland angewendet. Das bedeutet: „Dies bedingt nicht mehr nur hohe Hürden für mehrmonatige individualpädagogische Auslandsangebote in Europa, sondern auch diskriminierende Auswirkungen auf den normalen Alltag vieler junger Menschen mit Hilfebedarf. Jeder Schritt ins Ausland muss genehmigt werden“, kritisiert Jens Dreger.

Aus diesem wichtigen Grund hat der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik seinen ersten parlamentarischen Abend ausgerichtet, um die Rechte der Kinder- und Jugendlichen in der Obhut der Jugendhilfe in den Mittelpunkt zu stellen und mit Politik, Fachkräften und der Wissenschaft zu den Problemstellungen und Lösungsansätzen zu diskutieren.

Unter anderem haben Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner, Rechtswissenschaftler und „Vater“ des SGB VIII, Prof. Dr. Holger Wendelin von der Evangelischen Hochschule Bochum, Prof. Dr. Michael Macsenaere, Institut für Kinder- und Jugendhilfe Mainz, und Rolf Diener, Abteilungsleitung und Leitung der Obersten Landesjugendbehörde der Freien Hansestadt Bremen, auf dem Podium diskutiert. Thomas Ziegler von Keep Jugendhilfe vertrat die Seite der Praxis. Mit Irina Schulepa nahm auch eine ehemalige jugendliche Teilnehmerin eines Auslandsangebots an der Runde teil. Sie schilderte eindrücklich ihre Erfahrungen. Auch die Politik war vertreten. Die SPD-Parlamentarierin Ulrike Bahr leitet den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zeigte sich bei diesem wichtigen Thema sehr interessiert, offen und zugewandt, betont Jens Dreger.

Nachbesserung an Verfahren gefordert

Der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. fordert unter anderem, dass Konsultationsverfahren im Rahmen von kurz- und mittelfristigen Aufenthalten im Ausland abzuschaffen. Andere Länder interpretieren diesen Passus anders. Es könne nicht sein, dass jungen Menschen die Teilhabe an Bildungsmöglichkeiten und Lernchancen innerhalb Europas verwehrt bleibe, nur weil sie Leistungen und Hilfeangebote vom Staat erhielten. Ebenso positioniert sich der Verband deutlich für die Einrichtung eines Runden Tisches mit der Beteiligung der verschiedenen zuständigen Ministerien, der Fachverbände, der Wissenschaft sowie von Praxisvertretern, um praktikable Lösungen für das Konsultationsverfahren nach der Brüssel IIb-Verordnung zu diskutieren und den europäischen Gedanken auch im Rahmen der Hilfe zur Erziehung umzusetzen. Experten des Podiums nennen die Auswirkungen für die betroffenen Jugendlichen einen „EU-rechtlichen Unfall“, den keiner gewollt hat, der nun aber Nachbesserungen bedarf.

„Wir erhoffen uns durch den parlamentarischen Abend einen Zugang zu den entscheidenden Stellen, um die Regelungen in der grenzüberschreitenden Jugendhilfe in Europa so anzupassen, dass alle Kinder und Jugendlichen davon profitieren können. Individualpädagogische Angebote im Ausland müssen in ihrer Berechtigung wahrgenommen und unterstützt werden“, stellt Jens Dreger heraus. Das Podium unterstützt dies: Es braucht eine verbindliche Kommunikation in politischen Gremien und auf EU-Ebene!

In dem Zuge hat der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik auch den einschlägigen wissenschaftlichen Band „Grenzen Los Erziehen. Erfolgreiche Jugendhilfe in Europa“ von Heike Lorenz und Michael Brendt vorgestellt. Das 2022 erschienene Werk leistet einen Beitrag zur Auseinandersetzung in dem vor allem politisch kontrovers diskutierten Feld der Individualpädagogik.

Über den Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. 

Der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. repräsentiert als führender Fachverband in Deutschland die Vielfalt der Arbeitsfelder der Individualpädagogik und der Erlebnispädagogik mit den Schwerpunkten Hilfen zur Erziehung, Klassenfahrten und Gruppenprogramme, Aus- und Weiterbildung und Erlebnistherapie. Der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik ist als gemeinnützig eingetragener Verein tätig und anerkannter Träger der Jugendhilfe. Der Verband wird von Reinhard Zwerger als erstem Vorsitzenden geführt. Unter wissenschaftlicher Begleitung verbreitet der Verband den ganzheitlichen und handlungsorientierten Ansatz in der Öffentlichkeit. Er entwickelt Qualitätsstandards für die verschiedenen Fachbereiche und setzt sich auf Landes- und Bundesebene für die Interessen seiner Mitglieder aus dem In- und Ausland ein. Die Mitglieder des Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. stehen für ein handlungsorientiertes und erfahrungsgeleitetes Lernen und bekennen sich zu dem im Grundgesetz verankerten Schutz der Menschenwürde. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieses unveräußerbare Recht gilt unabhängig von Geschlecht, den persönlichen Fähigkeiten, Herkunft, Religionszugehörigkeit oder sonstigen Orientierungen. Seit 2009 zertifiziert der Bundesverband Anbieter und Träger mittels des Zertifizierungsverfahrens „Qualität in der Individual- und Erlebnispädagogik – Mit Sicherheit pädagogisch!“ („beQ“). Mit der Formulierung des Berufsbildes Erlebnispädagog:in sowie der Entwicklung des Titels „Erlebnispädagoge be®“ / „Erlebnispädagogin be®“ und des dazugehörigen Anerkennungsverfahrens hat der Bundesverband weitere Meilensteine der Professionalisierung der Erlebnispädagogik geschaffen.

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