Sicherheitsdebatte
Nach Solingen: Mehr Prävention und Einhaltung menschenrechtlicher Verpflichtungen nötig
Anlässlich der aktuellen Debatten über die Verschärfungen im Migrations- und Sicherheitsrecht gab das Deutsche Institut für Menschenrechte am 03. September eine Erklärung ab und sprach sich dabei besonders für präventive Maßnahmen und den Schutz von menschenrechtlichen Verpflichtungen aus.
12.09.2024
Das Deutsche Institut für Menschenrechte erläuterte: „Nach dem furchtbaren Terroranschlag in Solingen ist der Wunsch nach Sicherheit verständlich. Mehr Sicherheit kann allerdings nur erreicht werden, wenn die ergriffenen Maßnahmen an den Ursachen der Radikalisierung von nicht auffällig gewordenen Terroristen ansetzen. Deshalb müssen präventive Maßnahmen gestärkt werden, um langfristig mehr Sicherheit zu schaffen.
Die aktuell diskutierten Verschärfungen im Migrations- und Sicherheitsrecht werden hingegen Radikalisierungen und Terroranschläge nicht verhindern können. Stattdessen bergen sie die Gefahr, die Grund- und Menschenrechte unverhältnismäßig einzuschränken. Menschen auf der Flucht müssen in Deutschland den Schutz erhalten, der ihnen nach dem Grundgesetz, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zusteht. Asylsuchende dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Besonders die folgenden derzeit diskutierten migrations- und sicherheitspolitischen Maßnahmen werden rechtstaatlichen Anforderungen nicht gerecht:
- Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien: Dass aus Deutschland Abgeschobene in Afghanistan sicher sind - davon kann die Bundesregierung angesichts der Willkürherrschaft der Taliban nicht ausgehen. Auch die Menschenrechtslage in Syrien ist desolat. Die Menschenrechte verbieten jedoch eine Abschiebung in Staaten, in denen Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen – und zwar für alle Menschen. Das völkerrechtliche Refoulement-Verbot gilt absolut, auch für Straftäter und Gefährder. Es lässt sich nicht mit den Sicherheitsinteressen Deutschlands relativieren. Das Refoulement-Verbot ist eine Errungenschaft des Völkerrechts und Ausdruck der im Grundgesetz verankerten Unantastbarkeit der Menschenwürde.
- Leistungskürzungen für Asylsuchende im Dublin-Verfahren, um die Ausreise in den für sie zuständigen Staat zu erzwingen, missachten die verfassungsrechtlichen Grenzen. Leistungskürzungen als Sanktionen sind laut Bundesverfassungsgericht nur erlaubt, wenn Betroffene durch ihr eigenes Verhalten Einfluss auf den Missstand haben, der mit der Sanktion behoben werden soll. Das ist im Dublin-Verfahren gerade nicht der Fall: Asylsuchenden im Dublin-Verfahren können Deutschland nicht freiwillig verlassen. Es ist auch nicht sichergestellt, dass Asylsuchende, selbst wenn der zuständige Mitgliedstaat einer Übernahme zustimmt, dort tatsächlich Zugang zu Unterkunft, Verpflegung und Transferleistungen haben. In der Vergangenheit haben Gerichte Überstellungen in Mitgliedstaaten wie Griechenland oder Italien für rechtswidrig erklärt, weil Betroffenen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund systemischer Mängel bei den Unterbringungsbedingungen oder im Asylsystem drohten.
- Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten: Eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ist nach der geltenden Asylverfahrensrichtlinie und unter den Voraussetzungen, die künftig im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem geregelt sind, zwar möglich –eine solche grundlegende Änderung des Asylrechts birgt jedoch die reale Gefahr von eklatanten Menschenrechtsverletzungen für die betroffenen Schutzsuchenden. Zudem ist mit Folgewirkungen zu rechnen: Wenn Staaten, die in Nachbarregionen von Krisen- und Bürgerkriegsländern das Gros der Schutzsuchenden aufnehmen und versorgen, ebenfalls auf Auslagerung setzen, werden sich noch mehr Menschen in ihrer Not gen EU aufmachen. Eine Auslagerung von Asylverfahren auf Drittstaaten unterhöhlt den Flüchtlingsschutz weltweit und gefährdet Menschen.
- Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen: Dieser Vorschlag widerspricht der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Menschen, die ein Schutzgesuch äußern, müssen Zugang zu einem fairen und effektiven Asylverfahren haben, auch wenn der Eindruck besteht, dass ein anderer EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig sein könnte. Eine direkte Rückschiebung von Schutzsuchenden in diesen Mitgliedstaat verstößt gegen die Dublin-Verordnung, die für die Klärung dieser Frage ein geordnetes Verfahren vorsieht.
Menschenrechtliche Bedenken bestehen auch gegenüber einigen der vorgeschlagenen zusätzlichen Befugnisse für (Sicherheits-) Behörden wie verdachtsunabhängige Personenkontrollen, Gesichtserkennung von Straftätern, Einsatz von Tasern."
Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte vom 03.09.2024
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