Publikationen
Kinderrechte müssen im Justizsystem flächendeckend umgesetzt werden


Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert eine breite überparteiliche Initiative von Bund und Ländern zur besseren Umsetzung der Kinderrechte im Justizsystem. Dazu hat die Kinderrechtsorganisation zwei Publikationen veröffentlicht: eine Sammlung guter Praxisbeispiele zur Umsetzung einer kindgerechten Justiz in den Bundesländern sowie eine Handreichung für Richterinnen und Richter als Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren.
12.04.2022
Die Publikation „Auf dem Weg zur kindgerechten Justiz. Ein erster Blick in die gute Praxis der Bundesländer“ stellt Maßnahmen und Projekte einzelner Gerichte und Bundesländer zur Umsetzung der Kinderrechte in Gerichtsverfahren vor. Damit macht sie zum einen den sehr unterschiedlichen Umsetzungsstand einer kindgerechten Justiz in den Bundesländern sichtbar und soll zum anderen die Landesjustizministerien, aber auch einzelne Gerichte zur Adaption erfolgreicher Maßnahmen anregen.
„Gerichtliche Verfahren, sei es im Bereich des Straf- oder Familienrechts, sind für die betroffenen Kinder und Jugendlichen häufig schwer verständlich, belastend und haben nicht selten existentielle und höchstpersönliche Fragen zum Gegenstand. Zugleich zeigen zahlreiche Studien auf, dass ihre Situation in behördlichen und gerichtlichen Verfahren in Deutschland oftmals weder den internationalen menschenrechtlichen Anforderungen noch den Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz entspricht. Obwohl Verfahren ihre Interessen betreffen und die Entscheidungen weitreichende Folgen für ihr Leben haben, werden Kinder häufig nicht kindgerecht beteiligt und angehört. Dabei bestehen zudem große regionale Unterschiede. Es darf aber nicht von den Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelfall abhängen, ob die Rechte des Kindes im Verfahren umgesetzt werden. Deshalb brauchen wir in Deutschland eine flächendeckende Stärkung der Kinderrechte im Justizsystem“, betonte Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Die „Handreichung für Richter*innen – Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren“ soll Richterinnen und Richter dabei unterstützen, die Kinderrechte in gerichtlichen Verfahren als solche besser zu erkennen und die gesetzlichen Möglichkeiten zu ihrer Umsetzung umfassend auszuschöpfen. Dabei stehen besonders die Verbesserung der Qualität der Anhörungen sowie der Vernehmungen von Kindern und Jugendlichen, der Zugang und die Beteiligung am Recht und die Stärkung interdisziplinärer Kooperationen im Vordergrund.
„Jedes Jahr kommen tausende Kinder in Deutschland mit dem Justiz- und Verwaltungssystem in Berührung. Sie sind beispielsweise Beteiligte in familienrechtlichen Verfahren bei einer Scheidung der Eltern, Zeuginnen und Zeugen in strafrechtlichen Verfahren oder Betroffene in Asylverfahren. Laut Umfragen wünschen sich Kinder besser gehört, informiert und mit Respekt behandelt zu werden. Das müssen wir ernst nehmen und umsetzen, um Kindern den vollen Zugang zum Recht zu garantieren. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist ein wesentlicher Bestandteil zur Bestimmung des Kindeswohls, nur so können sach- und kindgerechte Entscheidungen beispielsweise in Familienverfahren getroffen werden. Zudem hat die Aufarbeitung zahlreicher Kinderschutzfälle deutlich gezeigt, dass die Beteiligung von Kindern an allen Verfahrensstadien wesentlich ist“, so Lütkes weiter.
Der Qualifikation von Richterinnen und Richtern im Umgang mit Kindern kommt in einem kindgerechten Justizsystem eine besondere Bedeutung zu. Wie Kinder ein gerichtliches Verfahren wahrnehmen, hängt maßgeblich davon ab, wie die sie anhörenden Richterinnen und Richter ihnen begegnen. Um passgenau an der gängigen gerichtlichen Praxis anzuknüpfen, wurden die dargestellten Empfehlungen ausschließlich von Expertinnen und Experten aus der Praxis und Wissenschaft zusammengetragen. Dadurch wird gewährleistet, dass die Empfehlungen sich niedrigschwellig in die tägliche praktische Arbeit von Richterinnen und Richter integrieren lassen.
„Aus der Zusammenarbeit und Konsultationsprozessen mit relevanten Akteuren der Zielgruppe, vor allem Richterinnen und Richtern, wissen wir, dass bei ihnen ein besonderes Interesse an interdisziplinären Kenntnissen im Umgang mit Kindern besteht. Eine hohe Arbeitsauslastung, mangelnde Ressourcen und fehlende Fortbildungsplätze erlauben es allerdings nicht immer, im gewünschten Maß an Qualifikationsmaßnahmen teilnehmen zu können. Zudem werden in der Praxis die gesetzlichen Möglichkeiten häufig aufgrund von Handlungsunsicherheiten beteiligter Akteure nicht ausgeschöpft. So wird etwa die richterliche Videovernehmung von Minderjährigen, die Opfer von schwerwiegenden Gewalt- und Sexualstraftaten geworden sind, bei den meisten Gerichten immer noch nicht eingesetzt oder nur unzureichend ausgeführt. Hier müssen Bund und Länder geeignete Rahmenbedingungen dafür schaffen, um Richterinnen und Richter bei der Gestaltung kindgerechter Verfahren zu unterstützen. Dazu gehört neben einem breiten, qualitativ hochwertigen und interdisziplinären Fortbildungsangebot vor allem auch eine angepasste Personalbedarfsplanung. Auch hier besteht großer Handlungsbedarf“, sagte Anne Lütkes.
Ein Kernforderungspapier des Deutschen Kinderhilfswerkes zur kindgerechten Justiz findet sich unter auf der Website des DKHW.
Quelle: Deutsches Kinderhilfswerk vom 12.04.2022
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