Studie

Wie kindgerecht ist die strafgerichtliche Praxis in Deutschland?

Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte und des Deutschen Kinderhilfswerkes hat bundesweit untersucht, inwieweit strafgerichtliche Verfahren den verbindlichen Anforderungen der UN-Kinderrechtskonvention und den Leitlinien des Europarats für eine kindgerechte Justiz entsprechen.

08.07.2024

Im Fokus der Untersuchung stand, wie Kinder als Zeug*innen und Verletzte derzeit unterstützt werden und wo es noch Handlungsbedarf gibt. Befragt wurden alle 16 Landesjustizverwaltungen mittels eines Online-Fragebogens.

Die Erkenntnisse aus der quantitativen Untersuchung, die Etablierung einer kindgerechten Justiz schreitet in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich voran. „Es fehlt an einer flächendeckenden und systematischen Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in der Praxis“, bedauert Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Bisher hänge es zu oft von Maßnahmen einzelner Gerichtsbezirke oder dem Engagement der Fachkräfte ab, ob Kinder und Jugendliche vor, während und nach einem Gerichtsverfahren begleitet und unterstützt werden. Handlungsbedarf bestehe zum Beispiel bei der Informationsvermittlung.

„Die Untersuchung zeigt, dass viele Landesjustizverwaltungen nicht wissen, ob es kindgerechte Informationen zu Gerichtsverfahren gibt, und falls ja, wer für ihre Erstellung und Verbreitung zuständig ist. Außerdem ist bedenklich, dass es gar keine barrierefreien Informationsmaterialien für Kinder mit Beeinträchtigungen gibt“, 

so Rudolf.

Weiter sollte die psychosoziale Prozessbegleitung von Kindern in Strafverfahren professionalisiert und ausgebaut werden.„Der Bund sollte die Strafprozessordnung so anpassen, dass eine psychosoziale Prozessbegleitung für minderjährige Verletzte ohne Antragstellung schnell und unbürokratisch erfolgen kann“, fordert Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Auch sollten Gerichte die Möglichkeit bieten, minderjährige Zeug*innen mittels Videoaufzeichnung zu vernehmen und Vernehmungsräume kindgerecht ausgestattet sein. „Wichtig wären hier bundesweite Mindeststandards“, so Lütkes. „Insbesondere mit Blick auf die Vernehmung von Kindern und Jugendlichen muss sichergestellt sein, dass ausschließlich qualifizierte Personen beteiligt werden.“

Die Studie offenbart nicht zuletzt, dass Deutschland noch nicht über die nötigen Daten und nötige Forschung verfügt, um seinen internationalen Verpflichtungen zur Evaluation nachzukommen. Die Ergebnisse zeigen auch, dass es möglich ist, den Stand der kindgerechten Justiz zu erheben.  

„Wünschenswert wären regelmäßige Erhebungen durch den Bund oder die Länder selbst im Sinne eines Kinderrechte-Monitorings“, so Institutsdirektorin Rudolf.

 „Nur so können die bestehenden Gesetze evaluiert und die Justiz langfristig, systematisch und bedarfsorientiert kindgerecht ausgestaltet werden. Gleichzeitig braucht es Forschung unter Befragung von Fachkräften und Kindern, um zu evaluieren, wie sie Gerichtsverfahren erleben“, 

sagt Anne Lütkes.

Mit der Publikation „Kindgerechte Justiz in der strafgerichtlichen Praxis“ wollen das Deutsche Institut für Menschenrechte und das Deutsche Kinderhilfswerk Impulse geben, wie die kinderrechtskonforme Durchführung von Gerichtsverfahren bundesweit verbessert werden kann. Die quantitative Analyse ist in ein Gesamtprojekt eingebettet, das auch eine Befragung von Fachkräften beinhaltet. Die Gesamtergebnisse des Projekts werden zum Jahresende veröffentlicht.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte und das Deutsche Kinderhilfswerk setzen sich schon seit vielen Jahren für eine bessere Umsetzung der Kinderrechte im Justizsystem und damit einen besseren Zugang zum Recht für Kinder ein. 2021 entwickelten sie im Rahmen eines Pilotprojekts kinderrechtsbasierte Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren. Sie bildeten die Grundlage für den Praxisleitfaden des Nationalen Rates für das familiengerichtliche Verfahren.

Weitere Informationen

Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte vom 26.06.2024

Redaktion: Lukas Morre

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