Jugendparlamente in Europa
Jungen Menschen eine Stimme geben
Junge Menschen als 'young citizens' zu verstehen, heißt ihnen Verantwortung zu übertragen, Mitsprache und Mitwirkung zu ermöglichen. Jugendparlamente und Jugendräte stellen wichtige Beteiligungsformate junger Menschen dar. Der Beitrag gibt einen Einblick in die bestehenden Strukturen, rechtlichen Rahmenbedingungen und Unterstützungsprozesse, die in den verschiedenen Ländern Europas auf nationaler wie regionaler Ebene vorhanden sind.
02.12.2020
Das Thema Beteiligung hat in den letzten Jahren in den transnationalen jugendpolitischen Fachdebatten, auch gestärkt durch die UN-Kinderrechtskonvention (PDF, 1 MB), eine neue Aufmerksamkeit erhalten. Mit der Unterzeichnung haben die Vertragsstaaten mit §12 Abs. 1 jungen Menschen ein Recht auf Beteiligung und Teilhabe eingeräumt. Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, dass sie ihre Meinung frei äußern können und ihre Meinung in allen sie betreffenden Angelegenheiten angemessen berücksichtigt wird.
Beteiligen, Begegnen, Befähigen
Bereits vor mehr als 25 Jahren hat sich der Europarat mit der Europäischen Charta der „Mitwirkung der Jugend am Leben der Gemeinde und Region“ dem Thema Beteiligung zugewendet (revidierte Fassung von 2003) und es seitdem in zahlreichen Programmen, Handlungsempfehlungen und Initiativen immer wieder auf die Agenda der europäischen Jugendpolitik gesetzt. Für die Europäische Kommission haben zuletzt die EU-Mitgliedsstaaten mit der EU-Jugendstrategie (2019-27) das Ziel formuliert, „inklusive demokratische Teilhabe aller jungen Menschen an der Gesellschaft und am demokratischen Prozess“ zu fördern“ (BJK 2019, PDF 1,6 MB). Mit dem Schwerpunktbereich „BETEILIGUNG“ – engagieren, beteiligen, teilhaben, mitwirken, mitbestimmen – setzt sich die aktuelle EU-Jugendstrategie für eine „substanzielle bürgerschaftliche, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Teilhabe junger Menschen“ (EU-Jugendstrategie) ein.
Auch der 8. Zyklus des aktuell laufenden EU-Jugenddialogs (die Koordinierung der Umsetzung des EU-Jugenddialogs auf Bundesebene liegt beim Deutsche Bundesjugendring) widmet sich schwerpunktmäßig dem Thema „Räume & Beteiligung für alle“ und setzt sich entsprechend dem „Europäischen Jugendziel Nr. 9“ u.a. dafür ein, „dass junge Menschen alle gesellschaftlichen Bereiche und alle Ebenen des Entscheidungsprozesses angemessen beeinflussen können“. Der EU-Jugenddialog ist eines der Hauptinstrumente der EU-Jugendstrategie 2019- 2027 für die Beteiligung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
In den vergangenen Jahren wurden auf der europäischen, nationalen und kommunalen Ebene zahlreiche und vielfältige Beteiligungsprojekte entwickelt. Ausgehend von einer europäischen Perspektive nimmt der Beitrag nunmehr gezielt Jugendparlamente/Jugendräte (Youth Parliaments/Youth Councils) als zentrale Mitwirkungsmöglichkeiten junger Menschen in den Blick und fragt:
Welche Strukturen, rechtlichen Rahmenbedingungen und Kampagnen existieren aktuell in verschiedenen Ländern Europas? Welche nationalen Unterstützungsstrukturen zur Stärkung der Jugendbeteiligung liegen vor? Mit welchem politischen Mandat sind nationale und kommunale Jugendparlamente ausgestattet? Welche Verantwortung wird ihnen übertragen und welches tatsächliche Mitspracherecht und welche Mitentscheidungsbefugnis werden ihnen als young citizens zugestanden?
Jugendpolitik des Europarates
Ein spannendes Format stellt hier die Jugendpolitik des Europarates dar. Im Jugendsektor des Europarates werden junge Menschen bereits seit fast 50 Jahren in Form einer Co-Management-Struktur an allen politischen Entscheidungsprozessen beteiligt. Im so genannten ‚Joint Council of Youth‘ sind Regierungsvertreter/-innen und junge Menschen gleichberechtigt. Alle Entscheidungen über Arbeitsprogramme, Projekte, Maßnahmen und Budgets werden durch das Advisory Council of Youth (CCJ) gemeinsam getroffen – einem Zusammenschluss von 30 Vertreter(inne)n von Jugendorganisationen und dem European Steering Commitee for Youth (CDEJ), für Jugendfragen verantwortliche Regierungsvertreter(inne)n der Mitgliedsstaaten.
Es handelt sich hierbei um eine sehr weitreichende Form einer institutionalisierten Beteiligung von jungen Menschen an politischen Entscheidungsprozessen in Europa. In keiner anderen politischen Institution wird Beteiligung junger Menschen so aktiv gelebt.
Deutschland: Die Debatte nimmt weiter Fahrt auf
Jugendparlament, Jugendrat, Jugendforum, Jugendbeirat, Jugendstadtrat, Jugendgemeinderat oder auch Runder Tisch der Jugend. Die Begrifflichkeiten für Mitwirkungsmöglichkeiten junger Menschen auf kommunaler Ebene in Deutschland sind genauso vielfältig, wie die Formate selbst. Mit der gemeinsamen Jugendstrategie der Bundesregierung und den Maßnahmen im Rahmen des Handlungsfeldes Beteiligung, Engagement und Demokratie rücken auch die bestehenden Strukturen und Entwicklungspotentiale von Kinder- und Jugendparlamenten wieder in den Fokus. Laut einer Studie von Roth/Stange gibt es aktuell rund 520 repräsentative Kinder- und Jugendparlamente (in 5 Prozent der Kommunen) in Deutschland. Übergeordnete Strukturen in Form von Dachverbänden finden sich vereinzelt (z.B. in den Bundesländern NW, BW, HE, RP). Hinzu kommen zahlreiche offene und projektorientierte Beteiligungsformate, es werden Jugendforen und Jugendfonds eingerichtet, um die Engagement- und Beteiligungslandschaft in Städten und Gemeinden weiter zu stärken. Auch haben einige Bundesländer die Beteiligung junger Menschen in ihren Kommunalverfassungen verankert.
In Deutschland stellt die Initiative „Starke Kinder- und Jugendparlamente“ des Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW), die vom BMFSFJ gefördert wird, eine wichtige Maßnahme der Jugendstrategie zur Förderung von Mitwirkungsmöglichkeiten junger Menschen dar. Sie hat zum Ziel, die Kinder- und Jugendparlamente in Deutschland sichtbar zu machen und ihre Rolle als zentrales Beteiligungsangebot zu stärken. Das Vorhaben wird wissenschaftlich begleitet (vgl. Roth/Stange 2020). Zudem wurde die Broschüre „Starke Kinder- und Jugendparlamente. Kommunale Erfahrungen und Qualitätsmerkmale“ (PDF, 26 MB) zu den quantitativen Ergebnisse der bundesweiten Befragung zu den Kinder- und Jugendparlamenten erstellt.
An dieser Stelle kann nicht auf die einzelnen repräsentativen Beteiligungsformate in den Kommunen in Deutschland eingegangen werden (vgl. ausführlich Roth/Stange 2020), vielmehr wird im Folgenden eine transnationale Perspektive eingenommen und der Blick für Verfahren und Instrumente in anderen europäischen Ländern geöffnet, die für die Weiterentwicklung von Beteiligungsinstrumenten interessant sein könnten.
Transnationale Perspektive auf Jugendparlamente/Jugendräte in Ländern Europas
In der vorliegenden ländervergleichenden Analyse zu Jugendparlamenten/Jugendräten fallen unterschiedliche Differenzierungsmerkmale auf, was die Struktur, die Institutionalisierung, die Entscheidungsprozesse, die Zusammensetzung und die Inhalte der Jugendparlamente betrifft. Jugendparlamente/Jugendräte existieren auf nationaler, regionaler und/oder kommunaler/lokaler Ebene; sie können verfassungsrechtlich verankert sein und über ein Rede- und/oder Stimmrecht in den entsprechenden Entscheidungsgremien verfügen. Mitunter sind Jugendparlamente mehr ein Instrument der Demokratiebildung ohne eindeutiges Mandat als ein dezidiertes politisches Mitbestimmungsorgan. Das Jugendparlament kann sich aus (gewählten) jungen Menschen des jeweiligen Landes zusammensetzen, aus Jugendvertretungen in Form von Jugendorganisationen oder aus einer Kombination beider Formate.
In den untersuchten Ländern lassen sich sowohl auf nationaler als auch auf kommunaler Ebene sehr unterschiedliche Bezeichnungspraxen für diese Form von Mitwirkungsmöglichkeit junger Menschen finden (z.B. Jeugdrad – B, Jongerenraad – NL, Conseil des jeunes – F, Conseil Supérieur de la Jeunesse/ Assemblée nationale des jeunes – LU, Ungmennaráð – IS, Nuorisovaltuusto – FI, Ungdomsråd – SE, Ungeforum – DK). Der Begriff des Jugendrats steht oft für eine Interessensvertretung durch Jugendorganisationen oder hybride Zusammensetzungen (wie z.B. in Estland oder Tschechien). Zudem sind Jugendräte in den untersuchten Ländern, insbesondere auf nationaler Ebene, öfter vorzufinden als Jugendparlamente, die stärker im Lokalen verankert sind. Jugendparlamente auf nationaler Ebene gehen in einigen Ländern zugleich nicht über den Charakter von Bildungsprojekten hinaus (z.B. Österreich).
Strukturelle Verankerungen per Gesetz/Ratsbeschluss
Ein Recht auf Beteiligung schlägt sich in einigen Ländern Europas in konkreten Gesetzestexten auf nationaler wie auch auf kommunaler Ebene nieder. Eine rechtliche Verankerung geht mit einer stärkeren Verbindlichkeit einher, auch bei der Initiierung und Etablierung weiterer Beteiligungsstrukturen.
- In Österreich existiert seit 2001 das Bundesgesetz über die Jugendvertretung. Dieses Gesetz regelt die Zusammensetzung, die Organisation und die Aufgaben der Bundesjugendvertretung. Die Vollversammlung der Bundesjugendvertretung umfasst verschiedene verbandlich organisierte Jugendorganisationen und die jeweilige Vertretung aus den Landesjugendbeiräten.
- In Slowenien gibt es das so genannte Jugendratsgesetz (Zakon o mladinskih svetih), welches seit 2000 in Kraft ist. Das Gesetz regelt den Status, die Arbeitsweise, die Aktivitäten und die Finanzierung des Nationalen Jugendrates und der örtlichen Jugendräte.
- Auch in Finnland ist die Jugendbeteiligung in der Verfassung rechtlich grundlegend verankert. Zudem ist die Bereitstellung von Beteiligungsformaten für junge Menschen in der Kommune verpflichtend. § 26 des finnischen Gesetzes über die Kommunal-/Gemeindeverwaltungen von 2015 legt fest, dass die lokale Exekutive einen Jugendrat oder ein ähnliches Beteiligungsformat einrichten muss. Sie hat sowohl dafür zu sorgen, dass die Bedingungen für seine Funktionstüchtigkeit vorhanden sind, als auch, dass die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Planung, Vorbereitung, Durchführung und Überwachung der kommunalen Aktivitäten gegeben ist. In ähnlicher Form gibt es solche verpflichtenden Institutionalisierungsformen von Jugendparlamenten z.B. auch in Island (Youth Act 2007), in Norwegen (Gemeindegesetz 2019 §5-12), in Estland (Youth Work Act von 2010, §9) in Kroatien (Jugendratsgesetz, Amtsblatt Nr. 41/14), und auch in Belgien (Flämische Gemeinschaft, Flemish Parliament Act of 20 January 2012 on a revised youth and children's rights policy).
- In Portugal wurde mit der Resolution 42/2006 die Aufgaben des Jugendparlaments beschrieben und mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 6 vom 10. Februar 2012 wurde zudem der rechtliche Rahmen für die Einrichtung städtischer Jugendräte fixiert.
- In der Schweiz sind kantonale Jugendparlamente rechtlich fixiert. Die Grundlage für die Arbeit des Jugendparlaments im Kanton Zürich bildet die Verordnung zum kantonalen Jugendparlament vom 25. Januar 2017.
- Das nationale Jugendgesetz von Luxemburg (2008) hält in Art. 14 fest, dass eine Nationalversammlung junger Menschen einzurichten ist (Assemblée nationale des jeunes/Parlement des Jeunes), mit dem Auftrag jungen Menschen und Jugendorganisationen die Möglichkeit zu geben, sich an der Prüfung aller Fragen der Jugendpolitik auf nationaler und europäischer Ebene zu beteiligen.
Neben den aufgeführten nationalen und kommunalen Gesetzen, ist die Arbeitsweise der Jugendparlamente/Jugendräte teilweise durch eine Geschäftsordnung (z.B. Jugendbeirat Eupen – Belgien-DG; Jugendrat Villach – A; Jugendrat Slowenien), durch eine Satzung – weil als Verein organisiert (z.B. Jugendparlament Kanton Zürich – SUI) oder einen Beschluss des Gemeinderats (z.B. Jugendrat Zulte – Belgien-Fla.) oder eine Verordnung (z.B. Jugendstadtrat Porto – P) geregelt.
Kommunal und/oder national organisiert
Während in Deutschland das Beteiligungsformat der Jugendparlamente in erster Linie in den Kommunen bzw. in Form von Dachverbänden auf der Ebene der Bundesländer vorzufinden ist, zeigen sich europaweit sehr unterschiedliche strukturelle Verankerungen.
- In Luxemburg sind Jugendparlamente sowohl auf der nationalen als auch auf der kommunalen Ebene etabliert. Das „Assemblée nationale des jeunes/Parlement des Jeunes“ – das nationale Jugendparlament in Luxemburg ist politisch unabhängig, ist nicht Teil der Verfassung, hat keinen direkten Einfluss auf die Gesetzgebung und wird unterstützt durch das Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend. Jede Person zwischen 14 und 24 Jahren, in Luxemburg wohnhaft, kann Mitglied werden. Die Verantwortung für die pädagogische und politische Arbeit trägt ein Zusammenschluss aus drei Institutionen (Tripartite): 1. Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend; 2. die Conférence Générale de la Jeunesse Luxembourgeoise (CGJL, 2020 umbenannt in de Jugendrot/CGJL) und 3. das Exekutivbüro des Jugendparlaments. Das Jugendparlament hat zudem einen Sitz im „Obersten Jugendrat“ („Conseil supérieur de la jeunesse“), ein Beratungsgremium der Regierung, welches Reformen und Innovationen zur Steigerung des Wohlergehens junger Menschen empfiehlt (Art. 12, Nationales Jugendgesetz). Zugleich müssen Kommunen in ihrem kommunalen Jugendplan (Plan communal jeunesse, PCJ) auch die Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen in politischen Entscheidungsprozessen ausweisen. Einige Kommunen organisieren daher lokale Jugendräte- und foren, wo junge Menschen an lokalen Planungen beteiligt werden und ihre Wünsche und Kritiken äußern können.
- Auch in Estland gibt es Beteiligungsorgane im Sinne von Jugendparlamenten/räten auf nationaler und kommunaler Ebene. Während der nationale Jugendrat (ENL) als Dachorganisation sowohl Jugendorganisationen als auch Jugendräte umfasst und somit eine Hybridform darstellt, können lokale Jugendräte auf unterschiedliche Weise gebildet werden und setzen sich nicht aus lokalen Jugendorganisationen zusammen. Die genaue Arbeitsweise der lokalen Jugendräte ist nicht rechtlich fixiert, sie sollen jedoch als beratendes Gremium an die Gemeinde/Stadträte angedockt sein und von den jungen Menschen der Kommune gewählt werden.
- In der Tschechischen Republik sind ein nationales Kinder- und Jugendparlament sowie regionale und lokale Parlamente installiert. Im nationalen Kontext handelt es sich um ein freiwilliges Beteiligungsprojekt (NPDM, Národní parlament dětí a mládeže) einer Jugendorganisation, welches bereits 1997 gegründet wurde und eine Dachorganisation zahlreicher Kinder- und Jugendparlamente darstellt.
- In Österreich liegt ebenfalls eine doppelte Verankerung von Jugendbeteiligung in der Politikberatung vor – ein nationales Jugendparlament und ein nationaler Jugendrat und Kinder- und Jugendparlamente auf kommunaler Ebene, z.B. in der Stadt Wien. Wenngleich das nationale Jugendparlament hier ausschließlich als Projekt politischer Bildung fungiert und keinen direkten Einfluss auf Entscheidungsfindungen hat.
Eine kommunale Beteiligungskultur ist gerade in den nordeuropäischen Ländern stark ausgeprägt. In Dänemark gibt es neben einem nationalen Jugendrat (Dansk Ungdoms Fællesråd, DUF), in dem die Jugendorganisationen vertreten sind, auf kommunaler Ebene verschiedene Ausgestaltungen von Jugendräten. Diese unterscheiden sich stark in Struktur, Zusammensetzung und politischem Einfluss. Einige Jugendräte stehen allen jungen Menschen in der Gemeinde offen, andere erfordern eine Wahl. Die meisten Jugendräte haben dabei das Recht, in Fragen der Jugend vom Stadtrat (byrådet) konsultiert zu werden. In Finnland liegt mit dem finnischen Kommunalgesetz eine wichtige rechtliche Basis vor. So ist auch der Jugendrat von Helsinki (Helsingin nuorisoneuvosto) ein gesetzlich festgelegtes Organ der Jugendbeteiligung, welches aktuell 30 junge Menschen im Alter von 13-17 Jahren aus Helsinki umfasst. Der Jugendrat ist ein Teil von „Ruuti“, einem Partizipationssystem der Stadt Helsinki (Video zur Arbeit des Jugendrats von Helsinki).
Cross-sektorale Partnerschaft
Eine weitreichende, weil auch sektorübergreifende Form der Beteiligung junger Menschen lässt sich in einigen osteuropäischen Ländern beobachten. Hier werden jungen Menschen institutionelle Räume zur Verfügung gestellt, in denen sie aktiv und gleichberechtigt ihre Meinungen und Positionen vertreten können. Angelehnt an das im Europarat existierende Co-Management-System (s.o.) weisen die Länder Tschechien (Česká rada dětí a mládeže, 'CRDM'), Slowenien (Svet Vlade RS za mladino) und Kroatien (Savjet za mlade Vlade Republike Hrvatske) entsprechende Formate auf. Der ressortübergreifende Ansatz geht hier mit einem deutlich höheren Stellenwert der Stimme der jungen Menschen einher, in dem sie als gleichberechtigte Partner in den politischen Gremien ihren Platz haben. In den jeweiligen interministeriellen Beratungsgremien werden Empfehlungen zur Verbesserung und Stärkung der Jugendpolitik formuliert, deren Umsetzung im Sinne von jungen Menschen überwacht und Jugendbeteiligung insgesamt gefördert wird (vgl. den Beitrag zu „Nationale Jugendpolitiken im transnationalen Vergleich“).
Eigenes Budget = mehr Anerkennung
Die finanzielle Ausstattung der Jugendparlamente/räte variiert in den untersuchten Ländern und reicht von der Übernahme der Verwaltungsaufgaben, über die Bereitstellung eines eigenen Budgets bis hin zu Sitzungsgeldern. Das Bereitstellen von finanziellen Mitteln geht zugleich mit einem hohen Maß an Anerkennung einher. Jugendparlamente auf nationaler Ebene werden in erster Linie unterstützt durch das zuständige Ministerium. Zum Teil werden mit den Geldern die Verwaltungskosten, aber auch Personalkosten für die pädagogische Begleitung der Jugendparlamente gedeckt (in Luxemburg z.B. wird die Finanzierung einer Vollzeitkraft und die Verwaltungskosten übernommen). Nationale Jugendparlamente profitieren nicht selten auch von Zuschüssen des europäischen Förderprogramms Erasmus+.
Jugendräte auf lokaler Ebene erhalten finanzielle Unterstützung von den Gemeinden (z.B. Jugendrat Zulte – Belgien-Fla.; Jugendräte in Frankreich; Jugendrat Villach – A; z.B. Jugendparlament Kanton Zürich – SUI; Jugendräte in Norwegen). Diese Mittel werden teilweise aufgestockt durch zu zahlende Mitgliedsbeiträge (z.B. Jugendparlament Kanton Zürich – SUI) oder Aktionen, die die Jugendlichen durchführen, um Gelder zu sammeln oder Anträge auf Förderung bei Stiftungen/Verbänden (Frankreich). Kommunen unterstützen auch, in dem den Jugendräten Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden (Belgien – Fla., Portugal, Schweiz). In Norwegen sind die Kommunen für die Finanzierung der Jugendräte verantwortlich. Die Teilnehmenden erhalten ein Sitzungsgeld als Kompensation ihrer monatlichen Vorbereitung und Anwesenheit an den Sitzungen. Mit dieser Unterstützungsform werden nicht nur soziale Ungleichheiten verringert, zudem wird hiermit eine zumindest symbolische Gleichstellung mit Erwachsenenparlamenten ermöglicht.
Politisches Mandat oder Beteiligung ohne Wirkung
Ein weiterer wichtiger Baustein in der Stärkung von Jugendparlamenten stellt die Ausstattung mit einem Rede- bzw. Stimmrecht, der Transfer in die nationale/kommunale Politik und die wechselseitige Anerkennung dar. In der Art und Weise, wie diese Schnittstelle ausgestaltet ist, entscheidet sich auch die Wirksamkeit von Jugendbeteiligung – hier zeigt sich, welches politische Mandat den jungen Menschen zugeschrieben und anerkannt wird. Jugendparlamente sind Sprachrohr, Ansprechpartner für Behörden und haben eine beratende Funktion in allen junge Menschen betreffenden Themen.
Beratende- und Schnittstellenfunktion
- Eine sehr weitreichende Befugnis hat der Nationale Jugendrat Österreich. Als gesetzlicher Vertreter der österreichischen Jugend ist er befugt, bei allen wichtigen politischen Entscheidungen mitzureden. Er hat den gleichen Status wie die anderen gesetzlichen Vertretungsgruppen, wie Arbeitnehmer, Landwirte, Senioren.
- In seiner einjährigen Laufzeit, hat das Jugendparlament in Luxemburg die Aufgabe, Resolutionen zu verabschieden. Diese werden in verschiedenen thematischen Kommissionen bei regelmäßigen Arbeitstreffen (1-2x pro Monat) erarbeitet, in der Vollversammlung am Ende der Laufzeit (Oktober bis Oktober) verabschiedet und dann an die von diesen Themen betroffenen politischen und zivilgesellschaftlichen Akteure gesendet und während einer „Anhörung“ (Hearing) in der Abgeordnetenkammer offiziell vorgestellt.
- Der Jugendrat Zulte (Belgien –Fla.) hat neben seiner beratenden Funktion, die er auch in Eigeninitiative wahrnehmen kann, für die kommunale Verwaltung für alle Aspekte der Jugendpolitik sowie bei der Erstellung eines mehrjährigen Plans, die Aufgabe, die Jugendarbeit zu stimulieren, indem er die Jugendverbände einerseits und interessierte Bürger/-innen andererseits befragt und mit ihnen zusammenarbeitet. Zudem hat er das Recht auf Information über alle jugendrelevanten politischen Entscheidungen der entsprechenden Behörde.
- In Island gibt es regelmäßige Treffen zwischen Jugendrat und Stadtrat. Der Jugendrat kann Vorschläge machen und hat Beobachterstatus im Stadtrat.
- Der Jugendrat Villach (Österreich) hat Rederecht im Gemeinderat und wird bei jugendrelevanten Themen in diversen Ausschüssen (z.B. Ausschuss für Jugendangelegenheiten) beratend hinzugezogen.
- Der Jugendstadtrat Porto (Portugal) hat eine beratende Funktion zu Jugend- und Querschnittsthemen. Er kann Empfehlungen aussprechen. Zudem kann er einen Vertreter des Jugendrats in den Städtischen Rat für Bildung wählen und so die Entwicklungen im Bildungsbereich mit verfolgen.
- Das nationale Jugendparlament der Tschechischen Republik (NPDM) trifft sich regelmäßig mit Vertreter*innen aus verschiedenen Ministerien, und weiteren politischen Akteuren (z.B. Bürgermeistern), um mit ihnen jugendpolitische Belange zu besprechen (z.B. Einsetzen von Ombudsmännern/frauen für Kinder). Weiterhin ist das NPDM Mitglied in der nationalen Arbeitsgruppe für den EU-Jugenddialog.
Feedback-Verfahren
Die Frage des Feedback-Verfahrens stellt eine wichtige Gelingensbedingung für Kinder- und Jugendparlamente dar. Es interessiert also nicht nur die Frage, wie die Interessen und Vorschläge an die Entscheidungsträger weitergetragen werden, sondern auch, was mit den Beiträgen aus den Jugendparlamenten passiert und inwieweit den formulierten Forderungen nachgegangen wird.
- Das finnische Jugendparlament beispielsweise trifft sich alle zwei Jahre im Parlamentsgebäude unter Vorsitz der/des Parlamentspräsident/-in und trifft dort verschiedene Abgeordnete. In einer Diskussionsrunde werden ausgewählte Fragen zu spezifischen Themen an die Abgeordneten gerichtet. Dabei sind mehrere Ministerien vertreten, die jeweils die an ihren Sektor gerichteten Fragen beantworten.
- Das britische Jugendparlament (UK Youth Parliament, UKYP), für das sich jeder junge Mensch zwischen 11 und 18 Jahren zur Wahl stellen kann, debattiert jährlich in der Kammer des Unterhauses. Diese wird vom Sprecher des Unterhauses geleitet. Die Mitglieder des Parlaments debattieren über fünf Themen, die durch eine „Make Your Mark-Wahl“ von jungen Menschen aus ganz Großbritannien ausgewählt wurden, und stimmen dann darüber ab, welche zwei Themen zu ihren vorrangigen Kampagnen für das kommende Jahr werden sollen.
- Ein sehr differenziertes Kommunikationsmodell weist das Jugendparlament in Währing/Bezirk Wien (Österreich) auf. In einer ersten Sitzung der Bezirksvorstehung bringen die gewählten Vertreter/-innen aus dem Jugendparlament ihre Anliegen und eventuell schon erarbeitete Lösungsvorschläge ein. In den folgenden Wochen werden die Anträge von der Bezirksvorstehung in Zusammenarbeit mit den Magistratsabteilungen bearbeitet. In einer zweiten Sitzung wird der Bezirksvorstehung und den Fachleuten der Magistratsdienststellen zu allen Anträgen das Ergebnis oder der jeweilige Zwischenstand berichtet und über noch offene Umsetzungsmöglichkeiten diskutiert. Zudem besteht die Möglichkeit bei so genannten „Speaker Corners“ mit Bezirkspolitiker/-innen konkret vor Ort, z.B. in einem Park Probleme und Anliegen zu diskutieren. Zudem gibt es einen Mitbestimmungstag, hier sind junge Menschen zwischen 14 und 16 Jahren in die Büros und Arbeitsräume der Bezirksvorstehung eingeladen, um dort Veränderungsvorschläge für den Bezirk zu diskutieren.
- Einen ähnlichen Kommunikationsort hat auch ein kommunaler Jugendrat (Ungeforum i Egedal) in Dänemark etabliert. Hier wird von Seiten des Jugendrats zu einem gemeinsamen Abendessen mit lokalen Politiker/-innen eingeladen, um die Distanz zwischen den jungen Menschen und den politischen Entscheidungsträgern zu verringern (vgl. auch Schweden und Lettland).
Eine starke Stimme in der Politik
Eine stärkere, insbesondere Regionen übergreifende, Lobby erhalten Jugendparlamente auch dann, wenn sie in so genannten Dachorganisationen vertreten sind. Dachverbandsstrukturen vernetzen und sorgen für Anerkennung. Diese Form der Zusammenarbeit und Unterstützung von Jugendparlamenten/Jugendräten liegt nur in wenigen Ländern vor. Dachorganisationen von Vertretern von Jugendorganisationen sind hingegen zahlreicher.
Interessante Beispiele finden sich u.a. in der Schweiz. Hier liegt eine lange Tradition zu Jugendparlamenten vor. So feiert dieses Jahr der Dachverband der Jugendparlamente (DSJ) sein 25-Jähriges Bestehen. Der Dachverband hat nicht nur die Aufgabe, die Jugendparlamente zu koordinieren, bei der Neubildung zu unterstützen und die Jugendparlamentskonferenz zu organisieren. Zugleich ermutigt er junge Menschen politisch interessiert zu sein, in dem er Projekte der politischen Bildung initiiert, sich zu engagieren und die Rahmenbedingungen der politischen Partizipation zu verbessern. In der Schweiz handelt es sich dabei um eine non-profit Organisation, die von den Jugendparlamenten/Jugendräten der Schweiz getragen wird. Sie wird finanziert durch Beiträge des Bundes aus dem Kinder- und Jugendförderungsgesetz, durch Beiträge von Stiftungen, Kantonen und Einzelpersonen, sowie durch den Verkauf von Dienstleistungen.
Auch im Vereinigten Königreich gibt es übergeordnete Strukturen. Das Netzwerk lokaler Jugendräte (Local Youth Council Network), welches vom Britischen Jugendrat (British Youth Council) koordiniert wird, umfasst über 620 Jugendräte.
Vereinigungen von lokalen Jugendräten liegen u.a. auch in Frankreich (Association nationale des conseils d‘enfants et de jeunes, ANACEJ), Finnland (Suomen Nuorisovaltuustojen Liitto NUVA ry), Schweden (Sveriges Ungdomsråd), in den Niederlanden (Nationale Jeugdraad NJR) und Estland (hier sind sowohl Jugendorganisationen wie lokale Jugendräte in einem Dachverband organisiert) vor.
Jugendparlamente sichtbar machen!
Dass Jugendparlamente als eine wesentliche Mitwirkungsmöglichkeit junger Menschen angesehen werden, zeigen auch die verschiedenen Kampagnen, die es derzeit gibt (in Deutschland z.B. die Initiative „Starke Kinder- und Jugendparlamente“).
- In Frankreich gab es 2016 die von ANACEJ lancierte Kampagne „25 Vorschläge, um Kinder- und Jugendbeteiligung zu stärken".
- In Portugal lief die nationale Kampagne „70JÁ!“ als Teil der gegenwärtigen Jugendpolitik Portugals. Hier sollte das Bewusstsein für die im § 70 der portugiesischen Verfassung verankerten Jugendrechte, auch in den Bereichen Jugendpolitik und Jugendarbeit, geschärft werden.
- Das Kultusministerium in Dänemark hat bereits 2015 eine Strategie gestartet, um die Anzahl der Jugendräte zu erhöhen. Ziel war es, in jeder Gemeinde einen Jugendrat einzurichten. Im Jahr 2018 verfügen 65 von 98 Gemeinden über einen Jugendrat und 10 Gemeinden sind im Gründungsprozess.
- Estland hat das Thema Jugendpartizipation unter anderem durch das Fotoprojekt „#noorednähtaval“ promotet. Hier sollte sichtbar gemacht werden, wie man junge Menschen einbinden und ihre Beteiligung an Entscheidungs- und Veränderungsprozessen erhöht werden kann.
- 2018 gab es in der Schweiz die Kampagne „Gib der Politik ein neues Gesicht!“. Sie diente der Themenfindung für die Eidgenössische Jugendsession 2018, sollte aber auch die Botschaft versenden, dass Jugendliche die Politiker/-innen von morgen sind und sich deshalb auch jetzt engagieren sollen.
- In Finnland gibt es aktuell im Rahmen der Regierungsreform den Vorschlag, Jugendräte nicht nur auf lokaler, sondern auch auf regionaler Ebene zu platzieren. Die Mitglieder sollen aus Vertreter/-innen der städtischen Jugendräte ausgewählt werden.
- In Kroatien gab es 2020 die öffentliche Aufforderung zur Einreichung von Anträgen von Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern von Jugendräten auf Aufnahme in die Arbeit der Arbeitsgruppe zur Unterstützung von Jugendräten auf Gemeinde-, Stadt- und Kreisebene.
Starke Jugendparlamente brauchen eine gute Infrastruktur
Im europäischen Vergleich zeigt sich eine große Vielfalt in Bezug auf die Ausgestaltung und institutionelle Verankerung von Jugendparlamenten/Jugendräten. Die Notwendigkeit einer Beteiligung junger Menschen wird erkannt, eine wirksame Beteiligung von jungen Menschen an politischen Entscheidungsprozessen wird in unterschiedlicher Weise unterstützt.
Jugendparlamente markieren dabei eine zentrale Schnittstelle zwischen politischen Entscheidungsträger/-innen und jungen Menschen.
- Sie schaffen strukturierte Angebote der Kommunikation zwischen jungen Menschen und Politik.
- Jugendparlamente spielen eine wichtige Rolle in der Politikberatung (vor allem auf kommunaler Ebene).
- Sie dienen als wirksames Mittel der politischen Bildung.
In der Analyse zeigt sich, dass für eine wirksame Beteiligung gerade Transparenz über das politische Mandat des Jugendparlaments und entsprechende Feedbackschleifen (gibt es tatsächliche Entscheidungsspielräume und was passiert mit den Entscheidungen) von hoher Bedeutung sind. Laut des OECD-Berichts „Governance for Youth, Trust and Intergenerational Justice. Fit for All Generations?“ (2020) sind Transparenz und gute Kommunikation mit der Jugend der erste Schritt, um eine sinnvolle Beteiligung am politischen Entscheidungsprozess zu etablieren. In der Studie gaben 72% der für Jugendangelegenheiten zuständigen Stellen an, dass sie der Verbesserung ihrer Kommunikation mit den Akteuren im Jugendbereich und der Stärkung der Transparenz Vorrang einräumen.
Damit Jugendparlamente zu einer lebendigen Beteiligungskultur beitragen, brauchen sie eine gute Infrastruktur:
- Eine gesetzliche Verankerung und damit eine Garantie für Beteiligung
- Institutionalisierung in politischen Strukturen auf verschiedenen Ebenen (Verbindung von nationaler, regionaler und kommunaler Ebene).
- Jugendparlamenten sind konkrete Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten zu allen politischen Handlungsfeldern zu offerieren.
- Hybride Formate, wie das Zusammenwirken von Jugendräten und Jugendverbandsstrukturen als Interessensvertretungen junger Menschen mit gewählten Jugendparlamenten, stärken dabei ihre Legitimation.
- Eine finanzielle Ausstattung, die mehr Unabhängigkeit und Eigenverantwortung ermöglicht und mit einem hohen Grad an Anerkennung für das jugendpolitische Engagement junger Menschen einhergeht.
- Nationale Kampagnen erhöhen die Sichtbarkeit und Akzeptanz
- Dachverbandsstrukturen vernetzen und sorgen für Anerkennung
Wirkliche jugendparlamentarische Strukturen zu etablieren, heißt die Tore zu öffnen, Macht zu teilen, zuzuhören und aufgeschlossen zu sein gegenüber den Belangen junger Menschen (vgl. OECD 2020)
Literatur
Roth, Roland /Stange, Waldemar (2020): Kommunale Kinder- und Jugendparlamente. Empirie und Perspektiven einer unterschätzten Form der Beteiligung junger Menschen. Weinheim: Beltz/Juventa (i.E.).
Autorin: Kathrin Klein-Zimmer
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