Politik und Praxis

"Jugendhilfe am Limit?"

Austausch im offenen und konstruktiven Dialog zwischen Politik und Praxis zu aktuellen Themen der Kinder- und Jugendhilfe und möglichen Lösungsstrategien für bestehende Herausforderungen auszutauschen beim parlamentarischen Frühstück des Bundesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e.V..

13.02.2024

Am 1. Februar 2024 lud der Bundesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e.V. (VPK) erneut zum parlamentarischen Frühstück in die Berliner Reichstagskuppel ein. Insgesamt sieben Abgeordnete der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, darunter die Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Deutschen Bundestag, Ulrike Bahr (SPD), folgten der Einladung des Verbandes, sich im offenen und konstruktiven Dialog zwischen Politik und Praxis zu aktuellen Themen der Kinder- und Jugendhilfe und möglichen Lösungsstrategien für bestehende Herausforderungen auszutauschen. Dabei standen vor allem der weiter dramatisch steigende Bedarf in den Hilfen zur Erziehung sowie die Themen Inklusion und Fachkräftegewinnung im Fokus der Diskussion. VPK-Mitglieder stellten Beispiele aus der Praxis vor und erläuterten, was gut gelingt und wo aktuell noch Herausforderungen bei der Umsetzung der SGB-VIII-Reform liegen.

VPK und Familienpolitiker*innen tauschen sich zur aktuellen Situation der Kinder- und Jugendhilfe aus

„Die Jugendhilfe in Deutschland ist grundsätzlich gut aufgestellt. Angefangen bei den Angeboten zur Erziehungsberatung über die Betreuung in Pflegefamilien bis hin zum umfangreichen Feld der Heimerziehung flossen im Jahr 2022 knapp 15 Milliarden Euro in ca. 1 Milliarde Hilfen unterschiedlicher Angebote. Trotzdem brennt es derzeit gefühlt an allen Stellen – die Jugendhilfe ist am Limit“, so fasste Martin Adam, Präsident des VPK-Bundesverbandes, die aktuelle Situation eingangs zusammen. „Fehlende Plätze, immer komplexer werdende Störungsbilder, ein Mangel an Fachkräften, die Integration junger Flüchtlinge oder die anstehende Umsetzung der Inklusion stehen beispielhaft für die Herausforderungen, vor denen die Jugendhilfe derzeit steht“, so Adam weiter. Gleichzeitig betonte er das Anliegen des Verbandes, den aufgezeigten Herausforderungen konstruktiv zu begegnen, offen zu denken und gemeinsam zu handeln, um tragfähige Lösungen zu finden und auch zukünftig eine bezahlbare Jugendhilfe anbieten zu können, wie junge Menschen und deren Familien sie dringend benötigen.

„Die aktuelle Situation in der Jugendhilfe fordert uns Träger täglich heraus. Insbesondere der Mangel an geeigneten Betreuungsplätzen ist ein Problem, für das schnellstmöglich eine Lösung gefunden werden muss. Kinder können zum Teil nicht mehr in Obhut genommen werden und Jugendliche mit besonders komplexen Störungsbildern finden nicht die Angebote, die sie brauchen. Erschwerend kommt der parallel stattfindende Abbau familienanaloger Einrichtungen als ein Ergebnis der Reform des SGB VIII hinzu. Dabei sind gerade diese Angebote so wichtig für junge Menschen mit besonderen Bedarfen“, so Adam weiter.

Angebote auf die Bedürfnisse der Kinder zuschneiden

Einigkeit bestand auch darüber, dass eine intensive Präventivarbeit unerlässlich ist, um möglichen Problemen in Familiensystemen bereits an ihrem Ursprung zu begegnen. Diese sollte idealerweise bereits in Kitas und Schulen beginnen und Eltern sowie andere Familienangehörige einbinden. Müssten insbesondere junge Kinder dennoch zeitweise außerhalb ihrer Herkunftsfamilie betreut werden, so stellen speziell auf die Bedürfnisse dieser jungen Kinder zugeschnittene Angebote in der stationären Heimerziehung gute und oftmals sogar passendere Alternativen gegenüber der Betreuung in Pflegefamilien dar. Dies gilt insbesondere für Kinder, die aus besonders schwierigen Familiensystemen kommen und intensiver professioneller Zuwendung bedürfen.

Damit Kinder und Jugendliche auch zukünftig vielfältige und für sie pädagogisch passende Angebote erhalten, bedarf es gut ausgebildeter und motivierter Menschen. Wichtige Voraussetzungen für die Fachkräftegewinnung sind neben bundesweiten Initiativen von Politik, Verwaltung und Praxis eine Angleichung der Fachkräftekataloge in den Bundesländern, die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen sowie eine offene und konstruktive Diskussion über die Anerkennung von Quereinsteiger*innen. Auch die Abschaffung der Schulkosten und die Vereinheitlichung der Ausbildung sind wichtige Stellschrauben, an denen nachjustiert werden muss.

Inklusion hängt von Ausbildung und Gewinnung von Fachkräften ab

Um Inklusion bedarfsgerecht und im Sinne von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern umsetzen zu können, bedarf es aus Sicht des VPK der Verständigung über ein gemeinsames Inklusionsverständnis. „Für uns kommt es jetzt darauf an, in der Gesellschaft sowie im politischen Verständnis eine gemeinsame Haltung zu etablieren. Offenheit, gegenseitige Toleranz und Akzeptanz sind für ein inklusives Verständnis und den Erfolg der Umsetzung von Inklusion aus unserer Sicht wesentlich, um Chancengleichheit für alle Menschen mit und ohne Behinderung zu verwirklichen“, so Martin Adam. Die in den letzten Jahren entstandenen vielfältigen und hoch spezialisierten Angebotsformen sowohl in der Kinder- und Jugendhilfe als auch in der Behindertenhilfe gilt es neben der Weiterentwicklung inklusiver Angebote aus Sicht des VPK dabei unbedingt beizubehalten.

„Das große Interesse an unseren Themen und die Bereitschaft, gemeinsam über Lösungen für eine Verbesserung der Situation von in der Jugendhilfe untergebrachten jungen Menschen zu diskutieren, hat uns erneut sehr beeindruckt. In vielen der von uns geschilderten Punkte sind wir bei den Abgeordneten auf offene Ohren gestoßen. Der Wille, gemeinsam voranzukommen und zu konstruktiven Lösungen für eine gelingende Kinder- und Jugendhilfe zu gelangen, hat uns gezeigt, dass wir mit unserer Arbeit offenbar auf dem richtigen Weg sind“, so Martin Adam, Präsident des Bundesverbandes privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e.V. (VPK).

Auf diesem Weg ist es dem VPK ein weiteres wichtiges Anliegen, dass privat-wirtschaftliche Träger der Jugendhilfe stärker als bisher als unverzichtbare Akteure und Anbieter wichtiger Leistungsangebote wahrgenommen und entsprechend eingebunden werden. Denn obwohl privat-wirtschaftliche Träger in den stationären Hilfen zur Erziehung heute fast 16 Prozent der Plätze bereitstellen, die sich durch eine hohe Betreuungsqualität und -intensität auszeichnen, werden diese Träger vom Gesetzgeber oftmals nach wie vor benachteiligt. Diese Benachteiligungen gilt es aus Sicht des VPK schnellstmöglich zu beseitigen, damit die wichtigen Angebote der Kinder- und Jugendhilfe im Interesse von Kindern, Jugendlichen und deren Familien von allen Leistungserbringern bereitgestellt werden können. „Private Träger geben schon heute wichtige Antworten auf viele der aktuell bestehenden Probleme – ihre Expertise und ihre Angebote sollten von daher unbedingt noch stärker genutzt werden“, so Martin Adam abschließend.

Hintergrund

Der VPK-Bundesverband ist der einzige bundesweite Dachverband für private Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe. Er ist politisch und finanziell unabhängig und wird durch die Beiträge der Mitglieder der Landes- und Fachverbände finanziert, die auf Grundlage des Sozialgesetzbuches verschiedene Dienstleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe erbringen.
Der VPK wird zur Interessenvertretung seiner Mitglieder gegenüber Politik und Gesellschaft aktiv. Er ist nach seinem Selbstverständnis qualitäts- und leistungsorientiert und in verschiedenen übergreifenden Gremien bundesweit vertreten. Der Verband wird in allgemeinen und grundsätzlichen Fragestellungen der Kinder- und Jugendhilfe initiativ, verfasst Stellungnahmen, unterhält eine Internetseite und gibt die Fachzeitschrift „Blickpunkt Jugendhilfe“ heraus.

Quelle: VPK – Bundesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e. V. vom 02.02.2024

Redaktion: Sofia Sandmann

Back to Top