Forschungsnetzwerk
Höhere Dunkelziffer an Kindeswohlgefährdungen während des Lockdowns vermutet


Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat die Anzahl von Kindeswohlgefährdungen während des ersten Lockdowns untersucht. Demnach sind deutlich weniger Betroffene in die Kinderschutzgruppen und -ambulanzen gekommen als im Vorjahreszeitraum. Weil im pandemiebedingten Lockdown die soziale Kontrolle fehlt, wird von einer großen Dunkelziffer ausgegangen.
15.02.2021
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die Fälle von Kindeswohlgefährdungen in deutschen Kinderkliniken und Kinderschutzambulanzen im März und April 2020 zurückgegangen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Forschungsnetzwerks Medizinischer Kinderschutz des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), an der 159 Kinderschutzambulanzen und Kinderschutzgruppen in Deutschland teilgenommen haben. Die Mitarbeitenden des Forschungsnetzwerks vermuten daher, dass die Dunkelziffer von Misshandlung und Vernachlässigung betroffener Kinder weiter gestiegen sein könnte.
„Grund für die anzunehmende Vergrößerung des Dunkelfelds könnte unter anderem die durch den pandemiebedingten Lockdown fehlende soziale Kontrolle sein, die sonst zum Beispiel in Schulen oder Kitas stattfindet. Zeitweise haben auch die Jugendämter und freie Träger der Jugendhilfe wegen des Lockdowns ihre aufsuchende Arbeit deutlich eingeschränkt“, sagt Priv.-Doz. Dr. Silke Pawils, Leiterin Forschungsgruppe Prävention im Kindes- und Jugendalter des Instituts für Medizinische Psychologie.
Hilfetelefone als erste Anlaufstelle für Fachkräfte und Betroffene
„Kinder haben in Zeiten der sozialen Isolation weniger Möglichkeiten, Hilfssignale zu senden. Aus anderen Studien wissen wir, dass insbesondere Kinder, die bereits vor der Pandemie von Gewalt betroffen waren, im ersten Lockdown mit höherer Wahrscheinlichkeit erneut betroffen waren“, erklärt Dr. Jo Ewert, Kinderschutzkoordinator in der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE, und ergänzt: „Bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gilt Hinschauen statt Wegschauen. Wenn Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen mit misshandelten oder vernachlässigten Kindern in Kontakt kommen, bietet die Medizinische Kinderschutzhotline unter 0800 19 21 000 fachliche Unterstützung, um Handlungssicherheit zu erlangen. Betroffene können unter 116 111 die Nummer gegen Kummer erreichen um sich beraten zu lassen.“
In die Studie sind die Daten von deutschlandweit 159 Kinderschutzgruppen und -ambulanzen eingeflossen. Die Daten bilden sowohl den stationären als auch den ambulanten Bereich ab und zeichnen ein klares Bild: In den Ambulanzen ist ein Rückgang von 15 Prozent festzustellen, im stationären Bereich sogar um 20 Prozent im Vergleich zu den Monaten März und April 2019.
Bezüglich Alter und Geschlecht, sowie den unterschiedlichen Misshandlungsformen fanden sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum keine signifikanten Unterschiede. Weitere Datenerhebungen zum Thema sind erfolgt und werden derzeit ausgewertet.
Zum Hintergrund
Im Forschungsnetzwerk Medizinischer Kinderschutz am UKE haben sich Ärztinnen und Ärzte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Institut und der Poliklinik für Medizinische Psychologie, dem Kinderkompetenzzentrum des Instituts für Rechtsmedizin und dem Kinder-UKE zusammengeschlossen, um an der Schnittstelle zwischen Forschung und Patientenversorgung Erkenntnisse im medizinischen Kinderschutz zu gewinnen und die Versorgung der Kinder zu verbessern.
Quelle: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf vom 10.02.2021
Termine zum Thema
-
22.02.2024
Emotionale und intrapsychische Krisen bei Kindern und Jugendlichen professionell begleiten
-
12.03.2024
Heute nur gespielt?
-
12.09.2024
Kinder stärken! Resilienz im Kita-Alltag fördern
-
05.12.2023
Impulsveranstaltung zur Inobhutnahme – Sichtweisen junger Menschen auf Perspektivklärungsprozesse in der Inobhutnahme und dahinterliegende Botschaften an das Hilfesystem
-
28.10.2024
Eltern stärken ist auch Kinderschutz
Materialien zum Thema
-
Artikel / Aufsatz
„Du sitzt im Wartesaal und niemand ruft dich auf!“ – Krisenintervention in der Krise?! erste Erkenntnisse aus einem laufenden Praxisforschungsprojekt zur Inobhutnahme
-
Broschüre
Vertrauensschutz im Kinderschutz
-
Anleitung / Arbeitshilfe
Reflexionsbogen zur Erstellung und Weiterentwicklung von Beteiligungs- und Beschwerdekonzepten in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nach § 45 SGB VIII
-
Broschüre
Increased Uncertainty: Child protection in the era of COVID-19. Early discussions and empirical findings from Germany.
-
Zeitschrift / Periodikum
AFET-Fachzeitschrift Dialog Erziehungshilfe 2-2023
Projekte zum Thema
-
Perspektive gGmbH Institut für sozialpädagogische Praxisforschung und -entwicklung
Inobhutnahme – Perspektiven: Impulse!
-
Kinderschutz und Kinderrechte in der digitalen Welt
-
Therapeutisches Internat Sternstunden-Mattisburg am Chiemsee
-
Hoschule für Soziale Arbeit – Fachhochschule Nordwestschweiz
Hausbesuche im Kindes- und Erwachsenenschutz in der Schweiz
-
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Medizinische Kinderschutzhotline
Institutionen zum Thema
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
faX Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend für Stadt und Landkreis Kassel
-
Fort-/Weiterbildungsanbieter
Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen
-
Fort-/Weiterbildungsanbieter
Violetta - Fachberatungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen und junge Frauen
-
Stiftung / Fördereinrichtung
Deutsche Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
BellZett e.V.