Aufarbeitung

Gemeinsame Erklärung zu Standards und Kriterien der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Diakonie Deutschland und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) haben sich auf verbindliche Kriterien und Strukturen für eine umfassende und unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie verständigt.

15.12.2023

Am 13.12.2023 unterzeichneten Anne Gidion, die Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland sowie die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus, in Berlin die „Gemeinsame Erklärung über eine unabhängige Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie nach verbindlichen Kriterien und Standards“. Erarbeitet wurde die „Gemeinsame Erklärung“ von EKD, Diakonie und UBSKM sowie maßgeblich durch Betroffenenvertreter*innen und kirchliche Beauftragte aus dem Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt (BeFo) und der von der UBSKM eingerichteten Arbeitsgruppe „Aufarbeitung Kirchen“ (bestehend aus Mitgliedern des Betroffenenrats bei der UBSKM sowie der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs).

Ziel der „Gemeinsamen Erklärung“ ist die unabhängige, umfassende und transparente Aufarbeitung sexualisierter Gewalt nach überregional vergleichbaren Standards in allen evangelischen Landeskirchen und den diakonischen Landesverbänden. Auf Grundlage der Gemeinsamen Erklärung werden innerhalb der kommenden Monate „Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommissionen“ ihre Arbeit aufnehmen.

Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), betonte:

„Die „Gemeinsame Erklärung“ legt den Grundstein dafür, dass zentrale Standards und Kriterien von Aufarbeitung wie Unabhängigkeit, Professionalität, Transparenz und die Partizipation von Betroffenen in allen Landeskirchen und diakonischen Landesverbänden eingeführt und verlässlich umgesetzt werden. Es ist höchste Zeit, dass Betroffene losgelöst von innerinstitutionellen Verfahren nach einheitlichen Standards Aufarbeitung einfordern können und an Aufarbeitungsprozessen grundlegend beteiligt werden. Ich begrüße sehr, dass mit dem Aufbau der „Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen“ es künftig auch in der evangelischen Kirche unabhängige Kommissionen geben wird, an die sich Betroffene wenden können, wenn es darum geht, erstmalig sexuelle Gewalt anzuzeigen oder einen unzureichenden Umgang mit bereits gemeldeten Fällen zu melden. Nach der langen Phase der Verhandlungen wird es jetzt darauf ankommen, dass die Landeskirchen und Landesverbände der Diakonie die „Gemeinsame Erklärung“ schnellstmöglich umfassend und verbindlich umsetzen und es zu keinen weiteren Verzögerungen kommt.“

Präsident Lilie hob aus Sicht der Diakonie Deutschland insbesondere hervor, dass evangelische Kirche und Diakonie bei dem Thema gemeinsam vorangehen:

„Die Unterzeichnung ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg der systematischen und umfassenden Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie. Wir gehen diesen Weg der Aufarbeitung sehr bewusst gemeinsam. Es wird unsere Aufgabe in den kommenden Jahren sein, diese Strukturen mit Leben zu füllen und die Aufarbeitung von Unrecht durch sexualisierte Gewalt an Schutzbefohlenen lückenlos fortzusetzen.“

Die Bevollmächtigte der EKD, Anne Gidion, hob die besondere Bedeutung der Beteiligung betroffener Personen für die Aufarbeitung hervor:

„Als ständiger Gast im Beteiligungsforum erlebe ich die Herausforderungen, aber auch die Chancen einer systematischen und weitgehenden Beteiligung von Betroffenen. Angemessene Formate der Beteiligung zu finden – und zwar gemeinsam mit Betroffenenvertreter*innen – braucht Zeit und Sorgfalt. Die „Gemeinsame Erklärung“, auf die wir lange und intensiv hingearbeitet haben, ist der nächste wichtige Schritt der systematischen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche. In der Kirche und in anderen gesellschaftlichen Feldern müssen betroffene Menschen intensiv und verbindlich in den Prozess eingebunden sein. Nur so kann die notwendige Aufarbeitung transparent gelingen.“

Es werden insgesamt neun „Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommissionen“ geschaffen, die regional für den jeweiligen Verbund aus Landeskirche/n und den analogen Landesverbänden der Diakonie zuständig sind. In ihnen arbeiten unabhängige Expert*innen aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlicher Verwaltung, Betroffene sowie Vertreter*innen der Landeskirchen und der Diakonie zusammen. Die unabhängigen Expert*innen werden durch die jeweiligen Landesregierungen benannt.

Die Kommissionen sollen transparent arbeiten und eine systematische sowie auf regionale Faktoren fokussierte Aufklärung von Fällen und Vorgängen sexualisierter Gewalt wie auch deren Evaluation ermöglichen. Ziel ist eine qualitative Stärkung von Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie. Institutionelle Aufarbeitung soll hierüber sichergestellt und durch bereits abgeschlossene wie auch aktuell laufende Aufarbeitungsstudien, -gutachten und -projekte fortlaufend ergänzt werden.

Der Unterzeichnung ist ein intensiver Aushandlungsprozess vorausgegangen. Die Aussetzung des Betroffenenbeirates der EKD im Frühjahr 2021 verzögerte die Gespräche. In den 2022 fortgesetzten Gesprächen ist es gelungen, gemeinsam mit den Betroffenenvertreter*innen aus dem neuen Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt und kirchlichen Beauftragten der EKD und Diakonie eine Konzeption regionaler Betroffenenbeteiligung zu entwickeln. Das mehrstufige Modell sieht zunächst jährliche Foren für Betroffene in allen Verbünden, die Benennung von Betroffenenvertretungen für die „Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen“ sowie die Mandatierung von Betroffenenvertreter*innen in den Kommissionen selbst vor. Diese Strukturen stellen einen kontinuierlichen Austausch zwischen den Kommissionen und Betroffenen sicher und bilden damit die Grundlage für eine grundsätzliche und umfassende Struktur der Betroffenenbeteiligung.

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