Baden-Württemberg

Folgen der Corona Pandemie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Eine vom Sozialministerium unterstützte Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, wie sich der gesellschaftliche Zusammenhalt während der Corona-Pandemie verändert hat und wie unterschiedliche Bevölkerungsgruppen diesen erleben. Die Ergebnisse liefern auch Erkenntnisse über die Erlebnisse junger Menschen und die Auswirkungen in der Jugendarbeit.

07.10.2022

Ob es das Integrationsmanagement ist, die Quartiersstrategie, Kurzzeitpflege oder Gleichstellungsfragen – wie wichtig Gesellschaftspolitik auch und gerade im Land ist, zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, die mit Unterstützung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration durchgeführt wurde. Die Wissenschaftler:innen erforschten den Zusammenhalt der Gesellschaft während der Corona-Pandemie. Und dieser ist laut ihrer Studie in Baden-Württemberg deutlich gesunken: Insgesamt ist der Index für Zusammenhalt, der auf einer Skala von 0 bis 100 aufgeführt wird, von 2019 bis zum Jahreswechsel 2021/22 deutlich von 64 auf 54 Punkte gefallen.

„Die Studie zeigt uns, wo die inneren Strukturen unserer Gesellschaft schwächeln, und sie gibt Rückschlüsse darauf, was wir tun müssen, um unsere Gesellschaft krisenfester zu machen“, sagte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha anlässlich der Vorstellung der Studie in Stuttgart. Besonders betroffen sind demnach Alleinerziehende, chronisch Kranke oder Menschen mit geringerer Bildung, geringem Einkommen und ohne Arbeitsplatz.

Autor:innen der Studie zu den gewonnenen Erkenntnissen

Prof. Dr. Klaus Boehnke von der Jacobs University Bremen und einer der Autoren der Studie zeigte sich beunruhigt über die sich abzeichnenden gravierende Veränderungen. Diese seien ein deutliches Signal an die Politik, deren Aufgabe darin bestehe, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Gesellschaft sich nicht spalte und alle Menschen gute Lebenschancen und Perspektiven haben.

Dr. Kai Unzicker von der Bertelsmann Stiftung und ebenfalls Co-Autor der Studie ergänzte:

„Die Pandemie hat in allen Dimensionen von Zusammenhalt Spuren hinterlassen: Die sozialen Beziehungen der Menschen zueinander sind geschwächt und die Offenheit für Vielfalt ist zurückgegangen. Heute sagen 24 Prozent, man könne sich auf niemanden mehr verlassen. Vor der Pandemie sagten dies nur knapp 9 Prozent. Auch die Identifikation mit dem Gemeinwesen ist zurückgegangen. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Befragten fühlen sich mit Wohnort oder Bundesland verbunden. Die Studie zeigt auch Rückgänge beim Vertrauen in Institutionen, bei der Anerkennung sozialer Regeln und bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.“

Unterschiedliche Wahrnehmung bei bestimmten Bevölkerungsgruppen

In besonderem Maße seien zwischen 2019 und 2021/22 die Identifikation mit dem Gemeinwesen sowie Solidarität und Hilfsbereitschaft zurückgegangen. Dennoch erlebten nicht alle Bevölkerungsgruppen den Zusammenhalt auf gleiche Art und Weise: Frauen, Personen mit geringerer formaler Bildung, Arme und Angehörige der unteren Mittelschicht, Nicht-Erwerbstätige, Alleinerziehende, chronisch Kranke, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund und nicht zuletzt die Altersgruppe der 45- bis 65-Jährigen: Sie alle nehmen den Zusammenhalt – zum Teil deutlich schwächer wahr als der Durchschnitt der Bevölkerung.Jüngere Menschen, höher Gebildete und Menschen auf dem Land weisen dagegen aktuell noch das stärkste Vertrauen in ihre Mitmenschen auf und erleben den Zusammenhalt insgesamt als relativ positiv. Trotzdem haben auch jüngere Menschen die Pandemie als große Belastung erlebt.

Jüngere haben die Zeit der Corona-Pandemie als sehr belastend erlebt

Was die Lage der Jugend angeht, so sind mehr als 40 Prozent der Befragten zwar der Auffassung, die Situation in der Wohngegend habe sich in der Pandemie für Jugendliche verschlechtert. Die Lebenszufriedenheit junger Menschen ist dennoch höher als bei älteren Menschen, und sie blicken trotz allem optimistischer als Ältere in die Zukunft. Obwohl sie sich in der Corona-Hochzeit von der Politik vernachlässigt gefühlt haben, empfinden junge Menschen den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt als weniger gefährdet.

Allgemeine Lebenssituation von Jugendlichen wird ambivalent bewertet

Studie gibt Hinweise zu Handlungsfeldern

„Für mich ist klar: Wir müssen benachteiligte Bevölkerungsgruppen noch mehr stärken, wir müssen noch mehr tun“, betonte Minister Lucha. „Das muss in den Quartieren beginnen, in den kleinteiligen Versorgungs- und Sorgegemeinschaften. Denn dort finden Zusammenhalt und Teilhabe unmittelbar statt.“ Die Quartiersstrategie des Landes „Quartier 2030 – Gemeinsam.Gestalten.“ setze hier an, aber auch das „Innovationsprogramm Pflege“, das vor allem die Kurzzeitpflege stärkt und in das seit 2019 mehr als 11 Millionen Euro geflossen sind.

Angesichts der Ergebnisse betonte Lucha auch die Bedeutung des Ehrenamts. Er kündigte an, dass auf allen Ebenen an einer besseren Anerkennung und langfristigen Wertschätzung des Ehrenamts gearbeitet werden müsse. Dazu soll eine Ehrenamtskarte eingeführt werden, die im nächsten Jahr mit Modellversuchen in mehreren Stadt- und Landkreisen erprobt werden soll.

Für gesellschaftlichen Zusammenhalt sei auch die medizinische Versorgung wichtig. Der Minister sei überzeugt, dass gerade im ländlichen Raum eine gute, bedarfsgerechte medizinische Versorgung sicherzustellen sei, bei welcher sich keine:r abgehängt fühlen dürfe. Mit dem Landärzteprogramm, der Landarztquote beim Medizinstudium und Initiativen zum Ausbau der sektorenübergreifenden Versorgung würden die für die Zukunft notwendigen Weichen gestellt werden.

Das gelte auch für die Bereiche Gleichstellung, Integration und Antidiskriminierung. Es werde an einer umfassenden Gleichstellungsstrategie und am Kampf gegen häusliche Gewalt gearbeitet: unter anderem seien die Haushaltsmittel zur Förderung von Beratungsstellen und zur Verbesserung der Situation gewaltbetroffener Frauen und Kinder seit 2017 versechsfacht worden, auf derzeit 10,7 Millionen Euro. Zudem würden Kommunen bei ihren Integrationsaufgaben untertützt werden: 2017 sei mit den Kommunen der Pakt für Integration geschlossen worden, wofür seither jährlich bis zu 70 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden würden. Lucha nannte auch die Landes-Antidiskriminierungsstelle (LADS), die das Land im November 2018 eingerichtet hatte.

Mit Blick auf die Zukunft gelte es nun, beispielsweise die Kindergrundsicherung endlich umzusetzen. Lucha sagte hierzu:

„Ich trete dafür seit Jahren ein und freue mich deshalb sehr über die Ankündigung der Bundesfamilienministerin, im kommenden Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Nötig ist ein vom Kind aus gedachtes Gesamtkonzept gegen Kinderarmut und zur Beseitigung ihrer Folgen. Auch in Baden-Württemberg stellen wir uns der Verantwortung und bauen die Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut flächendeckend aus. Bis 2030 soll es Netzwerke in allen Kreisen geben.“

Der Minister sagte abschließend, dass die Zahlen und Hinweise der Studie der Bertelsmann Stiftung für ihn ein Ansporn seien. Es müsse noch mehr dafür getan werden, um den  Menschen in Baden-Württemberg gute Lebenschancen und Zukunftsperspektiven zu bieten.

Die Handlungsempfehlungen

Weitere Informationen

Die Kurz- und Langfassung der Studie sind auch auf der Website der Bertelsmann Stiftung abrufbar.

Quelle: Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg vom 21.09.2022

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