Belgien

Covid-19 beeinflusst Jahresbericht zu sexueller Ausbeutung

Die belgische Stiftung für vermisste und sexuell ausgebeutete Kinder Child Focus hat ihren Jahresbericht 2020 veröffentlicht. Die Zahlen zu sexueller Ausbeutung im Internet sind alarmierend. Die Zahl von Fällen vermisster Kinder und Jugendlicher ist pandemiebedingt zurückgegangen.

08.06.2021

Das Jahr 2020 hat alle in der Gesellschaft tief getroffen. Kinder und Jugendliche sind davon nicht verschont geblieben. Operativ bekam Child Focus die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie fast unmittelbar nach ihrem Ausbruch zu spüren, was zu einer explosionsartigen Zunahme von Meldungen über sexuelle Ausbeutung im Internet führte (Bilder von sexuellem Kindesmissbrauch, problematisches Sexting, Grooming, sexuelle Online-Erpressung, ...) Was die Zahl der Vermissten betrifft, so wurde Child Focus trotz der restriktiven Covid-19-Maßnahmen mit 1.062 neuen Fällen konfrontiert. Dies ist ein Rückgang von 16 %, entspricht aber immer noch 3 verschwundenen Kindern bzw. Jugendlichen pro Tag.

Im Jahr 2020 bearbeitete Child Focus 2.205 neue Fälle von sexueller Ausbeutung, im Vergleich zu 1.501 im Jahr 2019, was einem Anstieg von 47 % entspricht. Die Zahl der Fälle, die sich auf die Onlinesicherheit beziehen, stieg um 54 %, von 267 auf 411. Im Bereich der vermissten Minderjährigen bearbeitete die Organisation 1.062 neue Fälle, ein Rückgang von 16 % gegenüber 1.261 im Jahr 2019. Diese Zahlen sind teilweise durch die Covid-19-Maßnahmen zu erklären. Durch die Lockdowns wurden viele Kinder und Jugendliche Opfer von häuslicher Gewalt. Während der Sperrzeiten konnten die Jugendlichen ihre Wohnungen jedoch kaum verlassen, was zu einem starken Rückgang bei den Ausreißerfällen führte. Auch die Zahl der internationalen Fälle von elterlicher Entführung ging infolge der Grenzschließungen zurück. Im Jahr 2020 hat die Bildschirmzeit von Minderjährigen deutlich zugenommen, wodurch sie potenziell mehr Risiken im Internet ausgesetzt sind. Dies hat sich deutlich in der Zunahme der Fälle von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen bemerkbar gemacht.

Onlinesicherheit von Minderjährigen ist ein großes Anliegen

Junge Menschen waren im Jahr 2020 viel aktiver im Internet und damit auch digitalen Risiken stärker ausgesetzt. Child Focus nahm 411 neue Fälle zum Thema Onlinesicherheit auf. 81 % dieser Fälle betrafen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen.  Über das gesamte Jahr hinweg stieg die Zahl der bearbeiteten problematischen Sexting-Fälle um 38 %, Sextortion um 84 % und Grooming um 71 %. Während der beiden Eindämmungsperioden kam es zu einer Explosion der Zahlen, einschließlich einer Verdreifachung der gemeldeten Grooming-Fälle.

Signifikante Zunahme von Berichten über Bilder von sexuellem Kindesmissbrauch

Weltweit hat Child Focus im Jahr 2020 einen enormen Anstieg der Berichte über Bilder von sexuellem Kindesmissbrauch festgestellt. Die Stiftung erhielt außerdem 2.056 Meldungen über seine zivile Kontaktstelle: stopchildporno.be (ein Anstieg von 45 % im Vergleich zu 2019). Neben dem Material von „echten“ Kindern sieht man die zunehmende Verbreitung von virtuell produziertem Material, auch dieses wird immer realistischer. So ermöglichen die Technologien noch schockierendere Videos mit virtuellen Kindern. Außerdem sind diese Zahlen nur die Spitze des Eisbergs. Die Verschlüsselung und Privatsphäreeinstellungen von Onlinenachrichten in sozialen Netzwerken sowie das Dark Net machen es nicht einfach, illegales Material zu melden oder zu finden. Infolgedessen werden viele Opfer nicht identifiziert und die Täter nicht strafrechtlich verfolgt.

Auffälliger Anstieg der sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen in der Prostitution

In Belgien bleibt die sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen in der Prostitution ein verstecktes und komplexes Phänomen, das oft unbemerkt bleibt.Trotz der Covid-19-Maßnahmen und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit eröffnete Child Focus im Jahr 2020 66 Fälle dieser Form der sexuellen Ausbeutung (51 im Jahr 2019). Man hätte denken können, dass das Phänomen während der Lockdowns, einer Zeit, in der alle gezwungen waren, zu Hause zu bleiben, tendenziell abnehmen würde, aber das Gegenteil ist eingetreten.  Außerdem sind diese Zahlen nicht erschöpfend, da viele Fälle nicht gemeldet wurden.

11 % weniger Ausreißerfälle

Dieser Rückgang (719 Ausreißer im Jahr 2020) wird durch die Covid-19-Maßnahmen erklärt. Kinder und Jugendliche waren einen Großteil des Jahres in ihrer Freiheit eingeschränkt und wurden manchmal buchstäblich in ihren Wohnungen oder der Einrichtung, in der sie untergebracht waren, eingesperrt. Man könnte vereinfachend denken, dass dies eine gute Sache ist, weil die Kinder nicht die Möglichkeit hatten, wegzulaufen. Weglaufen ist aber oft ein Weg, um Stress abzubauen und zu kontrollieren oder ein Versuch, einen Ausweg zu finden, indem man ein Warnsignal sendet. Child Focus hat über seine Hotline viele weitere Anrufe von Kindern mit psychischen Problemen oder von Eltern erhalten, die berichteten, dass ihr weggelaufener Sohn oder ihre Tochter von finsteren Gedanken geplagt wurde.

Erheblicher Rückgang der internationalen Kindesentführungen

Mit 155 neuen Fällen zeigen die Zahlen einen Rückgang im Vergleich zum Vorjahr (216 Fälle in 2019). Dieser Rückgang ist wahrscheinlich auf die Auswirkungen der Covid-19-Maßnahmen in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zurückzuführen, die das Reisen für lange Zeiträume erschwerten oder unmöglich machten. Die Schließung der Grenzen hatte den Vorteil, dass internationale elterliche Entführungen in dieser für Familien komplexen Zeit reduziert wurden.

Leichter Anstieg der vermissten unbegleiteten ausländischen Minderjährigen

Im Jahr 2020 bearbeitete Child Focus 359 vermisste unbegleitete ausländische Minderjährige, 99 davon waren neue Fälle. Im Jahr 2019 gab es 318 offene Fälle und 113 neue Fälle. Der Grund für die steigende Zahl offener Fälle ist, dass es im Gegensatz zu den meisten anderen Verschwundenen sehr viel schwieriger ist, diese Kinder zu finden. Die Gesamtzahl der vermissten unbegleiteten Minderjährigen ist schwer zu schätzen. Schließlich wird Child Focus nicht immer über das Verschwinden eines bzw. einer unbegleiteten Minderjährigen informiert, anders als bei einem „klassischen“ Verschwinden, bei dem ein besorgter Elternteil, ein Familienmitglied oder ein/-e Erzieher/-in den Verein kontaktiert.

sextoooh.be – neues Präventionstool für Fachkräfte

Child Focus konzentriert sich weiterhin auf die Prävention, um Minderjährige mit dem nötigen Rüstzeug auszustatten und sie für den Fall zu wappnen, dass Probleme im Zusammenhang mit den Themen, an denen unsere Organisation arbeitet, auftreten. Aus diesem Grund hat Child Focus die Bildungsplattform www.sextoooh.be zum Thema Sexting und Geschlechterstereotypen ins Leben gerufen, die sich an Fachkräfte richtet, die mit jungen Menschen arbeiten. Auf dieser Plattform finden sich interaktive und unterhaltsame Möglichkeiten, mit Jugendlichen darüber nachzudenken, inwiefern geschlechtsstereotype Verhaltensweisen oder Erwartungen eine Rolle dabei spielen, wie sie Sexting betrachten oder damit umgehen. Themen wie das Ansehen, das Selbstbild, Freundschaften und Beziehungen werden angesprochen.

Quelle: Child Focus vom 18.05.2021

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