SGB VIII

BJK-Vorstand zur SGB VIII-Reform – Inklusive Ausrichtung weist in die richtige Richtung

Das Bundesjugendkuratorium hat sich zum vorgelegten Entwurf eines Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) geäußert. In seiner Rückmeldung bedauert es das unzureichende Beteiligungsverfahren. Nachdrücklich wird der Ansatz einer inklusiven Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe unterstützt. Diese könne in der nächsten Legislatur in einem breit angelegten Verständigungsprozess und mit ausreichender Zeit erarbeitet werden.

06.04.2017

Rückmeldung zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen des BMFSFJ vom 17.03.2017

Das Bundesjugendkuratorium hat am 20.03.2017 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen erhalten und wurde gebeten, bis zum 23.03.2017 Stellung zu nehmen. Die kurze Fristsetzung lässt keine ausreichende Beratung und Bewertung des Referentenentwurfs im Kreise der Mitglieder des Bundesjugendkuratoriums zu. Der BJK-Vorstand äußert sich deshalb zur grundsätzlichen Ausrichtung des Referentenentwurfs und macht zu einzelnen ausgewählten Regelungen Anmerkungen.

Wir bedauern das unzureichende Beteiligungsverfahren und haben im Laufe der zweijährigen Reformdebatten mehrfach gegenüber den Verantwortlichen eine angemessene Beteiligung eingefordert. Ein Reformvorhaben, das weitreichende Veränderungen für die Lebenslagen junger Menschen, ihrer Eltern und die Fachpraxis haben wird, braucht eine intensive fachliche und öffentliche Auseinandersetzung, um zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Das unzureichende Beteiligungsverfahren zur Reform des SGB VIII widerspricht den Grundsätzen zeitgemäßer demokratischer Aushandlungsweisen und ist nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit demokratischer Verfahren zu stärken. Dies sollte jedoch Teil einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung zur Demokratiebildung sein.

Nachdrücklich unterstützen wir die inklusive Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe mit der Reform des SGB VIII. Die Beratungen der Arbeitsfassung vom Sommer 2016 im Feld der Fachorganisationen haben gezeigt, wie komplex die Herausforderungen in der inhaltlichen, strukturellen und rechtlichen Gestaltung einer Inklusiven Lösung sind. Der BJK-Vorstand begrüßt deshalb den Ansatz, mit dem Referentenentwurf eine inklusive Lösung vorzubereiten, die in der nächsten Legislatur in einem breit angelegten Verständigungsprozess über Regelungs- und Umsetzungsfragen mit ausreichender Zeit zu erarbeiten ist.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass Kindern und Jugendlichen ein allgemeiner Beratungsanspruch zustehen soll (§ 8 Ziff. 3) und dieser dann nicht mehr an Not- und Konfliktlagen gebunden ist. Ferner unterstützen wir die gesetzliche Verankerung unabhängiger und fachlich nicht weisungsgebundener ombudschaftlicher Beratung und Begleitung für junge Menschen und ihre Familien (§§ 1 Abs. 4, Nr. 5; 9a SGB VIII-RefE). Die vorgesehene Regelung eröffnet die Möglichkeit, verschiedene Modelle vor Ort und auf Landesebene zu erproben, um in einem nächsten Schritt möglicherweise verbindlichere Regelungen schaffen zu können.

Positiv betrachten wir ebenfalls die Weiterentwicklungen hinsichtlich der Pflegekinderhilfe (§ 36a SGB VIII-RefE), insbesondere was die Unterstützung und Begleitung sowohl der Herkunftseltern als auch der Pflegefamilie angeht. Sie spiegeln die intensiven Diskurse im Dialogforum Pflegekinderhilfe und setzen deren Ergebnisse gut gelungen gesetzlich um.

Sehr vernünftig ist, dass die umstrittenen Vorschläge zur Reform der erzieherischen Hilfen nun nicht mehr enthalten sind. Die gültigen Regelungen lassen ausreichend Steuerung zu. Die Praxis zeigt, dass der mögliche Entscheidungsspielraum genutzt wird. Zu bedenken geben wir, dass § 36b die Lesart nahelegt, die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für junge Menschen ende grundsätzlich mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Dies erfordert eine Änderung. Wir verweisen dazu auf die Ergebnisse des 15. Kinder- und Jugendberichtes. Perspektivisch bedarf es zudem einer Verbesserung der Rechtsposition junger Volljähriger. Hier sehen wir weiteren Handlungsbedarf. Wir regen an, den Begriff "Übergangsmanagement" durch den dem fachlichen Verständnis und den Handlungsmaximen besser entsprechenden Begriff "Übergangsplanung" zu ersetzen.

Rückmeldung zu drei weiteren, ausgewählten Regelungen:

Zu § 1 – Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe

Wir begrüßen die Erweiterungen der Leitnormen in § 1 Absatz 1. Kritisch sehen wir jedoch die aus unserer Sicht gegenüber den bisherigen Beschreibungen einschränkende Formulierung "möglichst selbstbestimmt". Damit werden subjektive Bewertungsspielräume eröffnet, die eine Teilhabe einschränken und ggf. eine angemessene Förderung unterbinden können. Das Recht eines jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit muss als Leitnorm des SGB VIII für alle Kinder und Jugendlichen ohne jegliche Einschränkung erhalten bleiben.

Zu § 48b – Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der offenen Jugendarbeit

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen in Diensten und Einrichtungen ist eine grundsätzliche Anforderung in der Kinder- und Jugendhilfe. Die Regelungen in der gültigen Fassung SGB VIII ergänzt um die Veränderungsvorschläge im Referentenentwurf sind dafür notwendig und ausreichend. Die (Kinder- und)Jugendarbeit ist davon in gleicher Weise betroffen wie die anderen Dienste und Einrichtungen. Deshalb stellt sich die Frage nach dem Regelungsbedarf.

Die Regelung betrifft ausschließlich Einrichtungen der offenen (Kinder- und)Jugendarbeit, die bzw. deren Träger nicht durch die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe finanziert sind. Auch Einrichtungen von Trägern, die eine Anerkennung nach § 75 haben, die aber nicht öffentlich gefördert werden, dürften nicht betroffen sein. Ebenso ist die Regelung bei Einrichtungen, die nicht o.g. Kriterien genügen, aber (freiwillig) mit dem Jugendamt zusammenarbeiten, überflüssig. Es handelt sich beim Regelungskreis um eine sehr kleine Zahl von Einrichtungen. Aus diesem Grund und mit Blick auf den Aufwand sowohl bei den zuständigen Stellen als auch bei den Trägern bzw. den Einrichtungen muss hier die Frage der Verhältnismäßigkeit gestellt werden.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass im Bereich selbstorganisierter (Kinder- und) Jugendarbeit eine Eingrenzung des Begriffes Einrichtung nur schwer möglich sein wird. Im Einzelfall ist schwer festzustellen, ob bereits eine Einrichtung vorliegt oder nicht, wenn junge Menschen sich selbstorganisiert in unterschiedlichen Formen von Räumen treffen. Zudem können solche Treffs temporär sein. Im Blick auf die Realität in diesem Bereich der (Kinder- und) Jugendarbeit werden die Regelungen des § 48b völlig ins Leere laufen oder zu einem nicht zu rechtfertigendem administrativen Aufwand in Jugendämtern/Jugendpflegen führen. Zudem besteht die Gefahr, dass Jugendlichen/Ehrenamtlichen in der (Kinder- und)Jugendarbeit Bußgelder drohen, wenn sie in Unkenntnis dieser Regelung handeln.

Diese Regelungen widersprechen dem Grundgedanken von (Kinder- und)Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit (§§ 11 und 12 SGB VIII). Sie widersprechen dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und werden in der Praxis nicht zu größerer Sicherheit und Transparenz, sondern zu Verunsicherung und Verhinderung von Selbstorganisationsinitiativen junger Menschen führen. Der Vorstand des BJK empfiehlt nachdrücklich, vollständig auf § 48b zu verzichten.

Zu § 83 – Aufgaben des Bundes, Sachverständige Beratung

Der Vorstand des BJK begrüßt, dass mit dem Referentenentwurf die Überprüfung von Gesetzesentwürfen auf Auswirkungen auf junge Menschen ("Jugend- Check") als Aufgabe des Bundes im SGB VIII verankert wird. Dies ist zum einen ein Ergebnis der Jugendstrategie des BMFSFJ "Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft", dessen Konzept dem BJK vertraut ist und vom BJK unterstützt wird. Fraglich ist andererseits jedoch, ob die Verankerung des Jugend-Checks über das BJK eine sinnvolle Lösung ist. Konkrete Pläne zur Umsetzung sind noch nicht hinreichend bekannt, was für eine abschließende Bewertung aber notwendig wäre.

Sollte es dennoch zu dieser vorgeschlagenen Form der Umsetzung kommen, empfehlen wir, dass die Bundesregierung bei der vorgesehenen gesetzlichen Umsetzung dafür Sorge trägt, dem zukünftigen BJK die Erfüllung seines Auftrags, "die Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Kinder- und Jugendhilfe zu beraten", durch unabhängige Sachverständige zu ermöglichen.

Die erfolgreiche Umsetzung eines Jugend-Checks erfordert in jedem Fall die systematische Einbeziehung von jugendpolitischen Sachverständigen der bundespolitischen Fachszene sowie die professionelle Unterstützung von Expertinnen und Experten in einer dafür einzurichtenden Geschäftsstelle. Das Verhältnis zwischen einer sachverständigen Beratung der Bundesregierung in kinder- und jugendpolitischen Fragen und den Aufgaben des Jugend-Checks einerseits und die Abgrenzung zwischen der zuständigen Bundesbehörde, dem Jugend-Check und dem Bundesjugendkuratorium andererseits müssen noch genauer beschrieben werden. Damit der Jugend-Check seine intendierte Wirkung entfalten kann, muss vor allem die Unabhängigkeit und die ressortübergreifende Ausrichtung gewährleistet werden.

Insgesamt schlägt der Referentenentwurf nach unserer Auffassung eine grundsätzlich richtige Richtung ein. Deutlich ist jedoch auch, dass in der nächsten Legislaturperiode eine Verfahrensform gefunden werden muss, die eine breite Fortführung des Diskussionsprozesses und mehr Transparenz für alle Beteiligten ermöglicht.

Quelle: Bundesjugendkuratorium vom 27.03.2017

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