Jugendmigrationsdienste
Auch im Coronajahr 2020 eine stabile Unterstützung
2020 war ein herausforderndes Jahr für junge Menschen, die neu in Deutschland sind. Trotz pandemiebedingter Hürden standen ihnen die bundesweit knapp 500 Jugendmigrationsdienste (JMD) zuverlässig zur Seite: mit Beratung online und vor Ort, Nachhilfe im Netz und kreativen Gruppenaktionen.
06.04.2021
Als im Frühjahr 2020 mit den Schulen auch Bildungs- und Nachhilfeangebote aussetzen mussten, war für Kamil Basergan vom Jugendmigrationsdienst Düsseldorf klar: „Wir machen online weiter.“ Viele Schülerinnen und Schüler vor allem aus internationalen Förderklassen verlassen sich auf das Hilfsangebot des Jugendmigrationsdiensts, bei dem junge Leute andere vor allem im Fach Deutsch unterstützen. Per Videokonferenz lernen seither rund 80 junge Menschen in Kleingruppen online. Das Onlineangebot bedeutete für alle Beteiligten eine Umstellung, aber es hat sich gelohnt. Der Zehntklässler Esad ist froh über das Angebot, weil es ihm bei den Aufgaben hilft, die er von seinen Lehrkräften bekommt. „Wenn wir die vorher besprechen, können wir im Unterricht besser ausdrücken, was wir gelernt und geschrieben haben. Ich habe jetzt auch bessere Noten.“
Beratung unter Pandemiebedingungen: online und offline
Wie in Düsseldorf sahen sich auch die anderen rund 500 Jugendmigrationsdienste durch die Pandemie Herausforderungen gegenüber, die Flexibilität und erhöhten Aufwand erforderten. Bei ihrer Hauptaufgabe, der Beratung und längerfristigen Begleitung junger Menschen mit Migrationsgeschichte, mussten sie sich ebenfalls den Pandemiebedingungen anpassen. Um Ratsuchende und Mitarbeitende vor Ansteckung zu schützen, berieten sie über Telefon und Internet. Ein wichtiges Instrument waren die Onlineberatung der Jugendmigrationsdienste und die sichere Webmailberatung. Bereits seit Jahren etabliert, wurden diese 2020 weiter ausgebaut und rund 200 Mitarbeitende fortgebildet. Junge Menschen erhalten dabei eine feste Ansprechperson, mit der sie anonym über eine verschlüsselte Verbindung Nachrichten und Dokumente austauschen können. Vor-Ort-Beratungen waren je nach Infektionslage nicht oder nur eingeschränkt möglich: mit Plexiglasscheiben und Mund-Nase-Schutz. Mancherorts fanden Beratungsgespräche auf Abstand am Fenster oder beim Spaziergang statt.
Trotz dieser Bemühungen war es schwierig, den Kontakt zu den Ratsuchenden aufrecht zu erhalten. Viele Wege, über die junge Menschen üblicherweise in die Beratung kommen, waren verstellt: Schulbesuche durch den Jugendmigrationsdienst, Behördengänge oder niedrigschwellige Freizeit- und Gruppenangebote des Jugendmigrationsdienstes und seiner Kooperationspartner. Insgesamt wurden mit 113.000 jungen Menschen 6.000 weniger als 2019 beraten und im „Case Management“ begleitet. Die Zahl der Neuzugewanderten sank jedoch im gleichen Zeitraum deutlich stärker. Damit ist die Nachfrage weiterhin auf hohem Niveau. Um während der Pandemie mit den Jugendlichen in Verbindung zu bleiben, nahmen die Mitarbeitenden verstärkt selbst Kontakt auf, posteten auf Facebook und Instagram oder riefen sie an. Vor allem bei jenen, die noch nicht gut Deutsch sprechen, sei die Hemmschwelle hoch, selbst zum Hörer zu greifen, erklärt Wolfgang Cramer vom Jugendmigrationsdienst Lübeck.
Inhaltlich waren die Beratungsgespräche 2020 stärker als sonst von Zukunftssorgen geprägt, berichtete Tobias Kuberski vom Jugendmigrationsdienst Köln bereits im Frühjahr: „Jugendliche in Abschlussklassen fragen sich, ob sie ihren Abschluss mit der verpassten Zeit noch erreichen können.“ Andere Themen verstärkten sich durch die Zusatzbelastung, die die Pandemie zum Beispiel für junge Eltern birgt: „Wenn eine junge Mutter mit drei Kindern es nur schwer schafft, sich auf ihren persönlichen Fortschritt zu konzentrieren, dann ist es jetzt noch schwieriger, weil die Kinder rund um die Uhr zu Hause sind.“ Gleichzeitig bemerken Kollegen und Kolleginnen eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit der Pandemie. „Junge Menschen mit Migrationserfahrung sind häufig krisenerprobter als Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind“, so Jonas Muth vom Jugendmigrationsdienst Emmendingen.
Im Schnitt wird eine junge Person vom Jugendmigrationsdienst im „Case Management“ zwei Jahre und neun Monate begleitet. Das ergibt sich aus dem breiten Themenspektrum der Beratungen. Die Zielgruppe der Jugendmigrationsdienste ist zwischen 12 und 27 Jahren alt und entsprechend vielfältig: von Teenagern, die noch zur Schule gehen, über junge Erwachsene am Übergang zu Ausbildung oder Studium bis zu Berufsanfängerinnen und -anfängern, die teils selbst schon Kinder haben. Sie sprechen 115 verschiedene Sprachen und gehören 180 verschiedenen Nationen an, die meisten kommen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder Eritrea. Häufig haben sie eine Flucht hinter sich. Insgesamt sind 90 Prozent selbst eingewandert, knapp 5 Prozent haben die deutsche Staatsangehörigkeit.
So unterschiedlich wie die Ratsuchenden sind ihre Anliegen: eine Schule oder einen Deutschkurs finden, Bewerbungen für Praktika, Ausbildungs- oder Arbeitsplätze schreiben oder Briefe von Behörden verstehen sind nur einige Beispiele. Der 26-jährige Ahmad aus Syrien demonstriert, wie wichtig die Unterstützung der Jugendmigrationsdienste dabei ist. Seit mehr als drei Jahren wird er von Kirsten Raaf, Mitarbeiterin im Rhein-Erft-Kreis, beraten und begleitet. Mit ihrer Hilfe fand er einen Deutschkurs, knüpfte über Freizeitaktionen wie gemeinsame Wanderungen Kontakte und macht heute eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Über die Jahre sei die Beziehung zum Jugendmigrationsdienst immer stärker geworden, sagt Ahmad. „Immer wenn ich Hilfe brauche, ist Frau Raaf für mich da.“
Gemeinsam gegen die Isolation
Herausforderungen gemeinsam bewältigen und Lösungen für immer neue Situationen finden: Was die Beratung und Begleitung der JMD im Jahr 2020 prägte, galt auch für Lern- und Freizeitaktivitäten in der Gruppe. Trotz Einschränkungen gelang es den Jugendmigrationsdiensten rund 1.800 Gruppenangebote durchzuführen, wenn auch mit begrenzter Teilnehmendenzahl. Sie wirkten der Isolation entgegen, mit der viele junge Menschen zu kämpfen hatten. Mithilfe der Jugendmigrationsdienste fanden sie Gesellschaft und kreativen Ausgleich, zum Beispiel durch Sommerausflüge, Tanzworkshops im Freien, Musik- und Filmprojekte sowie Online-Aktionen und Bastelpakete für zu Hause. Aber auch Online-Lernangebote wie das des Jugendmigrationsdienstes Düsseldorf boten Jugendlichen einen Anker im Alltag und ermöglichten ihnen, den Blick nach vorne zu richten – auf die Gestaltung ihres Lebens während und nach der Pandemie.
Die Jugendmigrationsdienste sind Teil der Initiative JUGEND STÄRKEN, mit der sich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für eine bessere Integration junger Menschen in Schule, Beruf und Gesellschaft einsetzt. Die Träger der Jugendmigrationsdienste, die Arbeiterwohlfahrt, die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit, die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit und der Internationale Bund/Freie Trägergruppe setzen das Bundesprogramm bundesweit an rund 500 Standorten um.
Zum Jahresrückblick als PDF-Download
Quelle: Servicebüro Jugendmigrationsdienste vom 06.04.2021
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