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Kulturelle Bildung in Zeiten der Corona-Pandemie
Die Schließung von Schulen, Kitas, außerschulischen Kultur- und Bildungseinrichtungen bis hin zu öffentlichen Spielplätzen in Zeiten der Corona-Lockdowns stellte für Familien eine beispiellose Herausforderung dar (vgl. Deutsches Jugendinstitut et al. 2020) (PDF 199 KB).
Das Positionspapier „Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit in Corona-Zeiten: Eine Zwischenbilanz zu den Auswirkungen auf Jugendliche, junge Erwachsene und die Strukturen der Jugend(sozial)arbeit“ der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe“ (AGJ 2021) thematisiert diese Auswirkungen auf junge Menschen und die Strukturen der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Sie fordert u. a. eine notwendige Weiterentwicklung hin zu digitalen Ansätzen und Methoden und fordert, Beteiligungsstrukturen junger Menschen durch Ausbau und Sicherung krisenfest zu machen.
Auch in der kulturellen Bildung wird davon ausgegangen, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie soziale Ungleichheiten weiter verschärfen. So kommentiert die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. in ihrem Positionspapier „Zukunftsallianz Jugend“ (PDF 115 KB):
„Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen haben durch die Corona-Krise empfindliche Begrenzungen erfahren, bereits bestehende soziale Ungerechtigkeiten wurden verstärkt. Dies wiegt umso schwerer, als Kinder und Jugendliche gerade jetzt kulturelle Angebote brauchen, um ihre Welt zu reflektieren, eigene Standpunkte zu entwickeln und sich aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft zu beteiligen. Genau dies sind die Stärken der Kulturellen Bildung.“ (BKJ 2021) (PDF 115 KB)
Um die pandemiebedingten Benachteiligungen in der Praxis auszugleichen, fördert die BKJ als Zentralstelle gemeinsam mit ihren Mitgliedsverbänden in den Jahren 2021 und 2022 Projekte, die „Gemeinschaftserlebnisse ermöglichen, Freude bringen und kulturelle Teilhabe und Engagement unterstützen“ (ebd.). Diese Förderung wird durch das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ der Bundesregierung aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes ermöglicht.
Darüber hinaus hat die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM) auf die Corona-Situation mit dem Förderprogramm NEUSTART KULTUR reagiert. Damit wurde ein umfassendes Rettungsprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro für den Kultur- und Medienbereich geschaffen. In diesem Rahmen soll das spartenübergreifende Pilotprogramm NEUSTART des Bundesverbands Soziokultur vor allem auch kleinere und mittlere Kultureinrichtungen unterstützten. Durch Umbau- und Ausstattungsmaßnahmen in den Kultureinrichtungen sollen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Betriebs unter Einhaltung der Corona-Maßnahmen geschaffen werden. Dafür wurden die Einrichtungen unterstützt, Schutz- und Vorsorgemaßnahmen zu implementieren sowie neue Angebote wie digitale Formate auf- und auszubauen.
Digitalisierung
Digitalität prägt die Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen entscheidend. So kristallisiert sich in einer Studie des Rats für Kulturelle Bildung von 2019 vor allem YouTube als Leitmedium für junge Menschen heraus. Da 86 Prozent der 12- bis 19-Jährigen YouTube nutzen, empfiehlt der Rat: die „Akteure der Kulturellen Bildung – in formalen wie non-formalen Kontexten – sind aufgefordert, das hohe Aktivierungspotenzial der audiovisuellen Medien zu nutzen und aufzugreifen, um Formate und Inhalte Kultureller Bildung weiterzuentwickeln.“ (Rat für Kulturelle Bildung 2019) (PDF 1,17 MB). Diese Tendenzen sind im Zuge der Corona-Pandemie und des damit verbundenen „Digitalisierungsschubs“ weiter verstärkt worden. Der 16. Kinder- und Jugendbericht setzt sich für die intensivierte Einbindung digitaler Methoden in klassische Projekte als „digital enhanced Version“ ein, z. B. in Planspielen oder in Unterrichtsprojekten. Planspiele simulieren analog „Einblicke in institutionelle Prozesse und Entscheidungen aus der Akteursperspektive heraus“ (Petrik/Rappenglück 2017, S. 9). Jüngste Digital-enhanced-Lernspiele, Game-Based-Learning sowie webbasierten Fernplanspiele übernehmen analoge Planspiele ins Digitale mit erhöhter Reichweite. Digitale Planspiele mit Offline-Spielphasen (Blended Learning) verbinden klassische mit neuen Formaten und gewinnen das Interesse der Jugendlichen (vgl. BMFSFJ 2020) (PDF 6,82 MB).
Die Diskussion um Potenziale und Risiken der Digitalisierung hat in diesem Zuge einmal mehr Fahrt aufgenommen (vgl. BKJ 2020a). Im Zuge ihrer kritischen Reflexion dieser digitalen Transformation formuliert die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. als Handlungsempfehlung an die Politik: „Die Kulturelle Bildungspraxis muss in die Lage versetzt werden, in allen Sparten neue, vernetzte und digital-analoge Formate in geschütztem Rahmen mit Kindern und Jugendlichen zu entwickeln und zu erproben. Dazu braucht es nachhaltig abgesicherte Unterstützung – fachlich, institutionell, politisch und finanziell.“ (Ebd., S. 23)
Ein Beispiel für aktuelle Bemühungen um verbesserte Rahmendbedingungen für Digitalität ist das Förderprogramm Kultur.Gemeinschaften – Kompetenzen, Kopfe, Kooperationen der Kulturstiftung der Länder (2021/2022), das Fördermöglichkeiten zur Umsetzung des digitalen Transformationsprozesse in der kulturellen Praxis schafft.
Kulturelle Bildung und Ganztagsschulen
Mit dem „Ganztagsförderungsgesetz – GaFöG“ hat die Bundesregierung den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2026 beschlossen. Damit einhergehend hat der Bund den Ländern milliardenschwere Unterstützung für den Ganztagsausbau zugesichert. Demnach sollen u. a. Finanzhilfen des Bundes auch für den Erhalt bereits bestehender Betreuungsplätze gewährt werden und nicht nur für die Schaffung neuer Plätze. Außerdem sieht der Vermittlungsvorschlag eine höhere Beteiligungsquote für den Bund bei den Investitionskosten vor. Mit dem Ausbau der Ganztagsbetreuung wird das Ziel verbunden, zum einen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern und zum anderen mehr Chancengerechtigkeit für Kinder im Grundschulkinder herstellen zu können.
Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. als Dachverband der kulturellen Bildung in Deutschland fordert in Bezug auf das Ganztagsförderungsgesetz eine qualitätsorientierte Ausgestaltung: „Hierbei müssen Qualitätsmaßstäbe für non-formale Bildung in der Umsetzung dieses Rechts bundesweit gesichert werden. Ganztagsbetreuung muss in der Umsetzung die Eigenständigkeit der außerschulischen Akteure der Kinder- und Jugendhilfe als gleichberechtigte Verantwortungsträger stärken und sicherstellen (vgl. BKJ 2021) (PDF 117 KB).
Forschung
Ungeachtet der öffentlichen Aufmerksamkeit für kulturelle Bildung gibt es bis heute keine systematische Beobachtung der kulturellen Kinder- und Jugendbildung und keine öffentliche Berichterstattung auf Bundesebene. Es fehlt an flächendeckenden, repräsentativen quantitativen Untersuchungen zur Teilhabe junger Menschen an kulturellen Aktivitäten. Auch belastbare Daten zur kulturellen Schulbildung und zur Kinder- und Jugendhilfe bzw. dem Teilbereich Jugendarbeit/Kulturelle Jugendbildung sind nicht vorhanden. Ein Grund sind die Zuständigkeiten der Bundesländer in der formalen Bildung und die hauptsächlich kommunale Zuständigkeit sowie die partizipative Verfasstheit des Kinder- und Jugendhilfesystems. Für beide Bereiche fehlen flächendeckende Statistiken aus amtlichen Quellen oder sozialwissenschaftlichen Erhebungen. 2010 haben sich Forscherinnen und Forscher zusammengetan, um als Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung die Forschung zur kulturellen Bildung zu vernetzen und den interdisziplinären Austausch über Theorien, Fragestellungen und Forschungsmethoden in der kulturellen Bildung sowie den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern.
Einen guten Überblick über aktuelle Forschungen und Fachdiskurse in der kulturellen Bildung liefert die Wissensplattform Kulturelle Bildung Online in Trägerschaft der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW e. V., der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel e. V., der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. sowie dem Institut für Kulturpolitik der Stiftung Universität Hildesheim. Die Wissensplattform richtet sich an die Fachöffentlichkeit der kulturellen Bildung und sichert die Qualität der Inhalte durch einen Beirat und durch ein Peer-Review-Verfahren der Fachartikel.
Laufende Diskussionen
Aktuelle gesellschaftliche Debatten werden in der kulturellen Bildung im Rahmen der Praxis- und Verbandsarbeit regelmäßig aufgenommen. So wird beispielsweise diskutiert, inwiefern kulturelle Bildung „demokratiebildend“ wirken kann. Hier liefert insbesondere der 2020 vorgelegte 16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung zum Thema „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“ konkrete Anknüpfungspunkte. Auf über 600 Seiten schildert der Bericht die steigenden Herausforderungen für die Demokratie und die politische Bildung (vgl. BMFSFJ 2020). Da politische und kulturelle Bildung große Schnittmengen aufweisen, ist die Forderung nach mehr Demokratiebildung vonseiten des Kinder- und Jugendberichts auch innerhalb der kulturellen Bildung bedeutsam.
Darüber hinaus stehen weitere Themen wie mangelnde Chancengerechtigkeit, Benachteiligung, Rassismus oder Diskriminierung regelmäßig im Mittelpunkt der kulturellen Bildungspraxis und werden vonseiten der Förderpolitik gezielt forciert (vgl. Schütze/Maedler 2017). Auch das Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ hat in den vergangenen Jahren im Zuge der Diskussionen um den Klimawandel innerhalb der kulturellen Bildung an Bedeutung gewonnen (vgl. Reinwand-Weiss 2020).
Insgesamt erfährt kulturelle Bildung erhöhte Aufmerksamkeit und wird seit einigen Jahren bevorzugt durch öffentliche und private Mittel gefördert. Es gibt viele Förderprogramme und Modellprogramme, die kulturelle Bildung hinsichtlich der oben genannten Herausforderungen fördern. Auch das Fördervolumen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Diese Tendenz scheint sich zurzeit fortzusetzen. Ungebrochen ist die Tendenz der Politik, die Zusammenarbeit von Schulen mit Trägern kultureller Bildung zu unterstützen. Hierfür gibt es viele Förderprogramme, Konzepte und Unterstützungsstellen. Vor dem Hintergrund des für 2026 geplanten „Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter“ erhält die Thematik erneut Brisanz. Durch die Aufgabenerweiterung um den Bereich der Schulkooperationen hat sich die außerschulische kulturelle Bildung stark verändert. Für Träger und Einrichtungen der kulturellen Bildung hat Kooperations- und Vernetzungsarbeit einen hohen Stellenwert bekommen. Damit verbunden sind erhöhte Anforderungen u. a. im Bereich Verwaltung und Management. Die Beantragung und Abwicklung von Förderprojekten wie z. B. „Kultur macht stark“ ist für die Einrichtungen der kulturellen Bildung verwalterisch aufwendig. Somit hat sich das Berufsprofil kulturpädagogischer Fachkräfte in den vergangenen Jahren einen größeren Fokus auf Management und Netzwerkaufgaben bekommen (vgl. Kelb 2020) (PDF 275 KB). In vielen Städten sind „Kontaktstellen“ oder „Koordinierungsstellen“ für kulturelle Bildung eingerichtet worden, welche die Träger und Einrichtungen in der Kooperations- und Vernetzungsarbeit unterstützen sollen. Um aktuell und zukünftig den gesellschaftspolitischen Herausforderungen gerecht werden zu können und die Forderung nach kooperativer Bildungsarbeit umzusetzen, bedarf es politischer Unterstützung der kulturellen Bildungspraxis.
Anlässlich der Bundestagswahl 2021 stellten die Fachorganisationen kultureller Bildung konkrete Forderungen an die Kinder- und Jugendpolitik, an die Bildungspolitik und an die Kulturpolitik des Bundes sowie an die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (vgl. BKJ 2021) (PDF 115 KB):
- Neue Strategien für Bildungsgerechtigkeit und kulturelle Teilhabe innerhalb von Bildungsallianzen zu entwickeln und strukturell zu fördern, um für alle Kinder und Jugendlichen dauerhaft Zugänge zu Kultur und Bildung zu sichern.
- Bildung ist mehr als Schule: Digitalpakt 2.0 über Schule hinaus vorantreiben, um zivilgesellschaftliche Orte und kommunale Einrichtungen kultureller Kinder- und Jugendbildung in der Entwicklung digitaler und hybrider Angebote zu unterstützen, damit kreative und emanzipierte Teilhabe ermöglicht wird.
- Fachstrukturen der kulturellen Bildung unterstützen, um Lösungsstrategien für gesellschaftspolitische Zukunftsfragen kontinuierlich zu erarbeiten.
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Dieser Artikel wurde auf www.youthwiki.eu in englischer Sprache erstveröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Übernahme.