Jugendpolitik im Allgemeinen

Aktuelle Debatten und Reformen

Anstehende politische Entwicklungen

Die aktuellen Debatten zu jugendpolitischen Vorhaben werden auf Bundesebene maßgeblich von den Vorhaben der aktuellen Regierungskoalition bestimmt (siehe Youth Wiki Kapitel „Jugendpolitik: Entscheidungsfindung in der Jugendpolitik“). In dem aktuellen Koalitionsvertrag 2021-2025 vom November 2021 für die 20. Legislaturperiode zwischen SPD, GRÜNEN und FDP (PDF 1,1 MB) werden an verschiedenen Stellen jugendpolitische Anliegen erwähnt (siehe Youth Wiki Kapitel „Jugendpolitik: Nationale Jugendstrategie“).

Zunächst soll die bisherige Jugendstrategie der Bundesregierung zu einem Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung weiterentwickelt werden, wozu auch gehört, dass die Qualitätsstandards für wirksame Beteiligung besser bekannt gemacht und selbstbestimmte Kinder- und Jugendparlamente und Beteiligungsnetzwerke gestärkt werden. Eine eigene Kampagne soll Kinder und Jugendliche über ihre Rechte und Beschwerdemöglichkeiten informieren. Gestärkt werden sollen auch die europäische und internationale Jugendarbeit; vor allem für Auszubildende sollen die Chancen verbessert werden, an diesen Angeboten teilzunehmen. Ausgebaut werden sollen auch die Jugendberufsagenturen, um die Chancen Jugendlicher auf eine qualifizierte Berufsausbildung zu verbessern. Diesem Ziel dienen noch eine Reihe weiterer Vorhaben; ausdrücklich wird betont, dass die ausbildungsbegleitenden Hilfen auch vermehrt jungen Menschen mit Fluchterfahrung geöffnet werden sollen.

Vermutlich eines der wichtigsten jugendpolitischen Vorhaben der neuen Regierung ist die Einführung einer sogenannten Kindergrundsicherung für Kinder und Jugendliche. Sie soll aus zwei Komponenten bestehen: Einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag für alle Kinder und Jugendlichen und einem vom Elterneinkommen abhängigen, nach Bedarfen gestaffelten ergänzenden Betrag.
Darüber hinaus enthält das Regierungsprogramm noch eine Reihe weiterer jugendpolitischer Vorhaben, z.B. im Bereich des Kinderschutzes, der Entstigmatisierung psychisch Kranker, der Drogenpolitik, des Kampfes gegen Kindesmissbrauch und sexueller Gewalt, der Prävention von Queerfeindlichkeit, des europäischen und internationalen Jugendaustausches sowie in der Migrations-, Flüchtlings- und Integrationspolitik.

Inklusive Lösung  

Mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) bzw. mit der Reform des SGB VIII im Sommer 2021 sind erste wichtige Schritte in Richtung einer gemeinsamen Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen eingeleitet worden („inklusive Lösung“). Zwar bleibt es – nach derzeitigem Stand – noch bis 31.12.2027 dabei, dass für Kinder und Jugendliche mit (drohender) seelischer Behinderung die Kinder- und Jugendhilfe zuständig ist und für alle anderen Arten von Behinderung die Eingliederungshilfe; mit der Reform des SGB VIII durch das KJSG ist jedoch das Ziel, die Unterstützung und Hilfen zukünftig aus einer Hand für alle in der Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe zu ermöglichen, gesetzlich festgeschrieben. Neben den vielen neuen Vorgaben des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes im Bereich Kinderschutz, Beratung, Beschwerdemöglichkeiten, Pflegekinder, die nun umgesetzt werden müssen, wird deshalb das Thema inklusive Lösung die nächsten Jahre zentral sein. Dabei müssen einerseits die jetzt schon im Gesetz stehenden Vorgaben umgesetzt werden. Dazu müssen an vielen Stellen verlässliche Kooperationen zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe entwickelt und aufgebaut werden und die Einrichtungen sich für Kinder und Jugendliche mit Behinderung öffnen. Zugleich steht ein zweites Bundesgesetz vor der Tür, das – nach bisheriger Planung – bis zum 31.12.2026 vorliegen soll. Da viele Fragen der Zusammenführung noch ungeklärt sind, bedarf es hierzu eines breiten Fachaustausches. Im Koalitionsvertrag für die neue Regierung vom November 2021 wurde festgelegt, dass in einem Beteiligungsprozess mit den Ländern, Kommunen und Verbänden die offenen Fragen diskutiert und notwendige Änderungen im SGB VIII erarbeitet werden sollen. Entgegen den bisherigen gesetzlichen Regelungen ist darüber hinaus vorgesehen, dass dieser Gesetzgebungsprozess noch in der aktuellen Legislaturperiode, also spätestens bis Sommer 2025, geregelt sein soll.

Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz

Auch in dem neuen Koalitionsvertrag vom November 2021 ist festgelegt, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Es ist der zweite Versuch, nachdem ein erster Entwurf der vorhergehenden Regierung im Sommer 2021 gescheitert ist. Er wurde zurückgezogen, weil sich einerseits keine ausreichende Mehrheit fand und er andererseits von vielen Seiten als unzureichend kritisiert wurde, weil die Formulierungen zu Teilen hinter den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) zurückblieben.
Die Rechte von Kindern, die in der seit 1992 von Deutschland ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention festgelegt worden sind, haben seitdem in Form eines sogenannten einfachen Bundesgesetzes Rechtsgültigkeit. Von einer Verankerung in der Verfassung erhoffen sich viele eine stärkere juristische und gesellschaftliche Anerkennung der Prinzipien der KRK und eine Verbesserung der Beteiligungs- und Teilhabemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen.

Laufende Diskussionen

Covid-19-Pandemie

Die Folgen der Covid-19-Pandemie werden in den öffentlichen und politischen Debatten unter vielen Gesichtspunkten diskutiert. Aus jugendpolitischer Sicht ist dabei auffällig, dass, nachdem lange Zeit vorrangig Fragen der Qualifizierung, des Erreichens von Schulabschlüssen sowie hochschulischen und beruflichen Bildungsabschlüssen im Mittelpunkt der Diskussion standen, zunehmend die sozialen Folgen und Belastungen aufseiten von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden. Empirische Daten deuten dabei auf starke psychische Belastungen und eine Zunahme entsprechender Erkrankungen bei jungen Menschen. Auch wenn man aktuell die mittel- und längerfristigen Folgen der durch die Corona-Pandemie verursachten Einschränkungen und Belastungen bei jungen Menschen im Detail nicht im vollen Umfang abschätzen kann, so zeigt sich doch immer deutlicher, dass an vielen Stellen längerfristiger Hilfe- und Unterstützungsbedarf entstanden ist. Welche Folgen die Pandemie in Bezug auf die Startchancen auf dem Arbeitsmarkt haben wird und welche Effekte die lange Zeit des Homeschoolings mit sich bringen wird, ist derzeit nur vorläufig abschätzbar und hängt von vielen Faktoren – nicht zuletzt von der wirtschaftlichen Entwicklung nach der Pandemie – ab.

Ein zweiter Aspekt, der aktuell diskutiert wird, sind die Folgen der Covid-19-Pandemie, vor allem des Lockdowns und der (Teil-)Schließungen der Einrichtungen und Angebote, im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Während die Kinder- und Jugendhilfe vor allem zu Beginn erhebliche Probleme hatte, Kontakt mit ihren Adressatinnen und Adressaten zu halten, hat sich mittlerweile die Lage gebessert – auch wenn viele Angebote, z.B. Jugendarbeit gegenwärtig immer noch reduziert sind. Diskutierte Themen waren z.B. die strukturelle Ermöglichung von Kinderschutz, wie eine notwendige Begleitung und Beziehungsarbeit in Zeiten von Kontakt-Verboten aussehen kann, und die Existenzsicherung von sozialen Einrichtungen und Diensten. Deutlich wurde darüber hinaus, dass die Kinder- und Jugendhilfe große Nachholbedarfe im Bereich Digitalisierung hat.

Demokratieförderung

In den letzten zwei Jahrzehnten sind Demokratien überall in Europa aus unterschiedlichen Gründen unter Druck geraten. Neben generellen Entwicklungen wie Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Migration, gesellschaftlicher Spaltung, der Forderung nach mehr Beteiligung und Teilhabe sowie den strukturellen Problemen moderner Demokratien ist es vor allem das Erstarken demokratiefeindlicher sozialer Bewegungen, Parteien und Strömungen. Vor diesem Hintergrund wurde in der letzten Legislaturperiode von einer unabhängigen Kommission ein umfangreicher Bericht zum Stand der politischen Bildung und den Herausforderungen für die Stärkung von Demokratie erarbeitet (16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung). Die von ihm gemachten Vorschläge bedürfen nun der Umsetzung in der Fachpraxis. Daneben fördert die Bundesregierung mit „Demokratie leben!“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ zwei wichtige Programme zur Demokratieförderung. Da diese Programme bislang zeitlich befristet waren, wurde schon länger über die Möglichkeit diskutiert, diese oder Teile davon auf Dauer zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund plant die neue Regierung bis 2023 ein sogenanntes Demokratiefördergesetz auf den Weg zu bringen, mit dem Ziel einer Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft.

Wahlalter

Neben dem schon erwähnten Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung haben die in der neuen Koalition zusammenarbeitenden Parteien sich darauf geeinigt, in der aktuellen Legislaturperiode eine Wahlrechtsreform durchzuführen und dabei das aktive Wahlalter für den Deutschen Bundestag von 18 Jahren auf 16 abzusenken. Damit greift die Koalition eine schon länger währende Debatte auf. Erwartet wird eine Verbesserung der Beteiligungs- und Teilhabemöglichkeiten von Jugendlichen.

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Dieser Artikel wurde auf www.youthwiki.eu in englischer Sprache erstveröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Übernahme.

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