Deutsche Kinder- und Jugendstiftung
Ungleiche Teilhabemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in Deutschland

Der „Teilhabeatlas Kinder und Jugendliche“ zeigt große regionale Unterschiede bei Chancen und Lebensbedingungen junger Menschen. Kinder wünschen sich Mitbestimmung, Freizeitangebote und Mobilität. Besonders in Regionen mit hoher Armut fehlt es an Teilhabechancen. Die Studie fordert gezielte Investitionen in Bildung, Infrastruktur und echte Beteiligung.
22.05.2025
Kinder und Jugendliche in Deutschland haben – je nach Wohnort – unterschiedliche Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Das verdeutlichen statistische Daten, etwa zum Anteil der von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen oder der Schulabgänger*innen ohne Ersten Schulabschluss. In Gesprächen mit jungen Menschen sowie Fachkräften der Kinder- und Jugendarbeit zeigen sich darüber hinaus Bedürfnisse, die junge Menschen vielerorts haben: Junge Menschen wollen vielfältige Freizeitmöglichkeiten, mehr Selbstbestimmung und echte Beteiligung. Die neue Studie „Teilhabeatlas Kinder und Jugendliche“ untersucht die Teilhabemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen – anhand von Daten und Interviews mit jungen Menschen.
Für die Studie analysierten die Autor:innen umfangreiche Daten auf Ebene der 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland. Zu den untersuchten Indikatoren zählen – neben dem Anteil von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen und der Schulabgänger*innen ohne Ersten Schulabschluss – auch Querschnittsindikatoren wie die Lebenserwartung oder die Erreichbarkeit von Bushaltestellen, Grundschulen und Kinderarztpraxen. Diese Faktoren geben Hinweise auf die allgemeinen Lebensverhältnisse.
„Die Unterschiede sind teils gravierend“, erklärt Claudia Härterich vom Berlin-Institut. „In einzelnen Regionen verlassen rund 15 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss, in anderen sind es nur drei Prozent.“ Auffällig sind auch die Unterschiede bei der Kinderarmut: Während in manchen Gegenden im Ruhrgebiet 20 bis 30 Prozent der Kinder in Armut aufwachsen, liegt der Anteil in wirtschaftlich starken, ländlichen Regionen Süddeutschlands bei unter vier Prozent.
Eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten treten selten isoliert auf
„In Regionen mit hoher Kinderarmut sind häufig auch der Anteil der Schulabgänger:innen ohne Ersten Schulabschluss und die Jugendarbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch,“ sagt Manuel Slupina von der Wüstenrot Stiftung. „Echte Chancengleichheit sieht anders aus.“ Politischen Handlungsbedarf gibt es auf verschiedenen Ebenen, um bessere Startbedingungen für alle jungen Menschen in Deutschland zu erreichen. Das Forschungsteam fordert etwa gezielte Investitionen in die Qualität von Schulen, in außerschulische Bildungsangebote und in die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die statistisch gesehen weniger Teilhabemöglichkeiten haben.
Kinder und Jugendliche wollen Beteiligung, Selbstbestimmung und vielfältige Freizeitangebote
Um ein ganzheitliches Bild der Lebensrealität junger Menschen zu erhalten, führte das Forschungsteam auch Gespräche mit 222 jungen Menschen und 39 Fachkräften aus der Kinder- und Jugendarbeit durch. Es ist dafür an Orte gefahren, in denen die Teilhabemöglichkeiten von jungen Menschen statistisch gesehen unterschiedlich sind, das sind: Ingolstadt, Weimar, Wuppertal, der Wetteraukreis, der Neckar-Odenwald-Kreis, Potsdam-Mittelmark, Segeberg und Görlitz. Der Vergleich zwischen Datenlage und subjektiver Wahrnehmung zeigt: Statistiken allein reichen nicht aus, um Teilhabe umfassend zu beurteilen.
Aus den Gesprächen kristallisierten sich drei Aspekte heraus, die Kindern und Jugendlichen an ihrem Wohnort besonders wichtig sind: Sie wünschen sich Mitgestaltungsmöglichkeiten, öffentliche Aufenthaltsorte sowie eigenständige Mobilität. Die Interessen junger Menschen sind über Stadt- und Landesgrenzen hinweg ähnlich: Sie wollen Freundschaften pflegen, Sport treiben, Musik machen oder digitale Medien nutzen – idealerweise in Räumen, die sie selbst gestalten können. Doch selbst dort, wo Platz vorhanden ist, fehlt es oft am politischen Willen, diese Räume jungen Menschen zur Verfügung zu stellen.
Besonders wichtig ist Jugendlichen die Möglichkeit, mobil und unabhängig zu sein. Wenn etwa Jugendliche auf dem Land abends nach einer Jugendbeiratssitzung nicht eigenständig nach Hause kommen, ist das ein Hindernis für gesellschaftliche Teilhabe. Auch der Schulweg, Freizeitgestaltung und soziale Kontakte hängen von funktionierender Infrastruktur ab – gerade dort, wo Angebote ohnehin seltener sind. Eine gute Bus- und Bahnanbindung sowie sichere Fahrradwege sind für junge Menschen entscheidend, um selbstbestimmt zur Schule, zu Hobbys oder Freund:innen zu gelangen.
Junge Menschen wollen sich beteiligen und sie haben Ideen, wie sie ihre Umgebung besser gestalten können. Sie haben jedoch häufig das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Es fehlt oft an echten Beteiligungsformaten, die ihnen Mitsprache und Mitbestimmung auf Augenhöhe ermöglichen.
Es gehört zu den grundlegenden Versprechen der Politik, Kindern und Jugendlichen ein Umfeld zu schaffen, das ihnen Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. „Teilhabe bedeutet, gleichberechtigt und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können – ein unverzichtbares Recht, damit junge Menschen sich frei entfalten können“, sagt Johanna Okroi von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Um Veränderungen anzustoßen, formuliert das Forschungsteam im Teilhabeatlas konkrete Handlungsempfehlungen – insbesondere in den Bereichen Bildung, Freizeit, Selbstbestimmung und Beteiligung.
Quelle: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) vom 12.05.2025
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