Jugendpolitik
Studie zu Jugendlandtagen unterstreicht Notwendigkeit der politischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Landesebene
![Zwei Jugendliche liegen lächelnd im Gras Zwei Jugendliche liegen lächelnd im Gras](/fileadmin/_processed_/3/6/csm_Fotolia_85087938_Subscription_XL_7e97f1ed00.jpg)
Das Deutsche Kinderhilfswerk plädiert für einen Ausbau der politischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Landesebene. Dazu hat die Kinderrechtsorganisation jetzt die Broschüre "Jugendlandtage in den Bundesländern – Zwischen Dialog, Beteiligung, politischer Bildung und Nachwuchsförderung" veröffentlicht.
09.05.2017
Viele Bundesländer verfügen über Dialog- und Beteiligungsformate der Kinder- und Jugendbeteiligung im Rahmen der Landespolitik. Die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit dieser Formate ist allerdings bislang wenig untersucht worden. Dies war für das Deutsche Kinderhilfswerk Anlass eine Analyse dieses Angebotes an Kinder und Jugendliche in fünf Bundesländern vorzunehmen.
Die Studie legt dar, welche Erwartungen die jeweiligen Veranstalter mit diesem Bildungs- und Beteiligungsformat verbinden, in welcher Weise es den beteiligten Jugendlichen ermöglicht wird, eine eigene politische Agenda zu entwickeln und auf welche Weise es zu einem Dialog mit den Abgeordneten kommt. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei die Perspektive der teilnehmenden Jugendlichen selbst ein.
Jugendlandtage als gut funktionierendes Format der aktivierenden politischen Bildung
Zu den zentralen Ergebnissen der jetzt veröffentlichen Studie im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes zählt, dass Jugendlandtage ein gut funktionierendes Format der aktivierenden politischen Bildung sein können und als verlässliches Instrument der Kinder- und Jugendbeteiligung an der Landespolitik ausgebaut werden sollten. Dabei sollte sichergestellt sein, dass die wachsende Vielfalt jugendlicher Lebenswelten sich auch in der Teilnehmerschaft der Jugendlandtage widerspiegelt.
Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Sozialmilieus
Zugleich kommt die Studie zu dem Schluss, dass Jugendlandtage nur eine Chance als anspruchsvolle und wirksame Form der Kinder- und Jugendbeteiligung haben, wenn sie nicht nur der politischen Nachwuchsförderung dienen sondern über einen guten partizipativen "Unterbau" verfügen, der Engagement und Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Sozialmilieus ermöglicht. Dies kann entweder durch vorbereitende Regionalkonferenzen und über entsprechende Internetangebote, nachhaltiger jedoch über dauerhafte Vernetzungen zwischen lokalen und regionalen Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung sichergestellt werden.
Bildungsbarrieren in der politischen Partizipation reduzieren
"Wenn Jugendlandtage primär als Nachwuchsförderung organisiert werden, wirft das aus demokratiepolitischer Perspektive gravierende Probleme auf. Hier droht ein elitär verkürztes Demokratie- und Parlamentsverständnis, demokratische Beteiligung wird etwas für die bereits politisch Aktiven. Damit besteht die Gefahr, eine ohnehin starke Tendenz in Richtung Ungleichheit in der politischen Beteiligung insgesamt, aber auch in der Beteiligung an Wahlen, in Parteien und Parlamenten zu bestätigen und perspektivisch zu verstärken. Besonders Beteiligungsangebote an junge Menschen müssen sich daran messen lassen, ob sie dazu beitragen, soziale und Bildungsbarrieren in der politischen Partizipation zu reduzieren. Jugendlandtage, die sich vorwiegend oder ausschließlich an bereits politisch aktive Jugendliche wenden, ignorieren diese Herausforderung", sagt der Co-Autor der Studie, Prof. Dr. Roland Roth von der Hochschule Magdeburg-Stendal.
"Unsere Beobachtungen und Gespräche verweisen auf ein strukturell bedingtes Unbehagen bei vielen der beteiligten Jugendlichen, das sich aus der Verknüpfung von Formaten der politischen Bildung wie Planspielen mit dem Versprechen einer wirksamen politischen Jugendbeteiligung auf Landesebene ergibt. Zentrales Motiv für die Beteiligung ist für die Jugendlichen überwiegend nicht das Kennenlernen parlamentarischer Abläufe, sondern die Aussicht, eine eigene Agenda und gemeinsame politische Forderungen zu entwickeln, die dann im parlamentarischen Prozess aufgegriffen und nach Möglichkeit umgesetzt werden", erklärt Udo Wenzl, Co-Autor der Studie und ehemaliger Referent für Jugendbeteiligung beim Landesjugendring Baden-Württemberg.
Wirksamkeit von politischen Forderungen der Jugendlichen
Die Autoren schlagen vor, "dass sich die zuständigen Gremien in den Landtagen mit den von den Jugendlichen entwickelten Forderungskatalogen ernsthaft auseinandersetzen, sie nach Möglichkeit selbst hören, sich um plausible Gründe bei Nichtberücksichtigung und um eine zeitnahe Umsetzung bemühen. Die Legitimation, Akzeptanz und Überzeugungskraft von dialogorientierten Beteiligungsangeboten wie Jugendlandtagen hängt auch davon ab, dass von ihnen Wirkungen ausgehen. Auch wenn sie nicht entscheiden können, sondern Parlamente und Regierungen, legen die beteiligten Jugendlichen großen Wert darauf, dass es zumindest einige ihrer Vorschläge auf die Agenda des Parlaments schaffen und dort auch die Chance haben, umgesetzt zu werden. Die langen Bilanzlisten auf den Webseiten der Jugendparlamente sprechen eine klare Sprache."
Übersicht zu Formaten der Beteiligung und des Dialogs in den einzelnen Ländern
"Jugendlandtage sind Bildungs- und Dialogformate, bei denen Jugendliche eines Bundeslandes die Möglichkeit erhalten, den parlamentarischen Alltag kennen zu lernen und darüber hinaus – zumindest in einigen Bundesländern – ihre Themen und Anliegen, sowie ihre Sicht auf das Bundesland und dessen künftige Entwicklung den gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern darzulegen und mit ihnen darüber zu debattieren. Bisher fehlte ein Gesamtüberblick über die einzelnen, durchaus unterschiedlichen Länderformate und Parlamentsangebote. Die jetzt im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes vorgelegte Studie möchte dazu beitragen, diese Lücke zu verkleinern. Sie soll Länderparlamenten und Landesjugendvertretungen, aber auch allen, die sich für Kinder- und Jugendbeteiligung einsetzen, Anregungen geben, indem sie über die Gestaltung und Resonanz von Jugenddialog-Formaten sowie über alternative Möglichkeiten auf Landesebene informiert", betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Hintergrundinformationen zur Studie
Für die Studie haben Roland Roth und Udo Wenzl und ihr Forschungsteam die Jugendlandtage von Baden-Württemberg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eingehend begleitet sowie Interviews mit beteiligten Jugendlichen, Mitgliedern der Landtage und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Parlamentsverwaltungen geführt. Jugendparlamente werden zudem in Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt angeboten. Diese waren nicht Gegenstand eingehender Analysen. Da sich aber aus den zugänglichen Informationen über diese Jugendlandtage kein grundsätzlich anderes Bild ergibt, dürften die Ergebnisse der Studie insgesamt eine hohe Plausibilität beanspruchen können.
Download
Die Studie "Jugendlandtage in den Bundesländern – Zwischen Dialog, Beteiligung, politischer Bildung und Nachwuchsförderung" steht unter www.dkhw.de/jugendlandtage zum Download bereit.
Quelle: Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Termine zum Thema
-
24.07.2024
Kinderstädte - Beteiligung erlebe, ausprobieren, verstehen
-
03.09.2024
Demokratie lernen durch Demokratie machen. Kinder- und Jugendparlamente als Praxis- und Bildungszentren der Demokratie
-
04.09.2024
Lebensweltorientierung – Sicher durch jugendkulturelle Bewegungen navigieren
-
18.09.2024
2. Fachtag Kinder- und Jugendhilfe. In gemeinsamer Verantwortung Zukunft gestalten
-
27.09.2024
BundesNetzwerktreffen Kinder- und Jugenbeteiligung 2024
Materialien zum Thema
-
Stellungnahme / Diskussionspapier
Stellungnahmen und Positionspapiere zum Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe - Zusammenstellung
-
Webangebot / -portal
Informationen zum Thema "Einrichtungsaufsicht"
-
Studie
Demokratiebildungsprozesse bei Kindern im Übergang von der Kita in die Grundschule.
-
Studie
Explorative Studie: Kinderrechtebasierte Demokratiebildung im außerunterrichtlichen Ganztag. Ergebnisse einer bundesweiten quantitativen Befragung pädagogischer Fachkräfte im Hort und Ganztag im Primarbereich
-
Broschüre
Kinder- und Jugendhilfe in der Krise – Zur Frage der Rechtmäßigkeit pauschaler Standardabsenkung bei (vorläufiger) Inobhutnahme und Hilfegewährung für geflüchtete unbegleitete Minderjährige
Projekte zum Thema
-
Perspektive gGmbH Institut für sozialpädagogische Praxisforschung und -entwicklung
Inobhutnahme – Perspektiven: Impulse!
-
Kinderschutz und Kinderrechte in der digitalen Welt
-
Stadtjugendring Leipzig e.V.
leipzig-wählt.de
-
Unser Europa, unsere Zukunft
-
Fussverkehr Schweiz
Bewegen, begegnen, beleben in Quartieren von Bern und Zürich
Institutionen zum Thema
-
Fort-/Weiterbildungsanbieter
medien.rlp – Institut für Medien und Pädagogik e.V.
-
Oberste Landesjugendbehörde
Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstsein
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
faX Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend für Stadt und Landkreis Kassel
-
Oberste Landesjugendbehörde
Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung
-
Sonstige
ZAnK – Zentrale Anlaufstelle für grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte und Mediation