Straffälligenhilfe
Schritt für Schritt zurück in den Alltag – Erasmus+-Projekt NEXT STEPS
Das Erasmus+-Projekt NEXT STEPS unterstützt Inhaftierte in europäischen Haftanstalten bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Auch wenn es bereits eine Vielzahl guter Ansätze zur Reintegration von straffällig gewordenen Jugendlichen gibt, ist die Rückfallquote nach wie vor hoch. Diesen Teufelskreis will das Projekt NEXT STEPS durchbrechen und dabei zugleich einen arbeitsmarktrelevanten Beitrag leisten.
18.04.2023
Die noch bis zum Herbst 2023 laufende Partnerschaft knüpft an das Projekt STEPS an, dessen Ziel es war, über Sportangebote die Fähigkeiten jugendlicher Inhaftierter in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg (JVAHeinsberg) zu stärken.
Peter Dohmen, Projektleiter beim Westdeutschen Handwerkskammertag (WHKT), der Dachorganisation der nordrhein-westfälischen Handwerkskammern sagt:
„Mit NEXT STEPS gehen wir nun einen Schritt weiter. (...) Ausgehend von den Erfahrungen, die wir im Vorläuferprojekt gemacht haben, wollen wir gemeinsam mit Partnern aus Österreich, Portugal und Italien versuchen, die Wirtschaft stärker einzubinden und den Jugendlichen konkrete Arbeitsmöglichkeiten zu vermitteln. Im Handwerk gibt es den Spruch ,Uns interessiert nicht, wo jemand herkommt, sondern wo jemand hin will.´ Ich denke, dass das auch für ehemalige Inhaftierte zutreffen sollte.“
Eine Aussage, die die Grundidee des Projekts auf den Punkt bringt. Vor dem Hintergrund des Azubi- und Fachkräftemangels im Handwerk geht es den Macher:innen von NEXT STEPS vor allem darum, die Kompetenzen der jugendlichen Strafgefangenen und deren Bedeutung für ihren beruflichen Werdegang aufzuzeigen.
Sport für intelektuelles Verständnis und soziale Kompetenz
Eine wichtige Rolle spielt dabei nach wie vor der Sport. So geht das Team des BSV Wassenberg seit sechs Jahren einmal im Monat in die JVA, um dort mit einer Gruppe ausgewählter Inhaftierter den Baseball-Sport zu praktizieren. Trainerin Alexandra Nowack-Dittmer hat festgestellt, dass der komplexe Sport zum einen hohe Anforderungen an das intellektuelle Verständnis der Gefangenen stellt, zum anderen aber als Mannschaftssport auch dazu dient, soziale Kompetenzen einzuüben und weiterzuentwickeln.
Begegnung auf Augenhöhe
Nowack-Dittmer erinnert sich, dass sie anfangs „schon ein mulmiges Gefühl“ hatte, wenn es zum Training in die JVA ging. Bald jedoch habe sie gemerkt, dass sie mit viel Respekt behandelt werde und für die Stunden hinter den Mauern der Justizvollzugsanstalt einfach „die Trainerin“ sei. Ihr ist es wichtig, den Inhaftierten auf Augenhöhe zu begegnen, denn so ließen sich auch eventuell auftretende Konflikte lösen. Die Arbeit mit den jugendlichen Strafgefangenen jedenfalls habe die Bilder in ihrem Kopf verändert. Mittlerweile freue sie sich regelrecht darauf „weil die Jungs einem durch die Art und Weise, wie sie trainieren, sehr viel zurückgeben“.
Solche Sätze hört Leif Herfs gerne. Er ist Sportbeamter in der JVA Heinsberg und sagt: „Was wir hier zuhauf haben, ist Normalität und Eintönigkeit. Mit Angeboten wie dem Baseball-Training können wir dies durchbrechen, deshalb ist die Nachfrage bei den Gefangenen hoch. Wir müssen sogar eine Warteliste führen, weil wir ihr ansonsten gar nicht gerecht werden könnten.“
Als Sportbeamter schlüpft Herfs seit 17 Jahren Tag für Tag in unterschiedliche Rollen – mal ist er Psychologe, mal Sozialarbeiter, mal einfach nur Ratgeber oder „eine Art Freund“ für die Inhaftierten. Das liegt auch daran, dass er keine Uniform trägt und somit ganz anders wahrgenommen wird als andere Vollzugsbeamte. Von Beginn an jedoch ist er auch dafür verantwortlich, die sportlichen Leistungen der Strafgefangenen über sogenannte „Sportnoten“ zu bewerten. Diese erscheinen auf den Zeugnissen der Jugendlichen, die in der JVA Berufsschulunterricht haben, wobei auch Verhaltensaspekte wie Geduld, Durchhaltevermögen, Kommunikationsfähigkeit und ein respektvoller Umgang, aber auch die Team- und Kooperationsfähigkeit direkten Einfluss auf die Notenvergabe haben.
Kompetenzen für den beruflichen Einstieg
Ein Baustein von NEXT STEPS ist – neben dem Aufbau einer Freiwilligendatenbank und der Optimierung von Prozessketten – die Erarbeitung von Beobachtungsbögen, die Leif Herfs bei seiner Arbeit entlasten. Erarbeitet werden diese in Zusammenarbeit mit dem Recruitingunternehmen TALENTBRÜCKE aus Köln, dessen Geschäftsführer Thomas Beck betont: „Die Bögen helfen, um Kompetenzen zu erfassen, die nicht nur für den Sport wichtig sind, sondern auch in der Berufswelt, und zwar in allen Bereichen. So werden die jugendlichen Inhaftierten dafür sensibilisiert, welche Eigenschaften sie brauchen, um den Schritt in die reale Berufswelt zu schaffen.“
Für Peter Dohmen ist das aus Sicht des Handwerks ein enormer Mehrwert des Projekts. Er unterstreicht: „Wir sehen die Kooperation mit der JVA Heinsberg als eine große Chance, Fachkräfte für das Handwerk zu gewinnen, sei es mit einer beruflichen Ausbildung, die von der JVA angeboten wird, oder im Bereich der beruflichen Grundbildung.“ Als Beispiel nennt er einen Dachdeckerbetrieb aus dem Ruhrgebiet, der im WHTK angerufen habe und sich vorstellen könne, jemanden aus der JVA einzustellen. „Wir sind gerade dabei, beide Parteien zusammenzubringen“, so Dohmen. „Wenn der junge Mann demnächst entlassen wird, hat er die Perspektive, in dem Betrieb eine berufliche Ausbildung zum Dachdecker zu absolvieren und dann auch dort zu arbeiten.“
NEXT STEPS ist Vorzeigeprojekt – über nationale Grenzen hinaus
All dies macht NEXT STEPS zu einem Vorzeigeprojekt, sowohl für andere JVAs in Deutschland als auch im europäischen Kontext. Dazu noch einmal Dohmen:
„Die Standards, die wir hier in der JVA Heinsberg erarbeiten und erproben, sind auch für unsere Partner auf EU-Ebene sehr interessant. Es ist uns erstmals gelungen, einen Austausch verschiedener europäischer Haftanstalten zu etablieren und neue Netzwerke zu schaffen. Ich glaube, dass wir mit der Kooperation von Justizvollzugsanstalt, Handwerk und Sport auf europäischer Ebene eine besondere Form der Zusammenarbeit gefunden haben, die vielleicht gerade wegen ihrer eher außergewöhnlichen Konstellation viele Potenziale für alle Beteiligten birgt. Diese gilt es in Zukunft gemeinsam umzusetzen.“
Die NaBibb bietet für weitere Informationen auch eine Podcast zum Projekt NEXT STEPS an.
Informationen zu Erasmus+ und dem Thema Inklusion
Das Programm Erasmus+ unterstützt die europäische Zusammenarbeit in der Erwachsenenbildung. Informationen über Möglichkeiten der Erasmus+-Partnerschaften sind online zu finden. Darüber hinaus fördert Erasmus+ auch Auslandsaufenthalte in der Erwachsenenbildung. Mehr dazu ist auf der Website der NaBiBB zu finden.unter
Informationen zum Thema Inklusion in Erasmus+ finden Sie auf der Themenseite: Erasmus+: Inklusion.
Quelle: Nationale Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NaBiBB) vom März 2023
Termine zum Thema
-
13.12.2024
Inklusion in der Jugendhilfe - Zum Stand der SGB VIII Reform
-
02.04.2025
Weiterbildung Sexualpädagogik & sexuelle Bildung mit inklusiver Perspektive
-
07.05.2025
6. Bundeskongress der Jugendhilfe im Strafverfahren und der Ambulanten Sozialpädagogischen Angebote für straffällig gewordene junge Menschen
Materialien zum Thema
-
Webangebot / -portal
Schutz vor Gewalt im Sport
-
Artikel / Aufsatz
Strukturmodelle inklusiver Jugendhilfe – von den Familien her gedacht
-
Artikel / Aufsatz
Das inklusive Kinder- und Jugendhilferecht ins Leben bringen
-
Broschüre
Safe Sport – Orientierungshilfe für rechtliche Fragen zum Schutz bei Gewalt
-
Artikel / Aufsatz
„Was auf die Ohren?! – Kreativ und kritisch mit Hörmedien in der Medienpädagogik“
Projekte zum Thema
-
Landesjugendring Berlin e.V.
Zusammen SEIN – Inklusion in Berliner Jugendverbänden
-
Bundesverband Produktionsschulen e.V.
BVPS-Upcycling-Wettbewerb
-
41Campus gGmbH
SEI DABEI – Werde GameChanger – Neue Runde startet
-
Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg e. V.
Fugees-Akademie
-
Inklusion jetzt! Entwicklung von Konzepten für die Praxis
Institutionen zum Thema
-
Verband / Interessenvertretung
Kinder- und Jugendinteressenvertretung Hessen
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
young connections Chemnitz e.V.
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
miteinanderleben e.V.
-
Fort-/Weiterbildungsanbieter
Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen
-
Fort-/Weiterbildungsanbieter
Gesellschaft für Interkulturelles Zusammenleben (gGmbH)