Unsichtbare Steuer
Save the Children warnt in neuem Bericht vor wirtschaftlichen Folgen von Kinderarmut in Europa
Save the Children warnt vor den langfristigen wirtschaftlichen Schäden durch Kinderarmut in Europa. Trotz des Ziels, Kinderarmut bis 2030 zu reduzieren, steigt die Zahl der betroffenen Kinder. Investitionen in Kinder sind laut dem Bericht wirtschaftlich sinnvoll, da sie Armutskreisläufe durchbrechen und langfristig das Wirtschaftswachstum fördern können.
03.11.2025
Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der in Armut lebenden Kinder bis 2030 um mindestens fünf Millionen zu reduzieren. Doch stattdessen kamen seit 2019 insgesamt 446.000 Kinder hinzu. EU-weit sind inzwischen 19,5 Millionen Kinder von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht - fast jedes vierte Kind. Diese Versäumnisse bei der Bekämpfung von Kinderarmut werden Europa teuer zu stehen kommen, warnt Save the Children in einem neuen Bericht. Dagegen seien Investitionen in Kinder „die klügste wirtschaftliche Entscheidung“.
„Jeder Euro, der für Kinder eingesetzt wird, zahlt sich doppelt und dreifach aus - zum einen, weil Kinder im Hier und Jetzt besser aufwachsen, was ihr gutes Recht ist. Zum anderen, weil sie als Erwachsene besser leben werden. Ein Kind, das in Armut aufwächst, ist mit höherer Wahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter von Sozialleistungen abhängig, mit gesundheitlichen Problemen belastet und weniger produktiv. Das bedeutet: Kinderarmut ist nicht nur eine soziale Ungerechtigkeit, sondern auf lange Sicht auch eine Wachstumsbremse. Europa muss Maßnahmen gegen Kinderarmut zur Priorität machen. Nur so kann Chancengerechtigkeit und Wohlstand für alle erreicht werden“,
betont Eric Großhaus, Experte für Kinderarmut bei Save the Children Deutschland.
Der Bericht zeigt: Kinderarmut wirkt wie eine „unsichtbare Steuer“ auf Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Sie erhöht den Druck auf Sozial-, Wohnungs- und Justizsysteme. In Armut aufwachsende Kinder sind weniger gesund, schließen seltener die Schule ab und finden seltener einen Arbeitsplatz – all dies kann zu einem Kreislauf der Armut führen, der sich über Generationen fortsetzt. Hinzu kommt, dass das Lebenseinkommen für Menschen, die in Armut aufgewachsen sind, um 20 Prozent niedriger ist. Die jährliche wirtschaftliche Belastung durch Kinderarmut wird in den OECD-Ländern auf 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geschätzt.
Dagegen können zielgerichtete Investitionen den Kreislauf der Armut durchbrechen, wie Berechnungen zeigen. Das schwedische Programm für Schulmahlzeiten führt zu einer Steigerung des Lebenseinkommens heutiger Schulkinder um drei Prozent. Laut einer US-Studie bringt jeder Dollar, der in frühkindliche Bildung fließt, das 17-fache an Rendite.
Während sich die Ursachen für Kinderarmut in den europäischen Ländern ähneln, sind die sozialpolitischen Maßnahmen sehr unterschiedlich. Aber fast überall fehlt es an verbindlichen Zielen und einer ganzheitlichen Strategie, auch in Deutschland, wo jedes fünfte Kind von Armut betroffen ist. Ein Gegenbeispiel ist Irland, wo ein beim Ministerpräsidenten angesiedeltes Büro die Maßnahmen der Regierung gegen Kinderarmut koordiniert. Irland konnte die Kinderarmutsquote von 25 Prozent im Jahr 2019 auf 20,6 Prozent im Jahr 2024 senken.
Die gesammelten Erfahrungen zeigen: Um Kinderarmut zu bekämpfen, braucht es ein Gesamtkonzept aus Einkommensunterstützung, sozialen Angeboten, die Förderung von Beschäftigung und bezahlbarem Wohnraum, die Beteiligung von Kindern und nicht zuletzt eine ausreichende Finanzierung.
„Was jetzt zählt, ist Entschlossenheit. Kinderarmut ist nicht naturgegeben, sondern eine Folge politischer Entscheidungen. Und Sozialausgaben sind keine Almosen, sondern sinnvolle Investitionen. Es wird Zeit, dies anzuerkennen und zu handeln. Maßnahmen gegen Kinderarmut liegen auf dem Tisch: eine verlässliche soziale und Bildungs-Infrastruktur und ein Sozialsystem, das die Teilhabe aller Kinder sicherstellt. Deutschland als größte Volkswirtschaft in der EU könnte mit gutem Beispiel vorangehen, doch die Bundesregierung hat bislang kein überzeugendes Konzept vorgelegt. Kinder können nicht warten. Verpasste Chancen lassen sich nicht nachholen“,
sagt Eric Großhaus.
Forderungen von Save the Children
Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen Kinderarmut als strategische Priorität behandeln.
Die Europäische Kindergarantie muss gestärkt und durch die EU mit mindestens 20 Milliarden Euro ausgestattet werden.
Nationale Aktionspläne zur Bekämpfung von Kinderarmut brauchen klare Ziele, verbindliche Budgets und Monitoring.
Kinder und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen aktiv in die Gestaltung und Umsetzung von Maßnahmen eingebunden werden.
Deutschland muss eine ambitionierte Gesamtstrategie gegen Kinderarmut entwickeln und umsetzen. Dazu gehören sowohl Investitionen in Bildung und die soziale Infrastruktur als auch eine Stärkung des Nationalen Aktionsplans „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ und kindzentrierte Reformen von Sozialleistungen mit dem Ziel einer Kindergrundsicherung, die Leistungen bündelt und die Teilhabe von Kindern verbessert.
Quelle: Save the Children vom 14.10.2025
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