junge Wähler*innen
Rückhalt für die Demokratie


Trotz der Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien hat die Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland eine demokratische Grundüberzeugung, auch wenn sie das Funktionieren der Demokratie mitunter kritisch bewertet. Das zeigen aktuelle Analysen des Deutschen Jugendinstitut (DJI) von verschiedenen Befragungen.
10.04.2025
Rechtspopulistische Parteien feierten in den letzten Jahren in vielen europäischen Ländern Wahlerfolge und gewinnen zunehmend an Einfluss – auch in Deutschland. Viele Menschen sorgen sich deshalb um die Zukunft der Demokratie. Dabei ist der Rückhalt der Demokratie in Deutschland und den meisten europäischen Ländern hoch und zwischen 2012 und 2020 sogar gewachsen. Das trifft auch auf die Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen zu, wie aktuelle Auswertungen der Daten des European Social Surveys (ESS) durch Wissenschaftler*innen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) belegen.
Den ESS-Analysen zufolge erhielt die Aussage „Es ist wichtig für mich, in einem Land zu leben, das demokratisch regiert wird“ mit Mittelwerten über neun auf einer zehnstufigen Skala unter allen Befragten sehr hohe Zustimmung. Im europäischen Vergleich ist in Deutschland die Befürwortung der Demokratie als wünschenswerte Staatsform sogar besonders stark ausgeprägt, auch unter Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren, schreiben Wissenschaftler*innen der „Arbeitsstelle europäische Jugendpolitik“ am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in dem im Januar 2025 veröffentlichten Infosheet „Jugend und Demokratie“. „Diese Befunde sprechen gegen ein Schwinden der demokratischen Orientierung und weisen darauf hin, dass das Bewusstsein junger Menschen dafür gewachsen ist, die Demokratie schützen zu müssen“, sagt Andreas Rottach, der zusammen mit Svenja Wielath, Dr. Frederike Hofmann-van de Poll und Marit Pelzer das Infosheet verfasst hat.
Der ESS ist eine repräsentative Befragung in Deutschland und weiteren europäischen Ländern, die seit dem Jahr 2002 alle zwei Jahre Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensmuster von Menschen ab 16 Jahren erfasst. Die für das Infosheet vorgenommenen Analysen vergleichen im Zeitraum von 2002 bis 2023 die Antworten der 16- bis 30-Jährigen in Deutschland mit denen ihrer Altersgenoss*innen in Europa sowie mit den Antworten von über 30-Jährigen. „Da die Einstellung gegenüber der Demokratie im Jahr 2023 nicht untersucht wurde, können erst kommende Erhebungen zeigen, ob uneingeschränkte Zustimmung zur Demokratie unter jungen Menschen und insgesamt auch heute noch so ausgeprägt ist“, schreiben die Autor*innen des Infosheets. „Grundlegende Einstellungen verändern sich aber in der Regel nicht so schnell“, erklärt Rottach.
Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie führt nicht gleich zur Abkehr
Den Analysen des ESS zufolge wird das Funktionieren der Demokratie im jeweiligen Land von jungen Menschen in Deutschland und im europäischen Durchschnitt allerdings über den gesamten Erhebungszeitraum zwischen den Jahren 2002 und 2023 deutlich kritischer bewertet: Die Mittelwerte liegen im gesamten Zeitraum knapp über dem Skalenmittel von fünf mit leicht steigender Tendenz. In Anteilswerten ausgedrückt äußerte sich im Jahr 2023 über ein Drittel aller befragten Europäer*innen (24 Länder inklusive Deutschland) aller Altersgruppen (eher) unzufrieden mit dem politischen System und seiner Fähigkeit, Antworten auf die großen Herausforderungen zu finden. In Deutschland ist die Zufriedenheit zwar etwas größer, aber ebenfalls auf einem niedrigen Niveau. Allerdings zeigen die Daten auch, dass die Unterstützung der Demokratie gar nicht so sehr von der Zufriedenheit mit ihrer Funktionsfähigkeit abhängt – ein weiterer Aspekt, der den Soziologen Rottach und seine Mitautor*innen optimistisch stimmt: „Menschen wenden sich nicht gleich von der Demokratie ab, wenn sie Probleme wahrnehmen.“ Dennoch sei es wichtig, dass Themen und Herausforderungen, die diese Unzufriedenheit hervorrufen, in Politik und pädagogischer Praxis aufgegriffen werden, schreiben die Wissenschaftler*innen im Hinblick auf Maßnahmen der Demokratieförderung im Infosheet.
Das politische Interesse junger Menschen in Deutschland ist größer als im europäischen Durchschnitt – und wächst
Als wichtige Voraussetzung für das Entwickeln demokratiefreundlicher Einstellungen gilt das politische Interesse junger Menschen. Hier zeichnen die Daten des ESS ebenfalls ein positives Bild: Denn der Anteil der 16- bis 30-Jährigen in Deutschland mit politischem Interesse hat im Zeitraum von 2010 bis 2023 zugenommen und ist größer als im europäischen Durchschnitt. Allerdings zeigen die ESS-Daten sowie auch die Befunde einer DJI-Befragung von mehr als 1.500 16- bis 27-Jährigen in Deutschland im Jahr 2023 auch, dass sich immer noch knapp ein Drittel der jungen Menschen überhaupt nicht oder wenig für Politik interessiert – mit großen Unterschieden nach Geschlecht und Bildung: So ist der Anteil der politisch Gering-Interessierten unter jungen Frauen höher als unter jungen Männern und unter Befragten mit einfacher Schulbildung höher als unter jenen am Gymnasium beziehungsweise mit Abitur.
Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sich an Politik zu beteiligen, ist eher gering
Ähnliche geschlechts- und bildungsspezifische Differenzen gibt es bei der politischen Selbstwirksamkeitserwartung, die als Voraussetzung für jegliche Auseinandersetzung mit Politik gilt. Zudem beeinflusst sie die Wahrscheinlichkeit junger Menschen, sich sozial und politisch zu engagieren. Diese subjektive Einschätzung der politischen Kompetenz und der Fähigkeit, diese im politischen Prozess einzubringen, ist der DJI-Befragung zufolge bei jungen Männern höher als bei jungen Frauen sowie bei Befragten mit hohem (formalem) Bildungsabschluss höher als bei Befragten mit mittlerem und einfachem Bildungsabschluss. Die Auswertungen der ESS-Daten zeigen außerdem: Junge (und ältere) Menschen in Deutschland schätzen ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sich an Politik zu beteiligen, im europäischen Vergleich zwar relativ hoch ein, doch es ist im Jahr 2023 mit einem Mittelwert von 2,7 auf einer sechsstufigen Skala – und damit knapp unter dem Skalenmittel – eher gering.
Wahlbeteiligung und weitere Formen der Partizipation nehmen zu
Auch die politische Partizipation junger Menschen bewegt sich insgesamt auf niedrigem Niveau. In Deutschland ist immerhin die Wahlbeteiligung der 18- bis 24-Jährigen im Jahr 2021 leicht gestiegen, das geht aus der amtlichen Wahlstatistik hervor. Die Auswertungen der Daten zur Wahlbeteiligung – etwa differenziert nach Altersgruppen – für die Bundestagswahl 2025 liegen allerdings noch nicht vor. Auch weitere Formen der Partizipation, wie beispielsweise der politisch motivierte Boykott von Waren, ehrenamtliches Engagement, politische Aktivitäten auf Social Media Plattformen sowie die Beteiligung an Demonstrationen, haben den ESS-Daten zufolge bei der Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen seit dem Jahr 2004 – mit Schwankungen – zugenommen.
Junge Menschen brauchen Erfahrungen der politischen Selbstwirksamkeit
Vor dem Hintergrund ihrer Analysen empfehlen die Wissenschaftler*innen der „Arbeitsstelle europäische Jugendpolitik“, jungen Menschen gezielt Erfahrungen der politischen Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Denn politische Selbstwirksamkeit und politisches Interesse seien Schlüsselfaktoren für demokratisches Handeln. Und politische Partizipation gehe wiederum mit einer positiven demokratischen Grundhaltung einher.
Die Wissenschaftler*innen halten es für besonders wichtig, bereits in der frühen Jugendphase mit Maßnahmen der Demokratieförderung anzusetzen. Denn Sekundäranalysen nationaler und internationaler Daten würden zeigen, dass demokratiegefährdende Einstellungen mit dem Alter zunehmen und sich verfestigen. Dies gelte für die Zustimmung zu einer autoritären Regierungsführung ebenso wie für die Überzeugung, dass geheime Gruppen die Politik beeinflussen. „Sowohl für Autoritarismus als auch für Verschwörungsgläubigkeit liegen die Mittelwerte bei den jungen Menschen signifikant unter denen der Älteren“, sagt Andreas Rottach. Ein analoger Befund zeige sich bei Homophobie als Facette menschenfeindlicher Einstellungen, die im Kontext der Demokratieverbundenheit zu berücksichtigen sei.
Für Maßnahmen der politischen Bildung und der Demokratieförderung empfehlen Andreas Rottach und seine Mitautor*innen nicht zuletzt, unterschiedliche Bildungsstände, Geschlechterunterschiede und regionale Herausforderungen zu berücksichtigen, damit sich auch junge Frauen, jungen Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad und solche aus schwierigeren sozialen Lagen stärker als bisher angesprochen fühlen.
Weitere Informationen
Quelle: Deutsches Jugendinstitut (DJI) vom 25.03.2025
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