10. Familienbericht

Ökonomische Eigenständigkeit von Alleinerziehenden fördern

Die Kommission des Zehnten Familienberichts, in der DJI-Familienökonomin Christina Boll mitarbeitete, zeigt auf, wie allein- und getrennterziehende Eltern und ihre Kinder bestmöglich unterstützt werden können. Dabei greift der Familienbericht auf verschiedene Datensätze zurück und gibt Handlungsempfehlungen.

03.02.2025

In jeder fünften Familie in Deutschland erziehen Eltern ihre Kinder allein oder getrennt. Dies entspricht etwa 1,7 Millionen Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren. Der Großteil der Alleinerziehenden sind Mütter, aber der Anteil der Väter wächst und lag im Jahr 2023 bei 18 Prozent. Alleinerziehende Mütter sind besonders oft von Armut bedroht. Das zeigt der Zehnte Familienbericht, der von einer unabhängigen Sachverständigenkommission unter Mitarbeit von DJI-Familienökonomin PD Dr. Christina Boll erstellt und heute von Bundesfamilienministerin Lisa Paus dem Kabinett vorgelegt wurde.

Obwohl Alleinerziehende überwiegend erwerbstätig sind, sind viele auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen. Zentrale Weichen werden häufig bereits mit der Familiengründung gestellt: Viele Mütter gehen durch die Fokussierung auf Sorgearbeit und Ausstieg oder Reduzierung ihrer Erwerbsarbeit hohe finanzielle Risiken ein. Entsprechend ist das Armutsrisiko von Alleinlebenden mit Kindern etwa drei Mal höher als das von Elternteilen in Paarbeziehungen. 

Lisa Paus, Bundesfamilienministerin

„Ich danke der Familienberichtskommission unter Leitung von Prof. Michaela Kreyenfeld für ihre hervorragende Arbeit. Der Familienbericht zeigt auf, wie es allein- und getrennterziehenden Familien in Deutschland geht. So macht der Bericht deutlich, dass gerade für Alleinerziehende das Armutsrisiko hoch ist. Daher ist es gut, dass die Bundesregierung die Leistungen für Familien massiv ausgeweitet hat. Kaum eine Bundesregierung hat so viel Geld für Familien bereitgestellt wie diese. Das zeigt sich auch in der größten Kindergelderhöhung seit 1996, von der insbesondere auch Alleinerziehende profitieren.

Der Kinderzuschlag unterstützt Alleinerziehende und Familien mit kleinen Einkommen. Seit 2021 wurde er mehrfach erhöht von maximal 205 Euro auf aktuell maximal 297 Euro pro Monat und Kind. Wir haben das Kindergeld deutlich aufgestockt - zuletzt im Januar dieses Jahres noch einmal auf 255 Euro im Monat. Ich halte nach wie vor eine gezielte Unterstützung für Alleinerziehende für notwendig, etwa durch eine Steuergutschrift. Das sollte auch Ziel einer kommenden Bundesregierung sein.

Der Familienbericht zeigt auch: Gerade Alleinerziehende sind auf eine verlässliche Kinderbetreuung angewiesen, um ökonomisch eigenständig zu sein. Nur wer sich auf die Kitas verlassen kann, kann auch arbeiten gehen. Daher braucht es auch künftig Investitionen in die Kindertagesbetreuung. Mit dem Kita-Qualitätsgesetz unterstützen wir deshalb die zuständigen Länder in diesem und dem kommenden Jahr mit insgesamt vier Milliarden Euro – für eine hochwertige Betreuung und ausreichend Fachkräfte. Dies kommt gerade auch Alleinerziehenden zu Gute. Die Mittel für das KiTa-Qualitätsgesetz sollten verstetigt werden, denn das ist eine wesentliche Voraussetzung, um Bildungsstandards anzugleichen. Es ist ein wichtiges gemeinsames Ziel von Bund und Ländern gemeinsame Qualitätsstandards zu entwickeln, um die Frühkindliche Bildung zu stärken.“

Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld, Vorsitzende der Familienberichtskommission

„Die Vielfalt von Familien nach Trennung und Scheidung hat zugenommen. Auch wenn das Wechselmodell mit 5 bis 10 Prozent in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch wenig verbreitet ist, übernehmen die meisten Eltern Erziehungs-, Betreuungs- und Sorgeverantwortung. Es ist an der Zeit, Recht, Politik und Statistik an diese veränderten Bedingungen anzupassen, um mit den Lebensrealitäten von Familien Schritt zu halten und alle gut zu unterstützen. Der Familienbericht liefert hierzu wichtige Ansatzpunkte.“

PD Dr. habil. Christina Boll, kooptiertes Mitglied der Familienberichtskommission und Leiterin der Familienabteilung am Deutschen Jugendinstitut (DJI)

„Neben der Bereitstellung existenzsichernder Sozialleistungen muss es Ziel einer nachhaltigen, lebenslaufkonsistenten Familienpolitik sein, Familien Wege in die ökonomische Eigenständigkeit zu bahnen. Das geht nur, wenn sich beide Elternteile von Anfang an substanziell an der Sorge- und Erwerbsarbeit beteiligen. Die Kommission macht Vorschläge, wie Politik und Wirtschaft hierzu weitere wichtige Beiträge leisten können.“

Die Familienberichtskommission hat Handlungsempfehlungen formuliert, die auf vier zentrale Ziele hinwirken sollen:

  1. die Förderung ökonomischer Eigenständigkeit von Müttern wie Vätern,
  2. die Stärkung der gemeinsamen Elternverantwortung,
  3. die Berücksichtigung von Vulnerabilitäten und
  4. die Anerkennung sowie Förderung der Vielfalt von Familienformen.

1. Ökonomische Eigenständigkeit stärken

Familienpolitik sollte Rahmenbedingungen schaffen, die die ökonomische Eigenständigkeit beider Elternteile und insbesondere von Müttern durchgehend im Lebenslauf fördern. Dazu empfiehlt die Kommission unter anderem eine Elterngeldreform, die früh Anreize für eine egalitäre Aufteilung von Sorgearbeit in bestehenden Partnerschaften fördert. Die Kindertagesbetreuung soll weiter ausgebaut werden, sodass ein Rechtsanspruch auf institutionelle Betreuung von Kindern ab dem ersten Lebensjahr bis zum Ende der Grundschulzeit im Umfang von acht Stunden pro Werktag realisiert werden kann. Zudem spricht sich die Kommission dafür aus, Teilzeitausbildungen bekannter zu machen und fordert für Berufsrückkehrer*innen einen Anspruch auf Aus- und Weiterqualifikation sowie passgenaue Beratungsangebote an den Jobcentern. 

2. Gemeinsame Elternverantwortung fördern

Väter beteiligen sich heute stärker als früher an der Betreuung ihrer Kinder, gleichzeitig nimmt die Erwerbsbeteiligung von Müttern kontinuierlich zu. Familienrecht sollte die Vielfalt des sich verändernden Familienlebens abbilden und alle Betreuungsmodelle gleichberechtigt rechtlich regeln. Um außergerichtliche Einigungen zu fördern, sei es dringend nötig, die Ressourcen für Jugendämter und Beratungsstellen zu erhöhen. Zum verbesserten Schutz vor häuslicher Gewalt fordert die Kommission eine Reform, welche die Aussetzung von Umgangsrechten bei Gewaltverdacht erleichtert und den Opferschutz in familiengerichtlichen Verfahren priorisiert.

3. Armut bekämpfen und Vulnerabilitäten beachten

Für allein- und getrennterziehende Familien ist es besonders herausfordernd, Familie und Beruf zu vereinbaren sowie die belastende Lebenssituation nach einer Trennung zu meistern. Um Familien finanziell angemessen zu unterstützen, fordert die Kommission, die Beantragung von Unterstützungsleistungen wie Kinderzuschlag, Wohngeld und Bürgergeld zu vereinfachen und besser aufeinander abzustimmen. Darüber hinaus soll das Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen neu bestimmt werden – durch ein transparentes Verfahren, an dem Kinder und Jugendliche angemessen zu beteiligen sind. Um Familien in belastenden Lebenssituationen besser zu unterstützen, fordert die Kommission den flächendeckenden Ausbau der Frühen Hilfen.

4. Familienvielfalt anerkennen und geteilte Betreuung berücksichtigen

Die Lebenswirklichkeiten von Familien sind heute sehr vielfältig. Die Kommission empfiehlt, die Familienvielfalt adäquat zu erfassen und die Statistik und Evaluationsforschung zeitgemäß weiterzuentwickeln, um Nachtrennungsfamilien und getrennte Betreuung in den Daten darstellen zu können. 

Der Zehnte Familienbericht – Hintergrund

Die Bundesregierung ist durch den Deutschen Bundestag beauftragt, mindestens in jeder zweiten Wahlperiode einen Bericht über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Stellungnahme der Bundesregierung vorzulegen.

Mit der Erstellung des mehr als 400 Seiten umfassenden Zehnten Familienberichts wurde im Januar 2023 eine aus sieben Wissenschaftler*innen bestehende unabhängige Sachverständigenkommission beauftragt, zu der im Prozess noch zwei weitere Expertinnen hinzugezogen wurden.

Für den Bericht wertete die Kommission eine Vielzahl an Datenquellen aus. Zu den zentralen amtlichen Datenquellen gehören der Mikrozensus sowie die Zeitverwendungsstudie. Zentrale sozialwissenschaftliche Befragungsdaten liefern unter anderen die Daten des vom Deutschen Jugendinstitut durchgeführten Surveys „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A), das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), das Familiendemografische Panel (FreDA) sowie die DJI-Kinderbetreuungsstudie (KiBS).

Geschäftsstelle des Zehnten Familienberichts am DJI

Bei der redaktionellen Erstellung des Zehnten Familienberichts, der Auswertung von Daten und Recherchen sowie bei der Organisation des Arbeitsprozesses wurde die Kommission durch die Geschäftsstelle am DJI unterstützt. „Das DJI verfügt über langjährige Expertise und Forschungserfahrung im Themenfeld Trennung und Scheidung und kann mit dem DJI-Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“, kurz: AID:A, auf eine einzigartige Datengrundlage zurückgreifen, die sich zur Erforschung von Kindern, Jugendlichen und Eltern in Nachtrennungsfamilien eignet“, sagt Dr. Claudia Zerle-Elsäßer, Leiterin der Geschäftsstelle am DJI. Bei acht von insgesamt zehn Familienberichten hat das DJI die Geschäftsführung übernommen.

Weitere Informationen

Zusammenfassung zum Zehnten Familienbericht

Interview mit DJI-Familienökonomin Christina Boll

Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 15. Januar 2025 (€)

Geschäftsstelle für den Zehnten Familienbericht am DJI

Kontakt

Kooptiertes Mitglied der Kommission zur Erstellung des Zehnten Familienberichts und Leiterin der DJI-Familienabteilung
PD Dr. habil. Christina Boll
Telefon: 089 62304-255

E-Mail: boll@dji.de

Leitung der Geschäftsstelle zum Zehnten Familienbericht
Dr. Claudia Zerle-Elsäßer
Telefon: 089 62304-317

E-Mail: zerle@dji.de

Abteilung Medien und Kommunikation
Uta Hofele
Telefon: 089 62304-446

E-Mail: hofele@dji.de

Quelle: Deutsches Jugendinstitut (DJI) vom 15.01.2025

Redaktion: Zola Kappauf

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