Geschlechtsspezifische Gewalt

Lücken in der Prävention von Gewalt gegen Frauen schließen

Bei einer Fachtagung des Familienministeriums am 4. Juni 2025 in Berlin stellten Forschende neue Studienergebnisse zur Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt vor und wie diese weiterentwickelt werden kann.

03.07.2025

Mehr als 180.000 Mädchen und Frauen in Deutschland wurden im Jahr 2023 Opfer häuslicher Gewalt, das sind 17 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Auch andere geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten haben in diesem Zeitraum zugenommen, wie aus dem Bundeslagebild 2023 des Bundeskriminalamts (BKA) hervorgeht, etwa Sexualstraftaten (+28 Prozent) und digitale Gewalt (+130 Prozent). Obwohl bereits viele Maßnahmen zur Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt in den Kommunen umgesetzt werden, gibt es blinde Flecken und Ausbaubedarf, wie Studienergebnisse des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen (SoFFI) im International Centre for Socio-Legal Studies (SOCLES) zeigen. Die Studienautor*innen stellten die bundeweit erstmalige Analyse des Bestands an Präventionsmaßnahmen auf kommunaler Ebene sowie weitere Ergebnisse zur Wirkung von Prävention und zum Bedarf von Fachpraxis und Zivilgesellschaft am 4. Juni auf einer Fachtagung in Berlin vor. 

Die neue Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Karin Prien, begrüßte die rund 60 Teilnehmenden vor Ort sowie mehr als 500 Zuschauer:innen des Livestreams.

Ausbaubedarf besteht bei Präventionsangeboten für Jungen und junge Männer, etwa zur Reflexion von Geschlechterrollen

Die Forschenden des DJI hatten in 60 kreisfreien Städten und Landkreisen den Bestand an Präventionsangeboten in der Kinder- und Jugendhilfe, den sozialen Diensten für Erwachsene, dem Gesundheitsbereich sowie der Polizei und Justiz untersucht und dazu lokale Expert*innen befragt. Die Studienergebnisse zeigen: Während Angebote zur Stärkung von Mädchen und jungen Frauen in den meisten Kommunen etabliert sind, mangelt es an solchen für Jungen und Männer etwa zur Reflexion von Geschlechterrollen und Beziehungsvorstellungen. „Erfolgreiche Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt erfordert das Einbeziehen aller politischer Akteure auf Ebene des Bundes, der Länder und Kommunen, die Kooperation unterschiedlicher Ressorts sowie auf kommunaler Ebene passgenaue Angebote für verschiedenen Ziel- und Risikogruppen“, betonte Dr. Christoph Liel in seinem Vortrag. Der DJI-Wissenschaftler aus der DJI-Fachgruppe „Familienhilfe und Kinderschutz“ hat zusammen mit seinen Kolleginnen Dr. Stepanka Kadera und Dr. Lucia Killius sowie mit Prof. Dr. Thomas Görgen von der Deutschen Hochschule der Polizei die Bestandserhebung ausgewertet.

Gebraucht werden mehr Angebote für gewaltbetroffene Kinder und Jugendliche

Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sind der Befragung nach insbesondere junge Menschen in ambulanten und stationären Einrichtungen der Erziehungshilfen unterversorgt. „Gerade für Mädchen und junge Frauen, die aufgrund von Gewalt und anderen negativen Erfahrungen Hilfe benötigen und außerhalb ihrer Familie aufwachsen, wären Maßnahmen wichtig, die ihnen helfen, erste Beziehungen verantwortungsbewusst zu gestalten und Gewaltmuster zu durchbrechen“, erklärt Dr. Christoph Liel. Da Gleichaltrige oft die ersten sind, die Gewalt miterleben, sei es außerdem wichtig, sie anhand von sogenannten Bystander-Angeboten in die Lage zu versetzen, adäquat eingreifen zu können. Aufholbedarf gebe es auch beim Erreichen von Zielgruppen, die besonders von Gewalt betroffen sind, etwa Mädchen und Frauen mit Fluchterfahrung, mit Migrationsgeschichte sowie Frauen mit Behinderung. Nicht zuletzt sei die Gewaltprävention im digitalen Bereich noch stark ausbaufähig. Und auch für mitbetroffene Kinder und Jugendliche braucht es künftig altersgerechte Schutz- und Beratungsformate.

Täterarbeit muss weiterentwickelt und Versorgungslücken im ländlichen Raum müssen geschlossen werden

Die präsentierten Studienergebnisse weisen auch darauf hin, worauf die künftigen Entwicklungen aufbauen können: So sind Runde Tische zur Bekämpfung häuslicher Gewalt in der großen Mehrheit der untersuchten Kommunen vorhanden, die als Grundlage für sektorenübergreifende Kooperationen gelten. Auch die Arbeit mit Tätern zur Rückfallvermeidung ist in Deutschland insbesondere in Städten verbreitet. Hierbei gelte es vor allem, Versorgungslücken im ländlichen Raum zu schließen und bestehende Programme auszudifferenzieren, zum Beispiel im Hinblick auf psychische Erkrankungen, Sucht oder Sprachbarrieren.

Weitere Themen der Tagung waren unter anderem der bundesweite Stand der Prävention an Schulen, die erforderliche Weiterentwicklung der Prävention aus Sicht der Fachpraxis sowie der Forschungsstand zur Wirksamkeit unterschiedlicher Präventionsprogramme. Außerdem schilderten Vertreter*innen von Schutz- und Beratungseinrichtungen ihre Erfahrungen aus der Praxis und eine Gewaltbetroffene berichtete über ihre persönliche Geschichte. Dabei ging es auch um die Problematik der finanziellen Abhängigkeit vieler Frauen, die beim Beenden einer Gewaltbeziehung hemmen kann, weil damit ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko einher geht. Abschließend wurden die aus der Studie abgeleiteten Empfehlungen, wie Bund, Länder und Kommunen Gewaltprävention in Deutschland umfassend stärken und weiterentwickeln können, von Vertreter*innen aus Fachpraxis und Fachpolitik diskutiert.

Kurzfassung des Abschlussberichts Bedarfsanalyse zur Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt
DJI-Projektwebsite „Bedarfsanalyse zur Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt“
Bundeslagebild “Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023” des Bundeskriminalamts (BKA)

Quelle: Deutsches Jugendinstitut e.V. vom 05.06.2025

Redaktion: Sofia Sandmann