Im Gespräch – Kinder- und Jugendhilfe nach Corona
Lehren aus der Corona-Zeit: Der unschätzbare Wert menschlicher Begegnungen im Jugendaustausch
Im Interview mit Donata Di Taranto, Programmreferentin bei der Stiftung Jugendaustausch Bayern, sprechen wir über die massiven Auswirkungen der Pandemie auf den internationalen Jugendaustausch, die Herausforderungen digitaler Formate und die positiven Entwicklungen, die aus der Krise hervorgegangen sind.
25.09.2024
In unserer fünfteiligen Interviewreihe sprechen wir mit Fachkräften aus der Kinder- und Jugendhilfe, die in ihren verschiedenen Arbeitsfeldern täglich mit den Folgen der Corona-Pandemie konfrontiert sind. Es geht darum, sichtbar zu machen, wie sich Lock Downs und Social Distancing noch heute auf die tägliche Arbeit auswirken und welche Lösungsansätze es geben kann. Im negativen oder eventuell auch positiven Sinne.
Interview 4/5 – Donata Di Taranto, Programmreferentin bei der Stiftung Jugendaustausch Bayern
Die COVID-19-Pandemie stellte die internationale Jugendarbeit vor nie dagewesene Herausforderungen. Donata Di Taranto, Programmreferentin bei der Stiftung Jugendaustausch Bayern, berichtet im Interview von den Schwierigkeiten, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten, und den kreativen Lösungen, die entwickelt wurden, um Jugendlichen weiterhin interkulturelle Begegnungen zu ermöglichen. Trotz technischer Hürden und wiederauflebender Vorurteile zeigt sich jedoch auch ein Lichtblick: Die Digitalisierung hat an Akzeptanz gewonnen und könnte den Jugendaustausch zukünftig ergänzen.
Das RKI berichtet im Journal of Health Monitoring, dass die Pandemie erhebliche Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Jugendlichen hatte. Viele litten unter Isolation, fehlendem sozialen Kontakt und den Unsicherheiten der Situation, was zu einem Anstieg von Angstzuständen und Depressionen führte. Diese psychischen Belastungen spiegeln sich auch in den Herausforderungen wider, denen sich internationale Austauschprogramme stellen mussten. Die Umstellung auf digitale Plattformen bot jedoch auch neue Möglichkeiten, die Barrieren für den Zugang zu interkulturellen Erfahrungen zu senken und Jugendlichen aus verschiedenen Teilen der Welt virtuelle Begegnungen zu ermöglichen.
Di Taranto gibt Einblicke in die innovativen Ansätze und die Anpassungsfähigkeit der Jugendaustauschprogramme während der Pandemie. Sie erläutert, wie digitale Formate nicht nur als Notlösung, sondern als zukunftsweisende Ergänzung physischer Begegnungen gesehen werden können. Dieses Interview beleuchtet die langfristigen Veränderungen und zeigt auf, wie die Jugendarbeit durch die Krise resilienter und inklusiver gestaltet werden kann.
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen und Ihre Rolle während der Pandemie sowie Ihre heutige Rolle beschreiben?
Mein Name ist Donata Di Taranto. Ich bin Programmreferentin bei der Stiftung Jugendaustausch Bayern. In meiner Arbeit konzentriere ich mich vor allem auf den internationalen Jugendaustausch mit Tschechien – einer Schwerpunktregion der Stiftung. Die Stiftung wurde im Jahr 2021 von der bayerischen Staatsregierung gegründet. Ihr Ziel ist es, jedem jungen Menschen in Bayern die Teilnahme an einem Jugendaustausch zu ermöglichen. Vorher war ich bei der Euregio Bayerischer Wald – Böhmerwald – Unterer Inn e.V. als Projektmanagerin für das INTERREG-Projekt „Sprachkompetenzzentrum Deutsch-Tschechisch“ tätig. Dieses Projekt förderte den Deutschunterricht auf tschechischer Seite und den Tschechisch-Unterricht auf bayerischer Seite sowie Exkursionen für Kinder und Jugendliche. Während der Pandemie war ich in dieser Rolle tätig und habe die Auswirkungen hautnah erlebt.
Digitaler Austausch und technische Herausforderungen: Überwindung von Hindernissen
Welche allgemeinen Veränderungen haben Sie während der Pandemie erlebt und welche Auswirkungen hatten diese auf Ihre Arbeit?
Die Pandemie hatte erhebliche Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und den Jugendaustausch. Die Grenzschließungen und die damit verbundenen Ängsten vor der jeweils anderen Seite haben unsere Arbeit stark beeinträchtigt. Wir arbeiten in vielen kleinen Schritten daran, Vertrauen und Interesse an unseren Austauschprogrammen aufzubauen, und die Pandemie hat viele dieser Fortschritte zunichte gemacht. Besonders schwierig war es, da die Pandemie bereits bestehende Vorurteile gegenüber dem jeweiligen Nachbar wieder aufleben ließ. Wir mussten auf digitale Alternativen umsteigen, was insbesondere bei Erstbegegnungen sehr herausfordernd war.
Können Sie beschreiben, wie Sie den Austausch trotzdem ermöglicht haben?
Ja, gerne. Eine große Herausforderung war, den Austausch digital durchzuführen. Wir nutzten Plattformen wie Zoom und DINA.international. Es gab viele technische Schwierigkeiten, von der fehlenden Ausrüstung bei den Schülerinnen und Schülern bis hin zu Verbindungsproblemen. Besonders im Bayerischen Wald hatten viele Kinder keinen Zugang zu digitalen Endgeräten oder stabilem Internet. In einer Gemeinde beispielsweise hatten Haushalte teilweise kein WLAN; der Schulleiter und der örtliche Pfarrer waren zu Pandemiezeiten damit beschäftigt, die Arbeitsblätter in den Briefkästen der Schüler zu verteilen, anstatt Onlineunterricht anzubieten. Der persönliche Austausch, der Vorurteile abbaut und Freundschaften fördert, ließ sich digital entweder gar nicht oder nicht in derselben Qualität umsetzen.
Wie haben Sie digitale Treffen erlebt, wenn es welche gab?
Trotz unserer Bemühungen waren die ersten digitalen Begegnungen oft chaotisch und mühsam. Ein Highlight war jedoch, dass einige Eltern sich aktiv beteiligten und die digitalen Treffen als positiv empfanden. Es gab Momente, in denen die Kinder sich über das Internet austauschten, gemeinsam Spiele spielten und dabei ihre Häuser auf den Kopf stellten, um beispielsweise Gegenstände in unterschiedlichen Farben zu suchen. Diese Aktivitäten brachten zumindest ein wenig Freude und Abwechslung in den Alltag der Kinder und Jugendlichen.
Positive Entwicklungen durch die Digitalisierung: Neue Chancen und Erkenntnisse
Gab es im Rahmen des „digitalen Jugendaustauschs“ auch positive Aspekte oder Veränderungen, die bis heute anhalten?
Ja, es gab auch positive Entwicklungen. Die Digitalisierung wurde beschleunigt und viele Schülerinnen und Schüler wurden mit Tablets und Laptops ausgestattet. Zudem hat die Akzeptanz von Online-Meetings zugenommen, was den Austausch in Zukunft flexibler gestalten und häufiger möglich machen könnte. Langfristig sehe ich die Möglichkeit, digitale Formate unterstützend zum persönlichen Austausch einzusetzen, um regelmäßigen Kontakt zu fördern. Besonders erfreulich ist, dass der Kontakt der Kinder und Jugendlichen untereinander nach der Pandemie intensiver geworden ist, da sich viele Klassen regelmäßig online treffen, um die Beziehungen zu pflegen, die während der persönlichen Besuche entstanden sind.
Von Isolation zu Aufbruch: Jugendliche entdecken den Jugendaustausch neu
Hat sich das Interesse am Jugendaustausch durch die Pandemie nachhaltig verändert?
Anfangs waren viele Jugendliche und Lehrkräfte noch zurückhaltend und unsicher. Wir hatten den Eindruck, dass viele Jugendliche nun mehr auf ihren eigenen Raum bedacht sind und Gruppenaktivitäten als anstrengender empfinden. Viele Jugendliche waren nach der Pandemie viel bedürftiger nach Privatsphäre. Sie waren es gewohnt, isoliert und im eigenen Zimmer zu sein, und fanden es schwierig, wieder in großen Gruppen zu agieren. Mittlerweile hat das Interesse jedoch wieder stark zugenommen, da die Jugendlichen die verlorene Zeit nachholen möchten. Die Anfragen für Austauschprogramme steigen wieder, und es herrscht eine Aufbruchsstimmung. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig persönliche Begegnungen sind, und das möchten wir jetzt umso mehr unterstützen. Deshalb fördern wir mit der Stiftung Jugendaustausch Bayern mehrere Programme, die den Austausch mit Tschechien nach der Corona-Krise wieder in Schwung bringen sollen. Ein Beispiel ist das Programm „Bayerisch-Tschechischer Schulaustausch“, das unser Partner Tandem – Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch durchführt. Mit dem Programm fördern wir den Austausch von Mittel-, Real-, Förder- und beruflichen Schulen aus Bayern mit tschechischen Schulen.
Krisenfest und zukunftsorientiert: Strategien für einen resilienten Jugendaustausch
Welche Aspekte wären aus Ihrer Sicht besonders wichtig, um zukünftige Krisen besser zu bewältigen?
Während der Pandemie kamen alte Vorurteile wieder auf, sowohl auf deutscher als auch auf tschechischer Seite. Es war erschreckend zu sehen, wie schnell sich nationalistische Denkweisen wieder breit machten. Wir müssen sicherstellen, dass solche Denkweisen nicht erneut Fuß fassen. Deshalb müssen wir weiterhin daran arbeiten, Vorurteile abzubauen und Toleranz zu fördern. Vor allem, indem wir den Austausch schon früh ermöglichen und kontinuierlich unterstützen. Dazu gehört, dass wir Strategien entwickeln, um den Austausch aufrechtzuerhalten, selbst wenn persönliche Begegnungen nicht möglich sind. Es ist wichtig, dass wir weiterhin daran arbeiten, die Jugendlichen für Multikulturalismus und ein vereintes Europa zu begeistern. Es liegt an uns, bei zukünftigen Krisen, gemeinsame Lösungen zu finden.
Haben Sie erste Ideen, welche konkreten Schritte nötig wären, um den internationalen Jugendaustausch krisenfester zu machen?
Wir sollten verstärkt daraufsetzen, dass auch digitale Formate den kulturellen Austausch und das gegenseitige Verständnis fördern. Dafür sollten digitale Angebote erweitert und zugänglicher gemacht werden. Es muss gewährleistet sein, dass alle Schülerinnen und Schüler über die notwendigen Geräte und eine stabile Internetverbindung verfügen, um effektiv teilnehmen zu können. Digitale Formate könnten durch interaktive und ansprechende Inhalte gestaltet werden, die die Jugendlichen motivieren und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen. Dies könnte durch virtuelle Austauschprogramme, Online-Workshops und gemeinsame Projekte erreicht werden.
Sie meinten vorhin, Sie würden sich bei zukünftigen Krisen gemeinsame Lösungen wünschen – über Grenzen hinweg. Wie kann das gehen?
Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell alte Vorurteile wieder aufleben können, wenn der Kontakt fehlt. Wir sollten überlegen, ob Grenzschließungen wirklich notwendig sind oder ob es bessere Strategien gibt, um solche Situationen gemeinsam zu bewältigen. Durch eine koordinierte und kooperative Herangehensweise können wir sicherstellen, dass der Austausch und das gegenseitige Verständnis auch in schwierigen Zeiten aufrechterhalten werden. Die Stiftung trägt zu einem kooperativen Miteinander bei, indem sie die Beteiligten am Jugendaustausch auf deutscher und tschechischer Seite regelmäßig an einen Tisch bringt.
Der Jugendaustausch ist für mich persönlich eine Herzensangelegenheit und ich hoffe, dass wir weiterhin positive Veränderungen bewirken können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Nadine Salihi.
Link zu unserer fünfteiligen InterviewreiheIn unserer Interviewreihe bieten wir spannende Einblicke in die Folgen der Corona-Pandemie für die Kinder- und Jugendhilfe. Die Interviews umfassen verschiedene Perspektiven und sollen einen Beitrag zur aktiven Aufarbeitung dieser kritischen Zeit leisten. Link zur Magazinseite „Auswirkungen der Corona-Pandemie“
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